BAG, Urt. 30.11.2022 - 5 AZR 336/21

Weisungsrecht und Versetzung ins Ausland

Autor: RA FAArbR Dr. Detlef Grimm, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 04/2023
Der Arbeitgeber kann aufgrund seines Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO dem Arbeitnehmer grds. auch einen Arbeitsplatz im Ausland zuweisen, wenn die möglichen Arbeitsorte nicht durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften auf das Inland begrenzt sind. Eine Beschränkung des Weisungsrechts auf Arbeitsorte in der Bundesrepublik Deutschland ist dem Arbeitsvertrag als solchem nicht immanent. Die Zuweisung eines Arbeitsorts im Ausland unterliegt wie jede Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Sofern die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht, kommt dieser besonderes Gewicht zu, ohne dass das unternehmerische Konzept auf seine Zweckmäßigkeit zu überprüfen wäre.

GewO § 106 Satz 1; BGB § 611a Abs. 1 Satz 2, § 315 Abs. 1; Rom I-Verordnung Art. 8

Das Problem

Gegenstand des Rechtsstreits ist die von der beklagten Ryanair DAC ausgesprochene Versetzung des Klägers, eines Piloten und Mitglieds der Vereinigung Cockpit, mit Wirkung zum 30.4.2020 vom Stationierungsort Nürnberg zur Basis Bologna. Die Beklagte hatte ihre Basis Nürnberg Ende März 2020 aufgegeben. Der Arbeitsvertrag des Klägers, in dem die Geltung irischen Rechts vereinbart war, sieht vor, dass dieser auch an anderen Orten stationiert werden kann. Eine Festlegung des Arbeitsorts war auch nicht durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag erfolgt.

Der Kläger meint, das Weisungsrecht nach § 106 Satz 1 GewO erfasse keine Versetzung in das Ausland. Jedenfalls sei die Versetzung unbillig, weil ihm sein tariflicher Vergütungsanspruch entzogen würde und ihm auch sonst erhebliche Nachteile entstünden. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG bestätigt das LAG und legt seiner Bewertung die Geltung deutschen Rechts nach Art. 8 Rom I-VO zugrunde.

Fehle eine abschließende Festlegung des Arbeitsortes, könne der Arbeitgeber diesen aufgrund seines Weisungsrechts gem. § 106 Satz 1 GewO bestimmen. Das Weisungsrecht sei als Wesensmerkmal des Arbeitsverhältnisses in § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB normiert. § 106 Satz 1 GewO schaffe kein gesetzliches Weisungsrecht, sondern setze ein vertragliches Weisungsrecht voraus. Der Arbeitgeber könne dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz im Ausland zuweisen, wenn keine Festlegung des Arbeitsortes auf das Inland bestehe. Dem Arbeitsvertrag als solchem sei eine solche Begrenzung nicht immanent. Auch § 106 Satz 1 GewO sei keine Einschränkung des Weisungsrechts bezüglich des Arbeitsorts zu entnehmen.

Die Zuweisung scheitere zudem nicht an einer Änderung des Inhalts des Arbeitsverhältnisses. Vereinbarter Arbeitsort sei gerade nicht einzig Nürnberg gewesen. Auch der Verlust rein tariflicher Gehaltsansprüche berühre den Arbeitsvertrag nicht.

Die Versetzung halte auch der Billigkeitskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB stand. Die Beklagte habe alle in Nürnberg angesiedelten Piloten nach Italien versetzt. Eine Auswahl unter Abwägung der persönlichen Umstände sei deshalb nicht in Betracht gekommen. Überdies sei eine Versetzung innerhalb Deutschlands unmöglich gewesen. Der Senat führt weiter aus, dass an die Ermessensausübung nach § 106 Satz 1 GewO keine strengeren Anforderungen gestellt werden dürften als an die Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung. Deshalb sei es unerheblich, ob die Beklagte einen „Austausch“ mit Piloten anderer inländischer Stationierungsorte in Erwägung gezogen haben müsste. Flugpersonal einer international tätigen Fluggesellschaft müsse damit rechnen, auch im Ausland stationiert zu werden.


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