BAG, Urt. 23.5.2024 - 6 AZR 155/21
Zur Wirksamkeit von Kündigungen bei Verstoß gegen Übermittlungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG
Autor: RA FAArbR Dr. Patrick Esser, Seitz Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2024
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2024
Der Verstoß des Arbeitgebers gegen die Übermittlungspflicht gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit der im Rahmen einer Massenentlassung erklärten Kündigung(en).
KSchG § 17 Abs. 3 Satz 1; BGB § 134; MERL Art. 2 Abs. 3
Die insolvente Arbeitgeberin fasste den Beschluss, den Geschäftsbetrieb vollständig einzustellen und übermittelte dem Betriebsrat den Entwurf eines Interessenausgleichs. Mit den Interessenausgleichsverhandlungen sollten die aufgrund der beabsichtigten Massenentlassung erforderlichen Konsultationen mit dem Betriebsrat verbunden werden. Entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG übermittelte die Arbeitgeberin der Agentur für Arbeit keine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat.
Nach Abschluss des Interessenausgleichs und Erstattung der Massenentlassungsanzeige kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger.
Der Kläger wendet sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung aufgrund der unterbliebenen Übermittlung einer Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden Mitteilung an die Agentur für Arbeit. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Der Verstoß gegen die Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt demnach nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Hat der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren gar nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, ist die Kündigung gem. § 134 BGB grds. nichtig. Ungeachtet der Zugehörigkeit der Übermittlungspflicht zum Konsultationsverfahren ist eine Kündigung gleichwohl nicht unwirksam, wenn der Arbeitgeber keine Abschrift der das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat einleitenden Mitteilung an die zuständige Agentur für Arbeit übermittelt. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist ausgehend vom Zweck der Übermittlungspflicht kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB.
Die Übermittlung erfolgt in einem Stadium, in dem eine Massenentlassung lediglich beabsichtigt ist. Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 MERL bezweckt nur die Information und Vorbereitung der zuständigen Behörde. Die Agentur für Arbeit hat im Konsultationsverfahren keine aktive Rolle. Die individuelle Situation der Arbeitnehmer kann sie nicht würdigen.
Der Zweck des Konsultationsverfahrens, durch die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern Kündigungen von Arbeitsverhältnissen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken bzw. ihre Folgen zu mildern, kann ungeachtet eines Verstoßes gegen die Übermittlungspflicht uneingeschränkt erreicht werden, wenn das zuständige Gremium ordnungsgemäß unterrichtet worden ist.
KSchG § 17 Abs. 3 Satz 1; BGB § 134; MERL Art. 2 Abs. 3
Das Problem
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer im Rahmen einer Massenentlassung erklärten betriebsbedingten Kündigung.Die insolvente Arbeitgeberin fasste den Beschluss, den Geschäftsbetrieb vollständig einzustellen und übermittelte dem Betriebsrat den Entwurf eines Interessenausgleichs. Mit den Interessenausgleichsverhandlungen sollten die aufgrund der beabsichtigten Massenentlassung erforderlichen Konsultationen mit dem Betriebsrat verbunden werden. Entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG übermittelte die Arbeitgeberin der Agentur für Arbeit keine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat.
Nach Abschluss des Interessenausgleichs und Erstattung der Massenentlassungsanzeige kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger.
Der Kläger wendet sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung aufgrund der unterbliebenen Übermittlung einer Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden Mitteilung an die Agentur für Arbeit. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG weist die Revision des Klägers zurück. Die Kündigung der Arbeitgeberin ist wirksam. Vorausgegangen war zunächst eine Vorlage an den EuGH, die mit Urteil vom 13.7.2023 (EuGH v. 13.7.2023 – C-134/22 – G GmbH, ArbRB 2024, 227 [Esser]) entschieden wurde.Der Verstoß gegen die Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt demnach nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Hat der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren gar nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, ist die Kündigung gem. § 134 BGB grds. nichtig. Ungeachtet der Zugehörigkeit der Übermittlungspflicht zum Konsultationsverfahren ist eine Kündigung gleichwohl nicht unwirksam, wenn der Arbeitgeber keine Abschrift der das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat einleitenden Mitteilung an die zuständige Agentur für Arbeit übermittelt. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist ausgehend vom Zweck der Übermittlungspflicht kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB.
Die Übermittlung erfolgt in einem Stadium, in dem eine Massenentlassung lediglich beabsichtigt ist. Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 MERL bezweckt nur die Information und Vorbereitung der zuständigen Behörde. Die Agentur für Arbeit hat im Konsultationsverfahren keine aktive Rolle. Die individuelle Situation der Arbeitnehmer kann sie nicht würdigen.
Der Zweck des Konsultationsverfahrens, durch die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern Kündigungen von Arbeitsverhältnissen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken bzw. ihre Folgen zu mildern, kann ungeachtet eines Verstoßes gegen die Übermittlungspflicht uneingeschränkt erreicht werden, wenn das zuständige Gremium ordnungsgemäß unterrichtet worden ist.