BAG, Urt. 30.3.2023 - 8 AZR 120/22

Kein Schadensersatzanspruch gegen GmbH-Geschäftsführer bei Nichtzahlung des Mindestlohns

Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, BOISSERÉE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2023
§ 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG stellen für Arbeitnehmer kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB für eine Klage gegen ihren GmbH-Geschäftsführer dar. Dieser kann für die fehlende Zahlung des Mindestlohns nicht persönlich haftbar gemacht werden.

MiLoG § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 20, § 21 Abs. 1 Nr. 9; OWiG § 9 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 823 Abs. 2; GmbHG § 13 Abs. 2, § 43 Abs. 1, § 43 Abs. 2

Das Problem

Die Beklagten sind die Geschäftsführer der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers. Die Arbeitgeberin zahlte dem Kläger in der Vergangenheit mehrfach das Gehalt verspätet aus, so dass dieser im Monat Juni 2017 von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machte und keine Arbeitsleistung erbrachte. Die Arbeitgeberin leistete für diesen Monat keine Vergütung.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der früheren Arbeitgeberin nimmt der Kläger nunmehr die Beklagten auf Schadensersatz wegen der von der Arbeitgeberin im Monat Juni 2017 nicht gezahlten Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns klageweise in Anspruch.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, so dass dieser nunmehr sein Begehren mit der vorliegenden Revision weiterverfolgt.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG weist die Revision zurück. GmbH-Geschäftsführer können von Arbeitnehmern nicht aufgrund einer deliktischen Durchgriffshaftung wegen unterbliebener Auszahlung des Mindestlohns auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

§ 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG stelle kein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmer dar. Das gesellschaftsrechtliche Konstrukt der GmbH lasse grds. nur eine Haftung von Geschäftsführern im Verhältnis zur Gesellschaft zu. Nur bei Vorliegen eines besonderen Haftungsgrundes würde ein GmbH-Geschäftsführer auch persönlich haften. Dieser besondere Haftungsgrund sei bei den Bestimmungen der § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nicht gegeben.

GmbH-Geschäftsführer seien allerdings grds. taugliche Täter für die Verwirklichung der Ordnungswidrigkeit. Die Mindestlohn-Vorschriften haben nur nicht die Qualität als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Zwar schützen die Vorschriften u.a. auch die Individualinteressen der jeweiligen Arbeitnehmer, jedoch solle nach dem Willen des Gesetzgebers keine weitere persönliche Haftung von GmbH-Geschäftsführern begründet werden. Ansonsten könnten GmbH-Geschäftsführer bereits bei fahrlässigen Verstößen persönlich in Anspruch genommen werden, obwohl dies nach der gesellschaftsrechtlichen Konzeption der GmbH und der grds. ausgeschlossenen Durchgriffshaftung nicht gewünscht sei.

Dass § 266a Abs. 2 und Abs. 3 StGB anerkannte Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmer darstellen, ändere hieran nichts. Der Unterschied sei darin begründet, dass zum Schutz der Arbeitnehmer ein Teil ihres Arbeitseinkommens treuhänderisch verwaltet würde. Bei der Zahlung der Vergütung in Höhe des Mindestlohns fehle es gerade an dieser treuhänderischen Bindung des Arbeitgebers, da diesem grds. keine allgemeine Vermögensbetreuungspflicht auferlegt werde.


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