BAG, Urt. 28.5.2020 - 8 AZR 170/19 20
AGG: Doppelfunktion der Entschädigung
Autor: RAin FAinArbR Dr. Cornelia Marquardt, maat Rechtsanwälte, München
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2020
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2020
Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention (Doppelfunktion). Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit steht den Tatsachengerichten bei der Festlegung der Entschädigung ein weiter Spielraum zu.
AGG § 15 Abs. 2; ZPO § 287 Abs. 1
Die von der Beklagten im erstinstanzlichen Gütetermin ausgesprochene Einladung zu einem Bewerbungsgespräch im Rahmen einer weiteren Stellenausschreibung hat der Kläger abgelehnt.
Diese Entschädigung habe eine Doppelfunktion: Sie diene einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention. Dafür müsse die Entschädigung, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleisten und in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Eine rein symbolische Entschädigung werde dem nicht gerecht. Zugleich seien die tatsächlich entstandenen Nachteile auszugleichen.
Ein Verschulden setze die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht voraus. Ein fehlendes Verschulden oder ein geringer Grad des Verschuldens könne bei der Bemessung der Entschädigung nicht zu Lasten der benachteiligten Person bzw. zugunsten des benachteiligenden Arbeitgebers berücksichtigt werden.
Die in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bestimmte Grenze von drei Monatsgehältern stelle keinen Rahmen dar, wonach die Entschädigung zwischen „null“ und „drei“ der auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsentgelte zu betragen habe. Sie sei vielmehr eine Kappungs- bzw. Höchstgrenze. Die Höhe der angemessenen Entschädigung sei zunächst ohne Rücksicht auf irgendeine Begrenzung zu ermitteln und erst danach ggf. zu kappen.
Bei der Bestimmung der angemessenen Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden stehe den Tatsachengerichten nach § 287 Abs. 1 ZPO ein weiter Ermessensspielraum zu. Die Festsetzung der Entschädigung unterliege deshalb einer eingeschränkten Überprüfung nur darauf, ob die Rechtsnorm zutreffend ausgelegt, ein Ermessen ausgeübt, die Ermessensgrenze nicht überschritten und von dem Ermessen fehlerfreier Gebrauch gemacht worden sei.
Die Festlegung der dem Kläger von der Beklagten nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlenden Entschädigung durch das LAG mit nur 1.000,- € sei danach rechtsfehlerhaft und durch einen Betrag i.H.v. 5.100,- € zu ersetzen gewesen. Dieser Betrag entspreche ca. 1,5 der auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsentgelte und sei erforderlich und ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen.
AGG § 15 Abs. 2; ZPO § 287 Abs. 1
Das Problem
Der Kläger macht eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend, weil ihn die Beklagte aufgrund seiner Schwerbehinderung in einem Bewerbungsprozess benachteiligt habe. Die Benachteiligung sei schon dadurch belegt, dass die Beklagte ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe.Die von der Beklagten im erstinstanzlichen Gütetermin ausgesprochene Einladung zu einem Bewerbungsgespräch im Rahmen einer weiteren Stellenausschreibung hat der Kläger abgelehnt.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG gibt der Revision des Klägers statt. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG könne der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden sei, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, die nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bei Nichteinstellung bis zu drei Monatsgehälter betrage, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.Diese Entschädigung habe eine Doppelfunktion: Sie diene einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention. Dafür müsse die Entschädigung, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleisten und in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Eine rein symbolische Entschädigung werde dem nicht gerecht. Zugleich seien die tatsächlich entstandenen Nachteile auszugleichen.
Ein Verschulden setze die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht voraus. Ein fehlendes Verschulden oder ein geringer Grad des Verschuldens könne bei der Bemessung der Entschädigung nicht zu Lasten der benachteiligten Person bzw. zugunsten des benachteiligenden Arbeitgebers berücksichtigt werden.
Die in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bestimmte Grenze von drei Monatsgehältern stelle keinen Rahmen dar, wonach die Entschädigung zwischen „null“ und „drei“ der auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsentgelte zu betragen habe. Sie sei vielmehr eine Kappungs- bzw. Höchstgrenze. Die Höhe der angemessenen Entschädigung sei zunächst ohne Rücksicht auf irgendeine Begrenzung zu ermitteln und erst danach ggf. zu kappen.
Bei der Bestimmung der angemessenen Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden stehe den Tatsachengerichten nach § 287 Abs. 1 ZPO ein weiter Ermessensspielraum zu. Die Festsetzung der Entschädigung unterliege deshalb einer eingeschränkten Überprüfung nur darauf, ob die Rechtsnorm zutreffend ausgelegt, ein Ermessen ausgeübt, die Ermessensgrenze nicht überschritten und von dem Ermessen fehlerfreier Gebrauch gemacht worden sei.
Die Festlegung der dem Kläger von der Beklagten nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlenden Entschädigung durch das LAG mit nur 1.000,- € sei danach rechtsfehlerhaft und durch einen Betrag i.H.v. 5.100,- € zu ersetzen gewesen. Dieser Betrag entspreche ca. 1,5 der auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsentgelte und sei erforderlich und ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen.