BAG, Urt. 17.10.2024 - 8 AZR 172/23
Unwirksamkeit uneingeschränkter und ewiger Geheimnisschutzklauseln („Catch-all-Klauseln“)
Autor: RA FAArbR Dr. Detlef GrimmRA Dr. Sebastian Krülls, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 02/2025
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 02/2025
Eine formularmäßig vereinbarte Vertragsklausel, die den Arbeitnehmer bezüglich aller internen Vorgänge beim Arbeitgeber über das Ende des Vertragsverhältnisses hinaus zeitlich unbegrenzt zum Stillschweigen verpflichtet (sog. Catch-all-Klausel), benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1, §§ 823, 1004 Abs. 1; GeschGehG §§ 2, 6; UWG §§ 3, 8 Abs. 1, § 17; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
„Herr D. wird über alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie alle sonstigen ihm im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden Angelegenheiten und Vorgänge der Gesellschaft Stillschweigen bewahren. Er wird dafür Sorge tragen, dass Dritte nicht unbefugt Kenntnis erlangen. Die Verpflichtung zur Geheimhaltung besteht auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus und umfasst auch die Inhalte dieses Vertrages.“
Der Beklagte wechselte 2017 zu einem Hauptkunden der Klägerin. Diese warf ihm im Oktober 2018 vor, 2015 unter falschem Namen Geschäftsgeheimnisse an einen Wettbewerber weitergegeben zu haben. Sie nahm ihn aus Verletzung der arbeitsvertraglichen Geheimhaltungsverpflichtung und wegen des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen i.S.v. § 17 Abs. 1 UWG, der bis einschließlich 25.4.2019 gegolten hatte, auf Unterlassung in Anspruch. Das Arbeitsgericht und das LAG haben den Antrag abgewiesen.
Die nach § 2 Nr. 1b) GeschGehG zu ergreifenden Geheimhaltungsmaßnahmen hängen danach von der Art des Geschäftsgeheimnisses und dessen konkreter Nutzung ab. Wer Schutz nach dem GeschGehG begehre, müsse darlegen, welche Geheimhaltungsmaßnahmen er getroffen habe und deren Angemessenheit bezogen auf das Geheimnis im konkreten Einzelfall.
Das habe die Klägerin nicht getan. Ihr Vortrag habe sich auf pauschale Behauptungen beschränkt, so dass eine Beurteilung der Geheimnisschutzmaßnahmen nicht möglich sei. Es fehle an arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitsklauseln und technischen Sicherheitsmaßnahmen sowie an einer angemessenen IT-Sicherheit. Auch bei diesem vor Inkrafttreten des GeschGehG geschehenen Altfall seien die Voraussetzungen des § 6 GeschGehG und nicht nur die des § 17 UWG zu prüfen.
Soweit die Catch-all-Klausel den Beklagten sachlich und zeitlich uneingeschränkt zur Verschwiegenheit verpflichten solle, benachteilige sie ihn unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (so schon Thüsing in HWK, 11. Aufl. 2024, § 611a BGB Rz. 504 m.w.N.). Eine nachvertragliche Verschwiegenheitsverpflichtung könne sich allenfalls auf einzelne konkret bestimmte Geschäftsgeheimnisse beziehen, weil dies sonst im Widerspruch zu Art. 12 Abs. 1 GG stehe. Die hier zu bewertende Klausel würde einem Arbeitnehmer die Nutzung seines Wissens bei einem neuen Arbeitgeber in adäquater Position oder bei selbstständiger Tätigkeit faktisch untersagen. Dazu bedürfte es eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nach §§ 74 ff. HGB.
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1, §§ 823, 1004 Abs. 1; GeschGehG §§ 2, 6; UWG §§ 3, 8 Abs. 1, § 17; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Das Problem
Die Klägerin, Herstellerin von Füllmaschinen für Lebensmittel und Getränke sowie dazugehörigen Verpackungsmänteln (sog. Sleeves), verlangt vom Beklagten, der bei ihr als Central Technology Manager tätig gewesen war, die Unterlassung der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen. Der Arbeitsvertrag formulierte zur Geheimhaltung:„Herr D. wird über alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie alle sonstigen ihm im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden Angelegenheiten und Vorgänge der Gesellschaft Stillschweigen bewahren. Er wird dafür Sorge tragen, dass Dritte nicht unbefugt Kenntnis erlangen. Die Verpflichtung zur Geheimhaltung besteht auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus und umfasst auch die Inhalte dieses Vertrages.“
Der Beklagte wechselte 2017 zu einem Hauptkunden der Klägerin. Diese warf ihm im Oktober 2018 vor, 2015 unter falschem Namen Geschäftsgeheimnisse an einen Wettbewerber weitergegeben zu haben. Sie nahm ihn aus Verletzung der arbeitsvertraglichen Geheimhaltungsverpflichtung und wegen des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen i.S.v. § 17 Abs. 1 UWG, der bis einschließlich 25.4.2019 gegolten hatte, auf Unterlassung in Anspruch. Das Arbeitsgericht und das LAG haben den Antrag abgewiesen.
Die Entscheidung des Gerichts
Die Revision bleibt erfolglos. Der Senat verneint sowohl gesetzliche Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG als auch vertragliche Ansprüche aus der Geheimhaltungsklausel.Die nach § 2 Nr. 1b) GeschGehG zu ergreifenden Geheimhaltungsmaßnahmen hängen danach von der Art des Geschäftsgeheimnisses und dessen konkreter Nutzung ab. Wer Schutz nach dem GeschGehG begehre, müsse darlegen, welche Geheimhaltungsmaßnahmen er getroffen habe und deren Angemessenheit bezogen auf das Geheimnis im konkreten Einzelfall.
Das habe die Klägerin nicht getan. Ihr Vortrag habe sich auf pauschale Behauptungen beschränkt, so dass eine Beurteilung der Geheimnisschutzmaßnahmen nicht möglich sei. Es fehle an arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitsklauseln und technischen Sicherheitsmaßnahmen sowie an einer angemessenen IT-Sicherheit. Auch bei diesem vor Inkrafttreten des GeschGehG geschehenen Altfall seien die Voraussetzungen des § 6 GeschGehG und nicht nur die des § 17 UWG zu prüfen.
Soweit die Catch-all-Klausel den Beklagten sachlich und zeitlich uneingeschränkt zur Verschwiegenheit verpflichten solle, benachteilige sie ihn unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (so schon Thüsing in HWK, 11. Aufl. 2024, § 611a BGB Rz. 504 m.w.N.). Eine nachvertragliche Verschwiegenheitsverpflichtung könne sich allenfalls auf einzelne konkret bestimmte Geschäftsgeheimnisse beziehen, weil dies sonst im Widerspruch zu Art. 12 Abs. 1 GG stehe. Die hier zu bewertende Klausel würde einem Arbeitnehmer die Nutzung seines Wissens bei einem neuen Arbeitgeber in adäquater Position oder bei selbstständiger Tätigkeit faktisch untersagen. Dazu bedürfte es eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nach §§ 74 ff. HGB.