BAG, Urt. 22.7.2021 - 2 AZR 6/21
Betriebsübergang – Verwirkung des Widerspruchsrechts bei fehlerhafter Unterrichtung nach sieben Jahren
Autor: Rechtsanwalt & Mediator Dr. Ralf Steffan, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 10/2021
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 10/2021
Eine fehlerhafte Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB setzt die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Lauf. Bei einer widerspruchslosen Weiterarbeit beim Betriebserwerber über einen Zeitraum von sieben Jahren kann sich der Widerspruch allein aufgrund des Zeitablaufs als mit Treu und Glauben unvereinbar erweisen. Ein zeitlich begrenztes Rückkehrrecht nach dem Betriebsübergang schiebt diesen Zeitraum nicht hinaus.
BGB § 242, § 613a Abs. 5 u. 6
Der Kläger ist der Ansicht, er habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen, so dass dieses bei der Beklagten fortbestehe. Aufgrund einer fehlerhaften Unterrichtung sei die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Gang gesetzt worden. Sein Widerspruchsrecht sei nicht verwirkt, weil die Beklagte schon aufgrund des tarifvertraglichen Rückkehrrechts mit dem Widerspruch habe rechnen müssen. Außerdem könne sie sich auf eine Verwirkung ohnehin nicht berufen, weil dies treuwidrig wäre. Der Betriebsübergang habe nur den Zweck verfolgt, den Betrieb mit einem großen Anteil ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer in die Insolvenz zu führen.
Die Verwirkung setze ein Zeit- und ein Umstandsmoment voraus, die sich wechselseitig beeinflussen. Für das Umstandsmoment müssen das Verhalten des Verpflichteten und des Berechtigten es rechtfertigen,
Dies nimmt das BAG mit den Vorinstanzen bei der hier vorliegenden Zeitspanne von etwa acht Jahren an. Das Zeitmoment beginne mit dem Ablauf der Monatsfrist nach § 613a Abs. 6 BGB und sei nicht etwa durch das tarifvertragliche Rückkehrrecht „hinausgeschoben“ worden. Auch habe das LAG den Einwand, der Beklagte habe von Anfang an geplant, die Erwerberin in die Insolvenz zu treiben, umfassend geprüft und im Ergebnis das Verhalten der Beklagten in nicht zu beanstandender Weise als nicht treuwidrig erachtet.
BGB § 242, § 613a Abs. 5 u. 6
Das Problem
Der Kläger hatte dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die Erwerberin ca. acht Jahre nach dem Betriebsübergang bzw. dem Zugang des Informationsschreibens über den Betriebsübergang widersprochen. Kurze Zeit später kündigte die Erwerberin sein Arbeitsverhältnis wegen Insolvenz. Im Zusammenhang mit der Veräußerung des Betriebs hatte die zuständige Gewerkschaft mit der Beklagten und der Erwerberin einen Überleitungstarifvertrag abgeschlossen, der den vom Betriebsübergang erfassten Arbeitnehmern für ca. viereinhalb Jahre ein Rückkehrrecht zur Beklagten für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung durch die Erwerberin einräumte.Der Kläger ist der Ansicht, er habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen, so dass dieses bei der Beklagten fortbestehe. Aufgrund einer fehlerhaften Unterrichtung sei die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Gang gesetzt worden. Sein Widerspruchsrecht sei nicht verwirkt, weil die Beklagte schon aufgrund des tarifvertraglichen Rückkehrrechts mit dem Widerspruch habe rechnen müssen. Außerdem könne sie sich auf eine Verwirkung ohnehin nicht berufen, weil dies treuwidrig wäre. Der Betriebsübergang habe nur den Zweck verfolgt, den Betrieb mit einem großen Anteil ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer in die Insolvenz zu führen.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG weist die Revision des Klägers zurück und schließt sich in der Sache den Vorinstanzen an. Zwar sei die Widerspruchsfrist aufgrund der fehlenden Information über das Haftungssystem, das Kündigungsverbot sowie die einjährige Veränderungssperre nicht angelaufen; das Widerspruchsrecht sei mittlerweile jedoch verwirkt.Die Verwirkung setze ein Zeit- und ein Umstandsmoment voraus, die sich wechselseitig beeinflussen. Für das Umstandsmoment müssen das Verhalten des Verpflichteten und des Berechtigten es rechtfertigen,
- die späte Geltendmachung des Widerspruchsrechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und
- für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen.
Dies nimmt das BAG mit den Vorinstanzen bei der hier vorliegenden Zeitspanne von etwa acht Jahren an. Das Zeitmoment beginne mit dem Ablauf der Monatsfrist nach § 613a Abs. 6 BGB und sei nicht etwa durch das tarifvertragliche Rückkehrrecht „hinausgeschoben“ worden. Auch habe das LAG den Einwand, der Beklagte habe von Anfang an geplant, die Erwerberin in die Insolvenz zu treiben, umfassend geprüft und im Ergebnis das Verhalten der Beklagten in nicht zu beanstandender Weise als nicht treuwidrig erachtet.