ArbG Emden, Urt. 20.2.2020 - 2 Ca 94/19
Arbeitszeiterfassung als arbeitsvertragliche Nebenpflicht
Autor: RA FAArbR Dr. Sascha SchewiolaRA Daniel Grünewald,Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2020
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2020
Arbeitgeber sind unmittelbar aufgrund von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta (GRCh) arbeitsvertraglich zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet.
GRCh Art. 31 Abs. 2; BGB § 241 Abs. 2; ZPO § 138 Abs. 3
Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob der Beklagte zur Zahlung der Vergütung für weitere 12,05 Stunden verpflichtet ist.
Nach der von der Rechtsprechung für Überstundenprozesse entwickelten abgestuften Darlegungs- und Beweislast müsse zunächst der Arbeitnehmer konkret die von ihm geleisteten Arbeitsstunden vortragen. Er müsse darlegen, „an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.“ Erst danach obliege es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen habe und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – ggf. nicht – nachgekommen sei. Lasse sich der Arbeitgeber hierauf nicht substantiiert ein, gelte der Sachvortrag des Arbeitnehmers gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
Nach Ansicht des Arbeitsgericht Emden ist der Kläger zunächst seiner Darlegungslast nachgekommen. Der Vortrag des Beklagten genüge den aufgestellten Anforderungen demgegenüber nicht. Der Beklagte habe nämlich entgegen Art. 31 Abs. 2 GRCh, konkretisiert durch Art. 3, 5 und 6 RL 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie), kein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System zur Arbeitszeiterfassung eingerichtet. Er habe keinerlei Aufzeichnungen vorlegen können, aus denen sich die Erfüllung dieser (EU-rechtlichen) Verpflichtung hinreichend ergebe. Hierdurch habe er zugleich eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Die Aufstellungen des Bautagebuchs seien jedenfalls nicht ausreichend. Es handele sich hierbei schon von vornherein nicht um ein System zur tatsächlichen Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten. Sie dienten vielmehr der Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Ingenieure (§ 34 HOAI).
GRCh Art. 31 Abs. 2; BGB § 241 Abs. 2; ZPO § 138 Abs. 3
Das Problem
Der Kläger war bei dem Beklagten mehrwöchig als Bauhelfer tätig. Während des Arbeitsverhältnisses fertigte der Kläger eigene, handschriftliche Aufzeichnungen („Stundenrapporte“) an. Aus diesen ergab sich eine Gesamtarbeitszeit von insgesamt 195,05 Stunden. Parallel hierzu erfasste der Beklagte – zusammen mit dem Kläger – während jedes Arbeitstags den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende in einem Bautagebuch. Der Beklagte vergütete die sich aus dem Bautagebuch ergebenden 183 Stunden Arbeitszeit des Klägers.Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob der Beklagte zur Zahlung der Vergütung für weitere 12,05 Stunden verpflichtet ist.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Arbeitsgericht Emden spricht dem Kläger die von ihm beantragte weitere Vergütung zu.Nach der von der Rechtsprechung für Überstundenprozesse entwickelten abgestuften Darlegungs- und Beweislast müsse zunächst der Arbeitnehmer konkret die von ihm geleisteten Arbeitsstunden vortragen. Er müsse darlegen, „an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.“ Erst danach obliege es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen habe und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – ggf. nicht – nachgekommen sei. Lasse sich der Arbeitgeber hierauf nicht substantiiert ein, gelte der Sachvortrag des Arbeitnehmers gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
Nach Ansicht des Arbeitsgericht Emden ist der Kläger zunächst seiner Darlegungslast nachgekommen. Der Vortrag des Beklagten genüge den aufgestellten Anforderungen demgegenüber nicht. Der Beklagte habe nämlich entgegen Art. 31 Abs. 2 GRCh, konkretisiert durch Art. 3, 5 und 6 RL 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie), kein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System zur Arbeitszeiterfassung eingerichtet. Er habe keinerlei Aufzeichnungen vorlegen können, aus denen sich die Erfüllung dieser (EU-rechtlichen) Verpflichtung hinreichend ergebe. Hierdurch habe er zugleich eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Die Aufstellungen des Bautagebuchs seien jedenfalls nicht ausreichend. Es handele sich hierbei schon von vornherein nicht um ein System zur tatsächlichen Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten. Sie dienten vielmehr der Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Ingenieure (§ 34 HOAI).