BAG, Urt. 18.11.2021 - 2 AZR 138/21

BEM ist bei Vorliegen der Voraussetzungen erneut durchzuführen

Autor: RA FAArbR Jürgen Markowski, Markowski – Arbeitsrecht, Offenburg
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 03/2022
Wird ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) erneut – durchgängig oder wiederholt – arbeitsunfähig krank für einen Zeitraum von länger als sechs Wochen, ist der Arbeitgeber grds. verpflichtet, ein weiteres Mal ein bEM durchzuführen, auch wenn nach dem letzten Mal noch kein Jahr vergangen ist.

KSchG § 1 Abs. 2; SGB IX § 167 Abs. 2

Das Problem

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung. Der Kläger ist seit 2001 bei der Beklagten als Produktionshelfer beschäftigt. Er war 2017 an 40 Arbeitstagen, 2018 an 61 Arbeitstagen und 2019 an 103 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Am 5.3.2019 erfolgte ein Gespräch zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM).

Mit Schreiben vom 26.2.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis personenbedingt zum 31.8.2020. In der Zeit vom 5.3.2019 bis zum Ausspruch der Kündigung war der Kläger erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger erhebt fristgemäß Kündigungsschutzklage. Die Beklagte meint, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Insbesondere habe sie vor dem Kündigungsausspruch kein erneutes bEM durchführen müssen. Das Arbeitsgericht und das LAG entsprechen dem klägerischen Begehren. Die Beklagte legt hiergegen Revision ein.

Die Entscheidung des Gerichts

Auch das BAG gibt dem Kläger recht. Eine Kündigung sei nicht i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Krankheit „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gebe. Der Arbeitgeber trage nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Bestehe für ihn die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM gem. § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX und sei er dieser nicht nachgekommen, habe er auch darzulegen und zu beweisen, dass ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erkennen und zu entwickeln. (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, MDR 2015, 778 = ArbRB 2015, 198–199 [Jacobi]).

Dieser Darlegungslast sei die Beklagte nicht nachgekommen. Aufgrund der erneuten Arbeitsunfähigkeitszeiten seit dem ersten bEM habe ihr die Verpflichtung oblegen, ein erneutes bEM durchzuführen, auch wenn zwischen dem Abschluss des ersten bEM noch kein Jahr vergangen sei. Nach dem 5.3.2019 sei der Kläger bis zur Kündigung erneut an 79 Arbeitstagen und damit mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank gewesen. Die Beklagte habe jedoch nicht dargelegt, dass sich – bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – auch bei einem erneuten bEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergeben hätten.


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