BAG, Urt. 7.2.2024 - 5 AZR 177/23

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Autor: RA FAArbR Dr. Patrick Esser, Seitz Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 06/2024
Bei der Bestimmung des böswilligen Unterlassens eines anderweitigen Verdienstes sind die sozialrechtlichen Handlungspflichten bei der Gesamtabwägung in den Blick zu nehmen, aber nicht „eins zu eins“ heranzuziehen. Böswilligkeit i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG kann nicht allein mit dem Verweis auf die Anforderungen, die das Jobcenter gestellt hat, verneint werden. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falls das Maß erforderlicher Bemühungen zu bestimmen.

KSchG § 11 Nr. 2; SGB III § 38 Abs. 1

Das Problem

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

Die Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis im November 2017 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die Kündigungsschutzklage und der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers hatten zweitinstanzlich und – seit Dezember 2023 – rechtskräftig Erfolg.

Während des Bezugs von Leistungen der Agentur für Arbeit unterbreitete diese dem Kläger keine Stellenangebote, weil er dies nicht wünschte und mitgeteilt hatte, er könne sich bewerben, wenn man ihn dazu zwinge. Er werde einem potentiellen Arbeitgeber aber – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle. Eigenständige Bemühungen um eine anderweitige Beschäftigung unternahm er in diesem Zeitraum nicht. In den Jahren 2019/2020 arbeitete der Kläger zeitweise bei zwei unterschiedlichen Arbeitgebern und erzielte hier Einkünfte.

Das Arbeitsgericht hat der auf Annahmeverzugslohn gerichteten Klage teilweise stattgegeben. Das LAG hat auf die Berufung des Klägers – unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten – der Klage auch für den weitergehenden Zeitraum stattgegeben. Mit der vom Senat nachträglich zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG hebt das Urteil des LAG auf und verweist die Sache zurück.

§ 11 Nr. 2 KSchG bestimmt, dass sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist damit stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen.

Meldet sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend und geht er deren Vermittlungsangeboten nach, wird ihm zwar regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein. Aus § 11 Nr. 2 KSchG kann allerdings nicht abgeleitet werden, der Arbeitnehmer dürfe in jedem Fall ein zumutbares Angebot der Agentur für Arbeit abwarten.

Vielmehr kann die Abwägung im Einzelfall für ihn auch die Obliegenheit begründen, ein eigenes Angebot abzugeben, wenn sich ihm eine realistische zumutbare Arbeitsmöglichkeit bietet. Zu berücksichtigen ist auch, wenn ein Arbeitnehmer zwar der in § 38 Abs. 1 SGB III geregelten Meldepflicht nachkommt, aber zugleich durch sein Verhalten veranlasst, dass ihm die Agentur für Arbeit keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet.

Hierzu stellt der Senat klar, dass das LAG nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass der Kläger durch seine Äußerungen gegenüber der Agentur für Arbeit die Ursache dafür gesetzt hat, dass ihm diese über ein Jahr lang keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet hat. Dieses Verhalten ist – auch unter Berücksichtigung sozialrechtlicher Handlungspflichten – in der Interessenabwägung zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen.

Auch ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren mit dem bisherigen Arbeitgeber schon vor einem Vorstellungsgespräch entspricht nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person.


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