BAG, Urt. 13.8.2019 - 1 AZR 213/18
Zulässigkeit einer verschlechternden Betriebsvereinbarung vor einem Betriebsübergang
Autor: RA FAArbR Dr. Sascha Schewiola, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 01/2020
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 01/2020
Kurz vor einem Betriebsteilübergang zum Nachteil der übergehenden Arbeitnehmer abändernde Betriebsvereinbarungen sind grds. zulässig.
BGB § 613a; BetrVG § 75 Abs. 1 u. 2, § 77 Abs. 3 Satz 1 u. 2, Abs. 4, § 87 Abs. 1 Eingangshalbs.; RL 2001/23/EG Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 u. 2
Ist eine derartige kollektive Vereinbarung zulässig?
Zwar liege eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer vor, deren Arbeitsverhältnisse nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergingen und die dem Betriebsteilübergang nicht widersprächen. Diese Ungleichbehandlung sei jedoch zulässig. Eine strikt personenbezogene Ungleichbehandlung liege nicht vor. Das Merkmal, an das die Differenzierung anknüpfe (der Übergang eines Betriebsteils), sei verhaltensbezogen ausgestaltet. Die betroffenen Arbeitnehmer könnten demnach über die Differenzierung verfügen, indem sie dem Betriebsübergang widersprächen. Die verhaltensbezogene Ungleichbehandlung sei auch nicht willkürlich gewählt.
Die Rahmenbetriebsvereinbarung stelle zudem keine Umgehung von § 613a Abs. 1 BGB dar. Aufgrund des in § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB geregelten Ablösungsprinzips sehe die Vorschrift kein prinzipielles Veränderungsverbot oder Beibehaltungsgebot hinsichtlich der vom Veräußerer geschlossenen Betriebsvereinbarungen in dessen Betrieb vor. Was im Nachgang, d.h. nach dem Betriebsübergang, vom Erwerber beschlossen werden könne, könne auch vorab vom Veräußerer beschlossen werden. Gegen dieses Ergebnis sprächen letztlich auch keine unionsrechtlichen Erwägungen.
BGB § 613a; BetrVG § 75 Abs. 1 u. 2, § 77 Abs. 3 Satz 1 u. 2, Abs. 4, § 87 Abs. 1 Eingangshalbs.; RL 2001/23/EG Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 u. 2
Das Problem
Ein tarifgebundenes Unternehmen mit Betriebs- und Gesamtbetriebsrat plant eine Umstrukturierung des Vertriebs. Hierzu sollen bestimmte Betriebsteile auf einen Erwerber nach § 613a BGB übertragen werden. Mit dem Gesamtbetriebsrat schließt das Unternehmen eine Rahmenbetriebsvereinbarung ab, nach der das bestehende Vergütungssystem – basierend auf einer Gesamtbetriebsvereinbarung – für die Arbeitnehmer der übergehenden Betriebsteile 24 Stunden vor dem Betriebsteilübergang ohne Nachwirkung aufgehoben wird.Ist eine derartige kollektive Vereinbarung zulässig?
Die Entscheidung des Gerichts
Der 1. Senat des BAG bejaht die Frage. Die Rahmenbetriebsvereinbarung verstoße weder gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch stelle sie eine Gesetzesumgehung dar.Zwar liege eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer vor, deren Arbeitsverhältnisse nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergingen und die dem Betriebsteilübergang nicht widersprächen. Diese Ungleichbehandlung sei jedoch zulässig. Eine strikt personenbezogene Ungleichbehandlung liege nicht vor. Das Merkmal, an das die Differenzierung anknüpfe (der Übergang eines Betriebsteils), sei verhaltensbezogen ausgestaltet. Die betroffenen Arbeitnehmer könnten demnach über die Differenzierung verfügen, indem sie dem Betriebsübergang widersprächen. Die verhaltensbezogene Ungleichbehandlung sei auch nicht willkürlich gewählt.
Die Rahmenbetriebsvereinbarung stelle zudem keine Umgehung von § 613a Abs. 1 BGB dar. Aufgrund des in § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB geregelten Ablösungsprinzips sehe die Vorschrift kein prinzipielles Veränderungsverbot oder Beibehaltungsgebot hinsichtlich der vom Veräußerer geschlossenen Betriebsvereinbarungen in dessen Betrieb vor. Was im Nachgang, d.h. nach dem Betriebsübergang, vom Erwerber beschlossen werden könne, könne auch vorab vom Veräußerer beschlossen werden. Gegen dieses Ergebnis sprächen letztlich auch keine unionsrechtlichen Erwägungen.