BAG, Urt. 25.8.2020 - 9 AZR 214/19

Verfall von tariflichem Mehrurlaub

Autor: RAin FAinArbR Daniela Range-Ditz, Dr. Ditz u. Partner, Rastatt
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 02/2021
Enthält ein Tarifvertrag ein eigenständiges, vom BUrlG abweichendes Fristenregime, so kann der tarifliche Mehrurlaub auch bei Fortbestehen der Krankheit des Arbeitnehmers bereits drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlöschen.

BUrlG § 7 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 3; BGB § 280 Abs. 1 u. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1; BMTV Süßwarenindustrie § 12

Das Problem

Der Kläger begehrt tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2016. Vom 19.1.2016 bis 2.6.2017 war er krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Sein im August 2017 gestellter Urlaubsantrag wurde von der Beklagten nur in Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubs bewilligt. Hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubs berief sich die Beklagte auf die zwischen den Parteien geltende Regelung des Bundesmanteltarifvertrags der Süßwarenindustrie (BMTV). Dort heißt es in § 12 Abs. 4 Ziff. 3 wie folgt:

Der Urlaubsanspruch erlischt am 31. März des folgenden Jahres, sofern er nicht vorher vergeblich geltend gemacht worden ist.

Der Kläger begehrte Feststellung, dass er für das Jahr 2016 einen Ersatzurlaubsanspruch i.H.v. zehn Tagen habe. Wegen Krankheit sei die Inanspruchnahme unmöglich gewesen. Ferner sei er von der Beklagten weder zur Urlaubnahme aufgefordert noch darauf hingewiesen worden, dass nicht beantragter Urlaub verfallen könne. Zu Recht?

Die Entscheidung des Gerichts

Die Klage ist in allen Instanzen erfolglos geblieben. Der tarifliche Mehrurlaub für das Jahr 2016 sei gem. § 12 Abs. 4 Ziff. 3 BMTV schon deshalb verfallen, weil der Kläger dessen Gewährung erstmals nach dem 31.3.2017 verlangt habe.

Der Verfall des tariflichen Mehrurlaubs unterliege nicht dem gleichen Fristenregime wie der gesetzliche Mindesturlaub. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche frei regeln, sofern, wie hier geschehen, der tarifliche Urlaub den Mindestjahresurlaub nach dem BUrlG übersteige.

Dem unabdingbaren Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs sei dadurch Rechnung getragen, dass die tarifliche Regelung den Urlaubsanspruch ohne Übertragungsnotwendigkeit zumindest bis zum 31.3. des Folgejahres zugestehe. Zudem sei sein Erlöschen bei rechtzeitiger Geltendmachung ausgeschlossen. Der BMTV regele aber auch deutlich, dass noch offener Urlaub bei fehlender Geltendmachung ausnahmslos, d.h. auch bei Erkrankung des Arbeitnehmers, am 31.3. des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres verfallen solle.

Der Arbeitgeber habe keine Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Dies ergebe sich aus dem vom BUrlG abweichenden Fristenregime, da der Tarifvertrag zwischen dem gesetzlichen und tariflichen Urlaubsanspruch explizit unterscheide. Damit weise der BMTV dem Arbeitnehmer ausdrücklich die Initiativlast für die Verwirklichung des Mehrurlaubsanspruchs zu.


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