Ausbildungsunterhalt auch nach dreijähriger Verzögerung infolge Praktika und Aushilfstätigkeiten

Autor: RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg/Havel
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 09/2013
Der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt nicht schon aufgrund einer dreijährigen Verzögerung der Aufnahme einer Erstausbildung durch Berufsorientierungspraktika und ungelernte Ausbildungstätigkeiten, wenn die Praktika nach einem notenschwachen Schulabschluss mit dem Ziel absolviert wurden, anschließend einen Ausbildungsplatz bei dem jeweiligen Unternehmen zu erlangen.

BGH, Beschl. v. 3.7.2013 - XII ZB 220/12

Vorinstanz: OLG Koblenz, Beschl. v. 28.3.2012 - 13 UF 1081/11

BGB §§ 1601, 1610 Abs. 2

Das Problem:

Die 1989 geborene Antragstellerin (Ast.) verlangt von ihrem Vater (Ag.) Ausbildungsunterhalt ab 9/2010. Sie lebte nach der 1997 erfolgten Trennung ihrer Eltern zunächst bei ihrem Vater in den Niederlanden. 2003 wechselte sie zu ihrer Mutter nach Deutschland. Dort erreichte sie 2007 die mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von 3,6. Anschließend nahm sie eine eigene Wohnung und bestritt ihren Lebensunterhalt selbst, indem sie als ungelernte Kraft in verschiedene Beschäftigungsverhältnisse eintrat und Praktika zum Teil in der Erwartung leistete, hierdurch Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu erhalten. In 8/2010 begann die Ast. eine Ausbildung als Fleischereifachverkäuferin, für die sie eine Ausbildungsvergütung erhielt. Das AG hat den Ag. zur Zahlung rückständigen und laufenden Ausbildungsunterhalts zwischen monatlich 284 € und zuletzt rund 219 € verpflichtet. Gegen diese Entscheidung hat der Ag. Beschwerde eingelegt, die das OLG zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ag.

Die Entscheidung des Gerichts:

Der BGH hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Er knüpft dabei an das nach seiner st. Rspr. aus § 1610 Abs. 2 BGB folgende Gegenseitigkeitsprinzip an, von dem der Anspruch des Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechenden Berufsausbildung geprägt ist. Der Verpflichtung der Eltern zur Ermöglichung einer Berufsausbildung stehe auf Seiten des Kindes nicht nur die Obliegenheit gegenüber, diese mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Vielmehr treffe das Kind die weitere Obliegenheit, sich nach seinem Abgang von der Schule innerhalb einer angemessenen Zeit darüber klar zu werden, welche Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, sich alsbald um einen Ausbildungsplatz zu bemühen und die Ausbildung selbst zielstrebig zu beginnen. Die Frage, wie die zuzubilligende Orientierungsphase zu bemessen sei und bis wann eine Erstausbildung spätestens aufgenommen sein müsse, richte sich unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen nach den Umständen des Einzelfalls. Im vorliegenden Fall hat der BGH die dreijährige Verzögerung des Ausbildungsbeginns angesichts der gesamten Verhältnisse nicht als unangemessen lang beurteilt. Die relativ schlechten Schulnoten der Ast. resultierten zum einen aus der Zeit ihrer Minderjährigkeit und seien deshalb in erster Linie von den Eltern zu verantworten. Zum anderen seien sie auch auf Belastungssituationen im Zusammenhang mit der schwierigen familiären Situation, dem Umzug der Ast. nach Deutschland und dem damit verbundenen Wechsel des Schulsystems zurückzuführen. Darin liege kein schuldhaftes Versagen des Kindes. Auch die Gestaltung des relativ langen Orientierungszeitraums von drei Jahren durch Praktika und Aushilfstätigkeiten sei der Ast. nicht anzulasten. Denn von ihr sei hierbei das Ziel verfolgt worden, im Anschluss daran einen Ausbildungsplatz zu erlangen. Der Ag. habe mit entsprechenden ausbildungsplatzfördernden Aktivitäten und deshalb auch noch drei Jahre nach dem schlechten Schulabschluss mit einer ersten Berufsausbildung seiner wirtschaftlich noch nicht selbständigen Tochter rechnen müssen. Er werde durch die angeordnete Unterhaltsverpflichtung auch nicht unzumutbar belastet, zumal er wegen der Anrechnung von Kindergeld und Ausbildungsvergütung nur relativ geringe Unterhaltsbeträge zu leisten habe. Die Ast. werde ihre Ausbildung noch vor Vollendung des 25. Lebensjahres abschließen, und damit innerhalb der Zeit, für die der Gesetzgeber (z.B. durch das Kindergeld, steuerliche Erleichterungen, kindbezogene Gehaltsbestandteile) eine Berufsausbildung unabhängig von ihrer Art als grundsätzlich förderungswürdig ansehe.


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