BAG, Urt. 23.1.2020 - 8 AZR 484/18
Nichteinladung schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch – Widerlegung der vermuteten Benachteiligung
Autor: RAin FAinArbR Daniela Range-Ditz, Dr. Ditz und Partner, Rastatt
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2020
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2020
Die Nichteinladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch beim öffentlichen Arbeitgeber entgegen § 82 Satz 2 SGB IX a.F. (inzwischen § 165 SGB IX) kann einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung i.S.v. §§ 22, 3 Abs. 1 AGG begründen.§ 82 Satz 2 SGB IX a.F. normiert lediglich eine Verfahrenspflicht öffentlicher Arbeitgeber zugunsten schwerbehinderter Bewerber. Die daraus folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen Schwerbehinderung kann der öffentliche Arbeitgeber jedoch widerlegen.
SGB IX § 82 Satz 2 a.F.; AGG §§ 22, 3 Abs. 1
Der Kläger hat sich auf eine vom beklagten Land im August 2015 ausgeschriebene Ausbildungsstelle für den Gerichtsvollzieherdienst per E-Mail am 3.8.2015 beworben. Dabei hat er auf seine Schwerbehinderung deutlich hingewiesen. Der Kläger hat am selben Tag eine Lesebestätigung vom beklagten Land erhalten. Letztendlich ist jedoch die E-Mail weder ausgedruckt noch bearbeitet worden.
Nachdem der Kläger zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist und auch keine Absage erhalten hat, hat er am 14.12.2015 das beklagte Land zur Zahlung einer Entschädigung i.H.v. drei Bruttomonatsgehältern aufgefordert. Das beklagte Land hat eine Zahlung abgelehnt, weshalb der Kläger am 11.3.2016 Entschädigungsklage über 7.434,39 € erhebt. Zu Recht?
Da es sich bei § 82 Satz 2 SGB IX a.F. lediglich um eine Verfahrenspflicht für öffentliche Arbeitgeber zugunsten schwerbehinderter Bewerber handele, könne der Arbeitgeber die daraus resultierende Vermutung einer Benachteiligung widerlegen. Es entspreche sowohl der Rechtshistorie als auch Art. 5 Satz 1 RL 2000/78/EG, dass der Gesetzgeber allein in einem Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Einladungspflicht keine entschädigungspflichtige Benachteiligung sehe. Vielmehr begründe ein derartiger Verstoß nur die Vermutung einer entschädigungspflichtigen Benachteiligung. Diese sei vom Arbeitgeber grds. widerlegbar.
Das gelte unabhängig davon, ob die für das beklagte Land handelnden Personen – wie hier vorgetragen – von der zugegangenen Bewerbung des Klägers tatsächlich keine Kenntnis nehmen konnten. Ein fehlendes Bewusstsein, den Arbeitnehmer zu benachteiligen, stehe der Vermutungsregel nicht entgegen. Das beklagte Land müsse für eine Widerlegung Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergebe, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben. Ferner dürfen diese Gründe auch nicht die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers berühren.
Im Streitfall habe das beklagte Land jedoch schon keine Tatsachen vorgetragen, dass es aufgrund besonderer, ihm nicht zurechenbarer Umstände nicht die Möglichkeit gehabt habe, eine entsprechend § 130 BGB zugegangene Bewerbung tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen.
SGB IX § 82 Satz 2 a.F.; AGG §§ 22, 3 Abs. 1
Das Problem
Der schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger begehrt vom beklagten Land eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen Schwerbehinderung.Der Kläger hat sich auf eine vom beklagten Land im August 2015 ausgeschriebene Ausbildungsstelle für den Gerichtsvollzieherdienst per E-Mail am 3.8.2015 beworben. Dabei hat er auf seine Schwerbehinderung deutlich hingewiesen. Der Kläger hat am selben Tag eine Lesebestätigung vom beklagten Land erhalten. Letztendlich ist jedoch die E-Mail weder ausgedruckt noch bearbeitet worden.
Nachdem der Kläger zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist und auch keine Absage erhalten hat, hat er am 14.12.2015 das beklagte Land zur Zahlung einer Entschädigung i.H.v. drei Bruttomonatsgehältern aufgefordert. Das beklagte Land hat eine Zahlung abgelehnt, weshalb der Kläger am 11.3.2016 Entschädigungsklage über 7.434,39 € erhebt. Zu Recht?
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG spricht dem Kläger – wie auch schon die Vorinstanz – einen Entschädigungsanspruch i.H.v. 3.717,20 € zu. Anders, als das LAG angenommen habe, folge dieser Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG jedoch nicht unmittelbar aus dem Umstand, dass das beklagte Land den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe.Da es sich bei § 82 Satz 2 SGB IX a.F. lediglich um eine Verfahrenspflicht für öffentliche Arbeitgeber zugunsten schwerbehinderter Bewerber handele, könne der Arbeitgeber die daraus resultierende Vermutung einer Benachteiligung widerlegen. Es entspreche sowohl der Rechtshistorie als auch Art. 5 Satz 1 RL 2000/78/EG, dass der Gesetzgeber allein in einem Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Einladungspflicht keine entschädigungspflichtige Benachteiligung sehe. Vielmehr begründe ein derartiger Verstoß nur die Vermutung einer entschädigungspflichtigen Benachteiligung. Diese sei vom Arbeitgeber grds. widerlegbar.
Das gelte unabhängig davon, ob die für das beklagte Land handelnden Personen – wie hier vorgetragen – von der zugegangenen Bewerbung des Klägers tatsächlich keine Kenntnis nehmen konnten. Ein fehlendes Bewusstsein, den Arbeitnehmer zu benachteiligen, stehe der Vermutungsregel nicht entgegen. Das beklagte Land müsse für eine Widerlegung Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergebe, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben. Ferner dürfen diese Gründe auch nicht die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers berühren.
Im Streitfall habe das beklagte Land jedoch schon keine Tatsachen vorgetragen, dass es aufgrund besonderer, ihm nicht zurechenbarer Umstände nicht die Möglichkeit gehabt habe, eine entsprechend § 130 BGB zugegangene Bewerbung tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen.