BAG, Urt. 27.4.2017 - 2 AZR 67/16
Berücksichtigung der Rentenberechtigung bei der Sozialauswahl
Autor: RAin FAinArbR Dr. Christina Suberg,Suberg Kanzlei für Arbeitsrecht, München
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2017
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2017
Ein regelaltersrentenberechtigter Arbeitnehmer ist bei der Sozialauswahl hinsichtlich des Kriteriums „Lebensalter” deutlich weniger schutzbedürftig als ein Arbeitnehmer, der noch keine Altersrente beanspruchen kann.
BAG, Urt. v. 27.4.2017 - 2 AZR 67/16
Vorinstanz: LAG Hamm - 13 Sa 166/15
KSchG §§ 1, 10; SGB VI §§ 35, 41; RL 2000/78/EG Art. 6
Der Gesetzgeber verstehe das Lebensalter dabei als abstrakten Maßstab für die Vermittlungschancen eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt. Dies komme mit hinreichender Deutlichkeit in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG in der bis zum 11.12.2006 geltenden Fassung zum Ausdruck. Der Gesetzeszweck gebiete es, einen Arbeitnehmer, der bereits Regelaltersrente beziehen könne, jedenfalls hinsichtlich dieses Auswahlkriteriums als deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen als Arbeitnehmer, die noch keinen Anspruch auf Altersrente hätten. Die Annahme, dass der Verlust des Arbeitsverhältnisses einen Arbeitnehmer weniger hart treffe, wenn er Regelaltersrente beziehen könne, liege auch § 10 Abs. 2 Satz 2 KSchG zugrunde. § 41 Satz 1 SGB VI verbiete es nicht, den Rentenbezug bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen. In der aufgezeigten Auslegung verstoße § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auch nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG.
BAG, Urt. v. 27.4.2017 - 2 AZR 67/16
Vorinstanz: LAG Hamm - 13 Sa 166/15
KSchG §§ 1, 10; SGB VI §§ 35, 41; RL 2000/78/EG Art. 6
Das Problem
Die Parteien streiten über eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung. Die vom Arbeitgeber getroffene soziale Auswahl war auf den Kläger gefallen. Er ist zwar älter und war länger beschäftigt als eine (einem Kind zum Unterhalt verpflichtete) Kollegin, war allerdings zum Zeitpunkt der Kündigung bereits durch den Bezug der Regelaltersrente wirtschaftlich abgesichert. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kündigung gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 KSchG verstoße, weil die Beklagte mit dem Abstellen auf seine Altersrente soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt habe.Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG stellt fest, dass der Beklagte den Kläger – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – als deutlich weniger schutzbedürftig ansehen musste als dessen Kollegin. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG solle grds. dem Arbeitnehmer gekündigt werden, der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen sei. Dies bestimme sich allein nach den Kriterien Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Lebensalter und Schwerbehinderung.Der Gesetzgeber verstehe das Lebensalter dabei als abstrakten Maßstab für die Vermittlungschancen eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt. Dies komme mit hinreichender Deutlichkeit in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG in der bis zum 11.12.2006 geltenden Fassung zum Ausdruck. Der Gesetzeszweck gebiete es, einen Arbeitnehmer, der bereits Regelaltersrente beziehen könne, jedenfalls hinsichtlich dieses Auswahlkriteriums als deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen als Arbeitnehmer, die noch keinen Anspruch auf Altersrente hätten. Die Annahme, dass der Verlust des Arbeitsverhältnisses einen Arbeitnehmer weniger hart treffe, wenn er Regelaltersrente beziehen könne, liege auch § 10 Abs. 2 Satz 2 KSchG zugrunde. § 41 Satz 1 SGB VI verbiete es nicht, den Rentenbezug bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen. In der aufgezeigten Auslegung verstoße § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auch nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG.