BAG, Beschl. 16.8.2022 - 9 AZR 76/22 (A)
Vorlage an den EuGH: Pflicht zur Nachgewährung von Urlaub bei Anordnung häuslicher Quarantäne?
Autor: RA FAArbR Dr. Sascha Schewiola, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 01/2023
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 01/2023
Das BAG ersucht den EuGH um Vorabentscheidung zu der Frage, ob Normen der RL 2003/88/EG sowie der Grundrechtecharta so auszulegen sind, dass sie innerstaatlichen Regelungen entgegenstehen, die festlegen, dass bei behördlicher Anordnung häuslicher Quarantäne während des Zeitraums eines Erholungsurlaubs der Urlaubsanspruch nicht nachzugewähren ist.
GRCh Art. 31 Abs. 2; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; BGB § 275 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 1, §§ 9, 10; IfSG § 28 Abs. 1, § 56 i.d.F. v. 19.6.2020; MuSchG § 24
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihm aufgrund der behördlich angeordneten Absonderung die acht Tage Erholungsurlaub nachzugewähren. Er habe seinen Urlaub nicht so verbringen können, wie er es geplant habe. Daher sei keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs eingetreten. Unstreitig war der Kläger während der Quarantäne nicht arbeitsunfähig erkrankt.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das LAG gab der Klage statt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Der Arbeitgeber schulde bezahlte Freistellung zum Zwecke der Erholung und Entspannung; er schulde jedoch keinen bestimmten „Urlaubserfolg“. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums auf Wunsch des Arbeitnehmers habe der Arbeitgeber als Schuldner des Anspruchs auf bezahlte Freistellung das zu seiner Leistung Erforderlich getan.
Nach der Urlaubsbewilligung eintretende und vom Arbeitgeber nicht unmittelbar zu beeinflussende Umstände, die dazu führen, dass der Arbeitnehmer den Urlaub nicht oder nicht uneingeschränkt in der beabsichtigten Weise nutzen könne, fielen allein in die Risikosphäre des Arbeitnehmers.
Dies sei nur anders, soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien das Urlaubsrisiko dem Arbeitgeber auferlegt haben. Ein Beispiel hierfür sei § 9 BUrlG. Dieser finde vorliegend jedoch keine Anwendung, auch nicht analog. Eine planwidrige Regelungslücke – wie sie das LAG Hamm noch angenommen habe – sei vorliegend nicht gegeben.
Das BAG legt den Fall zur Vorabentscheidung dem EuGH vor, um zu klären, ob diese nationale Rechtsprechung mit Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sowie mit Art. 31 Abs. 2 GRCh der Europäischen Union zu vereinbaren sei.
GRCh Art. 31 Abs. 2; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; BGB § 275 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 1, §§ 9, 10; IfSG § 28 Abs. 1, § 56 i.d.F. v. 19.6.2020; MuSchG § 24
Das Problem
Der Kläger ist bei der Beklagten als Schlosser tätig. Die Beklagte gewährte dem Kläger auf seinen Antrag hin acht Urlaubstage. Die Stadt H ordnete sodann genau in dieser Urlaubszeit die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne an. Als Grund gab die Stadt H an, der Kläger habe Kontakt zu einer mit dem Corona-Virus infizierten Person gehabt.Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihm aufgrund der behördlich angeordneten Absonderung die acht Tage Erholungsurlaub nachzugewähren. Er habe seinen Urlaub nicht so verbringen können, wie er es geplant habe. Daher sei keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs eingetreten. Unstreitig war der Kläger während der Quarantäne nicht arbeitsunfähig erkrankt.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das LAG gab der Klage statt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Die Entscheidung des Gerichts
Der 9. Senat des BAG ist der Auffassung, dass dem Kläger nach nationalem Recht wegen der behördlich angeordneten Quarantäne kein Urlaub nachzugewähren ist.Der Arbeitgeber schulde bezahlte Freistellung zum Zwecke der Erholung und Entspannung; er schulde jedoch keinen bestimmten „Urlaubserfolg“. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums auf Wunsch des Arbeitnehmers habe der Arbeitgeber als Schuldner des Anspruchs auf bezahlte Freistellung das zu seiner Leistung Erforderlich getan.
Nach der Urlaubsbewilligung eintretende und vom Arbeitgeber nicht unmittelbar zu beeinflussende Umstände, die dazu führen, dass der Arbeitnehmer den Urlaub nicht oder nicht uneingeschränkt in der beabsichtigten Weise nutzen könne, fielen allein in die Risikosphäre des Arbeitnehmers.
Dies sei nur anders, soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien das Urlaubsrisiko dem Arbeitgeber auferlegt haben. Ein Beispiel hierfür sei § 9 BUrlG. Dieser finde vorliegend jedoch keine Anwendung, auch nicht analog. Eine planwidrige Regelungslücke – wie sie das LAG Hamm noch angenommen habe – sei vorliegend nicht gegeben.
Das BAG legt den Fall zur Vorabentscheidung dem EuGH vor, um zu klären, ob diese nationale Rechtsprechung mit Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sowie mit Art. 31 Abs. 2 GRCh der Europäischen Union zu vereinbaren sei.