BAG, Urt. 1.12.2020 - 9 AZR 102/20

Crowdworker können Arbeitnehmer sein

Autor: RAin FAinArbR Dr. Jessica Jacobi, KLIEMT.Arbeitsrecht, Berlin
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2021
Einfach geartete Tätigkeiten, die auf Basis einer Rahmenvereinbarung über eine Online-Plattform vergeben werden, können zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses führen, wenn die Auftragsvergabe, die konkrete Tätigkeit und deren Umfang im Sinn einer Fremdbestimmung durch die Betreiber der Plattform gelenkt werden.

BGB § 611a Abs. 1 Satz 5

Das Problem

Das BAG hatte erstmals über die Frage zu entscheiden, inwieweit Freelancer-Tätigkeiten, die über eine Plattform im Internet vergeben werden (sog. Crowdworker, Clickworker oder Gigworker) als Arbeitsverhältnis zu betrachten sind.

Im konkreten Fall hatte der Kläger innerhalb knapp eines Jahres etwa 3.000 Einzelaufträge ausgeführt und hiermit ein Durchschnittshonorar von 1.749,34 € pro Monat erzielt, wobei er seine Arbeitszeit mit etwa 20 Wochenstunden angegeben hatte. Seine Aufgabe bestand darin, innerhalb eines Radius von bis zu 50 km von seinem Aufenthaltsort und innerhalb von bis zu zwei Stunden einzelne Tankstellen oder Märkte aufzusuchen, um dort die Warenpräsentation eines Markenherstellers zu prüfen und seine Informationen und Fotos an die beklagte Plattform per App weiterzugeben.

Nachdem die Beklagte ihm zunächst per E-Mail und sodann im Rechtsstreit auch schriftlich gekündigt hatte, war streitig, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Die Vorinstanzen haben die Frage verneint und die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG prüft im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung Satz für Satz den 2017 neu eingeführten § 611a BGB. Dabei verwendet es ggü. der enger gefassten „Weisungsgebundenheit“ den weiteren Begriff der „Lenkung“: Auch ohne konkrete Weisungen auszusprechen, könne der Auftraggeber mittelbar Einfluss nehmen, etwa – wie hier – durch ein Anreizsystem auf der Plattform. Durch die (freiwillige) Annahme einer höheren Anzahl von Aufträgen innerhalb eines kurzen Zeitraums hätten die Auftragnehmer im „Level-System“ der Beklagten aufsteigen können, was Vorteile bei der Anzahl der angebotenen Aufträge habe und dazu führe, dass mehr Kontrollen innerhalb eines kürzeren Zeitraums durchgeführt werden konnten, so dass letztlich ein höherer Stundensatz zu erzielen gewesen sei.


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