BAG, Beschl. 18.1.2017 - 7 ABR 60/15
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder
Autor: RA FAArbR Dr. Norbert Windeln, LL.M.,avocado rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2017
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2017
Leiharbeitnehmer sind bei der Feststellung der für die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen, wenn sie zum regelmäßigen Personalbestand des Betriebs gehören.
BAG, Beschl. v. 18.1.2017 - 7 ABR 60/15
Vorinstanz: Hessisches LAG - 16 TaBV 48/15
BetrVG § 38 Abs. 1; AÜG § 14 Abs. 2
Die normzweckorientierte Auslegung des § 38 Abs. 1 BetrVG ergebe, dass Leiharbeitnehmer bei der Berechnung zu berücksichtigen seien, wenn sie zum regelmäßigen Personalbestand des Betriebs gehörten. Sinn des § 38 Abs. 1 BetrVG sei es nämlich, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang einer notwendigen Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu vermeiden. Zu diesem Zweck würden als generalisierende Konkretisierung der allgemeinen Vorschrift des § 37 Abs. 2 BetrVG durch § 38 Abs. 1 BetrVG ab einer bestimmten Betriebsgröße Betriebsratsmitglieder völlig freigestellt. Dabei sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Umfang der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben typischerweise von der Anzahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer geprägt werde. Arbeitsaufwand für den Betriebsrat entstehe aber nicht nur durch die Stammbelegschaft, sondern auch durch Leiharbeitnehmer. Dies gelte nicht nur für die personelle Mitbestimmung nach § 99 BetrVG, sondern in vielen Bereichen auch für die soziale Mitbestimmung nach § 87 BetrVG. Ferner könnten Leiharbeitnehmer gem. § 14 Abs. 2 AÜG die Sprechstunden des Betriebsrats im Entleiherbetrieb aufsuchen und den Betriebsrat zur Unterstützung oder Vermittlung bei Beschwerden hinzuziehen.
Im Ergebnis wäre nach alledem eine angemessene Interessenvertretung der Belegschaft durch den Betriebsrat gefährdet, fänden die regelmäßig im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der für die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern maßgeblichen Belegschaftsstärke keine Berücksichtigung.
BAG, Beschl. v. 18.1.2017 - 7 ABR 60/15
Vorinstanz: Hessisches LAG - 16 TaBV 48/15
BetrVG § 38 Abs. 1; AÜG § 14 Abs. 2
Das Problem
Gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG bestimmt sich die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach der Anzahl der regelmäßig im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dieser Berechnung auch die im Betrieb des Entleihers beschäftigten Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind.Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG bejaht dies grundsätzlich und bestätigt damit die Entscheidungen der Vorinstanzen.Die normzweckorientierte Auslegung des § 38 Abs. 1 BetrVG ergebe, dass Leiharbeitnehmer bei der Berechnung zu berücksichtigen seien, wenn sie zum regelmäßigen Personalbestand des Betriebs gehörten. Sinn des § 38 Abs. 1 BetrVG sei es nämlich, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang einer notwendigen Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu vermeiden. Zu diesem Zweck würden als generalisierende Konkretisierung der allgemeinen Vorschrift des § 37 Abs. 2 BetrVG durch § 38 Abs. 1 BetrVG ab einer bestimmten Betriebsgröße Betriebsratsmitglieder völlig freigestellt. Dabei sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Umfang der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben typischerweise von der Anzahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer geprägt werde. Arbeitsaufwand für den Betriebsrat entstehe aber nicht nur durch die Stammbelegschaft, sondern auch durch Leiharbeitnehmer. Dies gelte nicht nur für die personelle Mitbestimmung nach § 99 BetrVG, sondern in vielen Bereichen auch für die soziale Mitbestimmung nach § 87 BetrVG. Ferner könnten Leiharbeitnehmer gem. § 14 Abs. 2 AÜG die Sprechstunden des Betriebsrats im Entleiherbetrieb aufsuchen und den Betriebsrat zur Unterstützung oder Vermittlung bei Beschwerden hinzuziehen.
Im Ergebnis wäre nach alledem eine angemessene Interessenvertretung der Belegschaft durch den Betriebsrat gefährdet, fänden die regelmäßig im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der für die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern maßgeblichen Belegschaftsstärke keine Berücksichtigung.