BAG, Urt. 20.10.2016 - 2 AZR 395/15
Beweisverwertungsverbot bei verdeckter Videoüberwachung
Autor: RA FAArbR Dr. Patrick Esser,Seitz Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB,Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 04/2017
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 04/2017
Die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten zur Aufdeckung von Straftaten gem. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG setzt lediglich einen „einfachen” Verdacht im Sinn eines Anfangsverdachts voraus, der über vage Anhaltspunkte und bloße Mutmaßungen hinausreichen muss.
BAG, Urt. v. 20.10.2016 - 2 AZR 395/15
Vorinstanz: LAG Köln - 4 Sa 1988/14
BDSG § 32 Abs. 1; BetrVG §§ 87 Abs. 1 Nr. 6, 102; BGB § 626 Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1 u. 3, 2 Abs. 1, 103 Abs. 1; ZPO §§ 138, 286
Die Arbeitgeberin hatte aufgrund von Fehlbeständen im Lagerbereich zunächst den Zutritt zu diesem Bereich untersagt und lediglich zwei Lager-Mitarbeiter von diesem Zutrittsverbot ausgenommen. Nachdem die Fehlbestände dennoch nicht aufgeklärt werden konnten, ließ die Arbeitgeberin eine Videokamera installieren, um den Lagerbereich verdeckt zu überwachen. Hiervon setzte sie nur die beiden Lager-Mitarbeiter und den Betriebsleiter in Kenntnis. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt.
Auf den Videoaufzeichnungen war der Kläger zu sehen, wie er das Lager betrat und Gegenstände in seiner Hosentasche verstaute. In dem gegen die daraufhin ausgesprochene Kündigung geführten Rechtsstreit beruft sich der Kläger u.a. darauf, dass die Videoaufnahmen im Prozess nicht verwertet werden dürften.
Zur Begründung wiederholt das BAG die bereits jüngst nochmals herausgearbeiteten Grundsätze zu einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, MDR 2017, 344 = ArbRB 2017, 36 f. [Esser], ArbRB online), welches nur dann in Betracht kommt, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position zwingend geboten ist.
Entscheidend sei, ob durch die Videoaufzeichnungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden sei. Diese Frage konnte das BAG hier nicht abschließend beurteilen. Es sei nicht auszuschließen, dass die verdeckte Videoüberwachung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig gewesen sei. Auch hier nimmt das BAG auf die Entscheidung vom 22.9.2016 Bezug, wonach insbesondere ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung erforderlich ist. Das BAG stellt hierzu klar, dass ein „Anfangsverdacht” bzw. ein durch konkrete Tatsachen belegter „einfacher” Verdacht im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ausreichend ist. Dieser Verdachtsgrad sei hier nicht ausgeschlossen, weil Fehlbestände von leicht zu entfernenden Teilen in kurzen zeitlichen Abständen nach der Lebenserfahrung auf Straftaten der in diesem Bereich sich aufhaltenden Mitarbeiter hindeuteten. Ein „dringender” Tatverdacht sei nicht erforderlich.
Auch die fehlende Beteiligung des Betriebsrats stehe einer möglichen Verwertung der Videoaufzeichnungen nicht entgegen, weil die Zulässigkeit der Beweisverwertung nach allgemeinen Grundsätzen dazu führe, dass sich ein etwaiges Verwertungsverbot nicht aus der Missachtung des Mitbestimmungsrechts ergeben könne.
BAG, Urt. v. 20.10.2016 - 2 AZR 395/15
Vorinstanz: LAG Köln - 4 Sa 1988/14
BDSG § 32 Abs. 1; BetrVG §§ 87 Abs. 1 Nr. 6, 102; BGB § 626 Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1 u. 3, 2 Abs. 1, 103 Abs. 1; ZPO §§ 138, 286
Das Problem
Die Parteien streiten in einem Kündigungsschutzverfahren über die prozessuale Verwertbarkeit von verdeckten Videoaufnahmen und daraus gewonnener Erkenntnisse.Die Arbeitgeberin hatte aufgrund von Fehlbeständen im Lagerbereich zunächst den Zutritt zu diesem Bereich untersagt und lediglich zwei Lager-Mitarbeiter von diesem Zutrittsverbot ausgenommen. Nachdem die Fehlbestände dennoch nicht aufgeklärt werden konnten, ließ die Arbeitgeberin eine Videokamera installieren, um den Lagerbereich verdeckt zu überwachen. Hiervon setzte sie nur die beiden Lager-Mitarbeiter und den Betriebsleiter in Kenntnis. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt.
Auf den Videoaufzeichnungen war der Kläger zu sehen, wie er das Lager betrat und Gegenstände in seiner Hosentasche verstaute. In dem gegen die daraufhin ausgesprochene Kündigung geführten Rechtsstreit beruft sich der Kläger u.a. darauf, dass die Videoaufnahmen im Prozess nicht verwertet werden dürften.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG hat die stattgebenden Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen, weil eine Verwertung der Videoaufnahmen nicht ausgeschlossen ist.Zur Begründung wiederholt das BAG die bereits jüngst nochmals herausgearbeiteten Grundsätze zu einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, MDR 2017, 344 = ArbRB 2017, 36 f. [Esser], ArbRB online), welches nur dann in Betracht kommt, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position zwingend geboten ist.
Entscheidend sei, ob durch die Videoaufzeichnungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden sei. Diese Frage konnte das BAG hier nicht abschließend beurteilen. Es sei nicht auszuschließen, dass die verdeckte Videoüberwachung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig gewesen sei. Auch hier nimmt das BAG auf die Entscheidung vom 22.9.2016 Bezug, wonach insbesondere ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung erforderlich ist. Das BAG stellt hierzu klar, dass ein „Anfangsverdacht” bzw. ein durch konkrete Tatsachen belegter „einfacher” Verdacht im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ausreichend ist. Dieser Verdachtsgrad sei hier nicht ausgeschlossen, weil Fehlbestände von leicht zu entfernenden Teilen in kurzen zeitlichen Abständen nach der Lebenserfahrung auf Straftaten der in diesem Bereich sich aufhaltenden Mitarbeiter hindeuteten. Ein „dringender” Tatverdacht sei nicht erforderlich.
Auch die fehlende Beteiligung des Betriebsrats stehe einer möglichen Verwertung der Videoaufzeichnungen nicht entgegen, weil die Zulässigkeit der Beweisverwertung nach allgemeinen Grundsätzen dazu führe, dass sich ein etwaiges Verwertungsverbot nicht aus der Missachtung des Mitbestimmungsrechts ergeben könne.