BAG, Urt. 16.11.2022 - 10 AZR 210/19
Urlaubstage sind als geleistete Stunden bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen einzubeziehen
Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, BOISSERÉE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 03/2023
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 03/2023
Der Begriff der „geleisteten Stunden“ im MTV Zeitarbeit ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass darunter auch Stunden zu fassen sind, die ein Arbeitnehmer wegen Urlaubs vergütet bekommt. Eine tatsächliche Ableistung der Stunden ist nicht erforderlich.
BUrlG § 1, § 13 Abs. 1 Satz 1; GRCh Art. 31 Abs. 2; Richtlinie 2003/88/EG Art. 7; Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit § 4.1.2. i.d.F. vom 17.9.2013 (MTV)
Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit sah in Ziff. 4.1.2 Mehrarbeitszuschläge für eine bestimmte Anzahl an geleisteten Stunden vor, die je nach Anzahl der Arbeitstage pro Monat gestaffelt waren. Die Höhe des Mehrarbeitszuschlags betrug 25 Prozent.
Im Monat August 2017 arbeitete der Kläger 121,75 Stunden und nahm zehn Tage Erholungsurlaub. Es hätte in diesem Monat mindestens 184 Stunden bedurft, um einen Mehrarbeitszuschlag zu erhalten. Für den Erholungsurlaub berechnete und vergütete die Beklagte dem Kläger 84,7 Stunden. Der Kläger erhielt für den Monat August 2017 keinen Mehrarbeitszuschlag, da die Beklagte die Stunden des Erholungsurlaubs bei der Berechnung nicht berücksichtigt hatte.
Der Kläger begehrt die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen, da seiner Meinung nach auch die abgerechneten Stunden seines Urlaubs für den Zuschlag maßgeblich seien. Er verlangt die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für 22,45 Stunden (121,75 tatsächlich geleistete Stunden + 84,7 Stunden des Erholungsurlaubs – 184 Stunden).
Das Arbeitsgericht sowie das LAG haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Das BAG hatte zwischenzeitlich ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH abgeschlossen. Das Urteil des EuGH erging dazu am 13.1.2022 (EuGH, Urt. v. 13.1.2022 – C-514/20 – Koch Personaldienstleistungen, ArbRB 2022, 35 [Braun]).
Auch wenn der Wortlaut „geleistete Stunden“ eher für tatsächlich abgeleistete Stunden spreche, müsse Ziff. 4.1.2 MTV jedoch im Hinblick auf § 1 BUrlG gesetzeskonform und auch unionsrechtskonform ausgelegt werden. Eine Abweichung von den dort verankerten Grundsätzen durch Tarifvertrag sei nach § 13 BUrlG nicht möglich.
Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub sei demnach als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, wonach die Schaffung eines (wirtschaftlichen) Anlasses, auf den Erholungsurlaub zu verzichten, verboten sei.
Die Anknüpfung eines Mehrarbeitszuschlags an die tatsächlich geleisteten Stunden sei aber geeignet, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, Urlaub zu nehmen. Denn ansonsten müsse der Arbeitnehmer befürchten, für Monate, in denen er sich Urlaub genommen habe oder habe nehmen wollen, keine Zuschläge zu erhalten.
BUrlG § 1, § 13 Abs. 1 Satz 1; GRCh Art. 31 Abs. 2; Richtlinie 2003/88/EG Art. 7; Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit § 4.1.2. i.d.F. vom 17.9.2013 (MTV)
Das Problem
Der Kläger war als Leiharbeitnehmer im Unternehmen der Beklagten tätig.Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit sah in Ziff. 4.1.2 Mehrarbeitszuschläge für eine bestimmte Anzahl an geleisteten Stunden vor, die je nach Anzahl der Arbeitstage pro Monat gestaffelt waren. Die Höhe des Mehrarbeitszuschlags betrug 25 Prozent.
Im Monat August 2017 arbeitete der Kläger 121,75 Stunden und nahm zehn Tage Erholungsurlaub. Es hätte in diesem Monat mindestens 184 Stunden bedurft, um einen Mehrarbeitszuschlag zu erhalten. Für den Erholungsurlaub berechnete und vergütete die Beklagte dem Kläger 84,7 Stunden. Der Kläger erhielt für den Monat August 2017 keinen Mehrarbeitszuschlag, da die Beklagte die Stunden des Erholungsurlaubs bei der Berechnung nicht berücksichtigt hatte.
Der Kläger begehrt die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen, da seiner Meinung nach auch die abgerechneten Stunden seines Urlaubs für den Zuschlag maßgeblich seien. Er verlangt die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für 22,45 Stunden (121,75 tatsächlich geleistete Stunden + 84,7 Stunden des Erholungsurlaubs – 184 Stunden).
Das Arbeitsgericht sowie das LAG haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Das BAG hatte zwischenzeitlich ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH abgeschlossen. Das Urteil des EuGH erging dazu am 13.1.2022 (EuGH, Urt. v. 13.1.2022 – C-514/20 – Koch Personaldienstleistungen, ArbRB 2022, 35 [Braun]).
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG gibt der Revision des Klägers statt. Er habe einen Anspruch auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für den Monat August 2017.Auch wenn der Wortlaut „geleistete Stunden“ eher für tatsächlich abgeleistete Stunden spreche, müsse Ziff. 4.1.2 MTV jedoch im Hinblick auf § 1 BUrlG gesetzeskonform und auch unionsrechtskonform ausgelegt werden. Eine Abweichung von den dort verankerten Grundsätzen durch Tarifvertrag sei nach § 13 BUrlG nicht möglich.
Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub sei demnach als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, wonach die Schaffung eines (wirtschaftlichen) Anlasses, auf den Erholungsurlaub zu verzichten, verboten sei.
Die Anknüpfung eines Mehrarbeitszuschlags an die tatsächlich geleisteten Stunden sei aber geeignet, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, Urlaub zu nehmen. Denn ansonsten müsse der Arbeitnehmer befürchten, für Monate, in denen er sich Urlaub genommen habe oder habe nehmen wollen, keine Zuschläge zu erhalten.