BAG, Urt. 23.1.2024 - 9 AZR 115/23

Zur Einschränkung der Rechtswahlklausel bei Regelungen im Formulararbeitsvertrag

Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, BOISSERÉE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 06/2024
Trotz wirksamer Rechtswahlklausel sind die Bestimmungen eines vorformulierten Arbeitsvertrags stets der AGB-Kontrolle zu unterziehen, da diese Vorschriften zwingende Bestimmungen i.S.v. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO darstellen.

Rom I-VO Art. 8; BGB §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 1

Das Problem

Der Kläger ist deutscher Staatsbürger und war als Flugzeugkapitän einer Boeing 737-800 bei der beklagten Fluggesellschaft mit Sitz in Dublin (Irland) beschäftigt. Während seiner Tätigkeit war er nahezu vollständig am Flughafen Berlin-Schönefeld stationiert.

Im Arbeitsvertrag war eine Rückzahlungsklausel hinsichtlich Schulungskosten für einen Kurs für die Boeing 737 Transition Type Rating („Kurs“) i.H.v. 25.000 € enthalten, die eine stufenweise Rückzahlung über einen Zeitraum von fünf Jahren enthielt. Die Nichterstattung der Kosten war nur für Fälle der Kündigung aus Gründen der Freisetzung von Arbeitskräften oder einer anderslautenden schriftlichen Vereinbarung der Parteien vorgesehen. Der Arbeitsvertrag enthielt zudem eine Rechtswahl- und Gerichtsstandsklausel zugunsten irischen Rechts und irischer Gerichtsbarkeit.

Der Kläger absolvierte den Kurs erfolgreich. Er kündigte das Arbeitsverhältnis ein Jahr danach. Nach Auffassung der Beklagten bestand eine Rückerstattungspflicht hinsichtlich der Schulungskosten, welche sie in den darauffolgenden Entgeltabrechnungen durch Abzug vom Nettoentgelt aufrechnete.

Der Kläger begehrt mit der Klage Auszahlung des einbehaltenen Gehalts. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG haben ihm Recht gegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die beantragte Klageabweisung.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG weist die Revision zurück. Die Aufrechnung der Beklagten sei unzulässig gewesen, da die Rückzahlungsklausel hinsichtlich der Schulungskosten nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei. Deutsches Recht sei insoweit anwendbar.

Trotz der Rechtswahlklausel seien zwingende Rechtsnormen des ansonsten anzuwendenden Rechts nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO zu beachten. Diese Vorschrift bezwecke, dass dem Arbeitnehmer kein unabdingbarer gesetzlicher Schutz entzogen werde, der ihm ohne Rechtswahlklausel nach den Voraussetzungen der Art. 8 Abs. 2 und Abs. 4 Rom I-VO zugestanden hätte. Gemäß Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO wäre im konkreten Fall wegen des regelmäßigen Arbeitsortes Berlin-Schönefeld ohne Rechtswahlklausel deutsches Recht anzuwenden gewesen.

Die Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB seien zwingende Rechtsnormen, die durch eine Rechtswahlklausel nicht abbedungen werden könnten. Die Vorschriften seien zwar nicht ausschließlich dem Bereich des Arbeitsrechts zuzuschreiben, jedoch dienten sie zumindest (auch) dem Schutz von Arbeitnehmern, was für den weiten Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO ausreiche.

Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sei die Rückzahlungsklausel unwirksam, da diese aufgrund mangelnder Differenzierung nach dem Ausscheidensgrund den Kläger entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Insbesondere sei die Fallkonstellation textlich nicht berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer aus Gründen aus der Arbeitgebersphäre kündige.

Der Verstoß führe zur Gesamtunwirksamkeit der Regelung, welche auch nicht mit einem zulässigen Inhalt aufrechtzuerhalten sei (sog. „blue-pencil-test“).


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