BAG, Urt. 29.6.2017 - 2 AZR 47/16
Außerordentliche Kündigung wegen Drohung – Verwertbarkeit bei BEM
Autor: RAin FAinArbR Dr. Cornelia Marquardt,Norton Rose Fulbright LLP München
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 12/2017
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 12/2017
Bedroht ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Gleiches gilt für eine ernstliche Selbstmorddrohung, mit der ein Arbeitnehmer Druck auf den Arbeitgeber ausüben möchte, um eigene Interessen oder Forderungen durchzusetzen.Entsprechende Aussagen des Arbeitnehmers dürfen auch dann verwertet werden, wenn sie im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements erfolgt sind.
BAG, Urt. v. 29.6.2017 - 2 AZR 47/16
Vorinstanz: Hessisches LAG - 2 Sa 1305/14
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BDSG § 1 Abs. 2; BGB § 626 Abs. 1 u. Abs. 2
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos; eine ordentliche Kündigung schied aufgrund tariflichen Sonderkündigungsschutzes aus. Hiergegen richtet sich die vorliegende Kündigungsschutzklage. Diese weist das Arbeitsgericht ab; das LAG gibt ihr statt.
Zudem scheide die Ernstlichkeit einer Drohung nicht allein deswegen aus, weil sie sich „letztlich” als „nicht glaubhaft” herausstelle. Entscheidend sei vielmehr, ob die relevante Äußerung nach ihrem Erklärungsgehalt objektiv geeignet sei, bei einem „normal” empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu wecken und ob der Drohende wolle, dass der Adressat die Drohung ernst nehme. Ob der Drohende die Ankündigung auch verwirklichen wolle bzw. könne, sei ebenso wenig relevant wie der Umstand, ob der Adressat sie tatsächlich ernst nehme.
Der Verwertung der klägerischen Aussagen stehe nicht entgegen, dass diese im Rahmen eines BEM gefallen seien. Die Teilnahme eines Arbeitnehmers am BEM steigere nicht generell sein Bestandsschutzinteresse und mindere auch nicht das Gewicht von Pflichtverletzungen. Zwar hänge der Erfolg eines BEM von der Bereitschaft des Betroffenen ab, sich aktiv und offen in den Klärungsprozess einzubringen. Dessen Interessen seien jedoch dadurch ausreichend geschützt, dass sämtliche Angaben freiwillig erfolgen und er sich dem BEM jederzeit ohne Angabe von Gründen wieder entziehen könne. Zudem bestehe kein Verwertungsverbot, da die Verwendung der Aussagen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich gewesen sei, so dass ein datenschutzrechtlicher Erlaubnistatbestand vorgelegen habe.
Da die Ernstlichkeit der Drohungen nicht ausreichend aufgeklärt war, verwies das BAG die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurück.
BAG, Urt. v. 29.6.2017 - 2 AZR 47/16
Vorinstanz: Hessisches LAG - 2 Sa 1305/14
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BDSG § 1 Abs. 2; BGB § 626 Abs. 1 u. Abs. 2
Das Problem
Im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) fand zwischen den Parteien ein Gespräch statt, in dessen Rahmen sich ein dem Kläger nicht genehmer Einsatz als Straßenwärter abzeichnete. Die Parteien brachen das Gespräch nach – inhaltlich streitigen – Äußerungen des Klägers ab. Gesprächsteilnehmer hatten den Aussagen eine Drohung des Klägers entnommen, im Fall des ungewollten Einsatzes wieder krank zu werden, sich umzubringen oder Amok zu laufen. Dies habe ernsthaft geklungen, zumal der Kläger auf seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein verwiesen habe. Der Kläger selbst behauptet, keine Drohung ausgesprochen, sondern nur sein Befinden geschildert zu haben. In einer am selben Tag durchgeführten Untersuchung in der psychiatrischen Ambulanz distanzierte sich der Kläger glaubhaft von selbst- und fremdgefährdenden Tendenzen.Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos; eine ordentliche Kündigung schied aufgrund tariflichen Sonderkündigungsschutzes aus. Hiergegen richtet sich die vorliegende Kündigungsschutzklage. Diese weist das Arbeitsgericht ab; das LAG gibt ihr statt.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BAG hebt das Urteil des Hessischen LAG auf, da es bei der Prüfung des für die außerordentliche Kündigung erforderlichen wichtigen Grundes nicht alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt hat. So könne neben der ernstlichen Drohung eines Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben von Arbeitgeber, Vorgesetzten und/oder Arbeitskollegen auch die Androhung eines Suizids einen Kündigungsgrund darstellen. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer damit eine Handlung, Duldung oder Unterlassung seines Arbeitgebers erreichen wolle.Zudem scheide die Ernstlichkeit einer Drohung nicht allein deswegen aus, weil sie sich „letztlich” als „nicht glaubhaft” herausstelle. Entscheidend sei vielmehr, ob die relevante Äußerung nach ihrem Erklärungsgehalt objektiv geeignet sei, bei einem „normal” empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu wecken und ob der Drohende wolle, dass der Adressat die Drohung ernst nehme. Ob der Drohende die Ankündigung auch verwirklichen wolle bzw. könne, sei ebenso wenig relevant wie der Umstand, ob der Adressat sie tatsächlich ernst nehme.
Der Verwertung der klägerischen Aussagen stehe nicht entgegen, dass diese im Rahmen eines BEM gefallen seien. Die Teilnahme eines Arbeitnehmers am BEM steigere nicht generell sein Bestandsschutzinteresse und mindere auch nicht das Gewicht von Pflichtverletzungen. Zwar hänge der Erfolg eines BEM von der Bereitschaft des Betroffenen ab, sich aktiv und offen in den Klärungsprozess einzubringen. Dessen Interessen seien jedoch dadurch ausreichend geschützt, dass sämtliche Angaben freiwillig erfolgen und er sich dem BEM jederzeit ohne Angabe von Gründen wieder entziehen könne. Zudem bestehe kein Verwertungsverbot, da die Verwendung der Aussagen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich gewesen sei, so dass ein datenschutzrechtlicher Erlaubnistatbestand vorgelegen habe.
Da die Ernstlichkeit der Drohungen nicht ausreichend aufgeklärt war, verwies das BAG die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurück.