BAG, Urt. 7.5.2020 - 2 AZR 619/19
Kündigung bei verspäteter Anzeige einer Fortsetzungserkrankung
Autor: RA FAArbR Dr. Detlef Grimm, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2020
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2020
Eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ergebenden (Neben-)Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit ist grds. geeignet, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen. Sie kann daher – je nach den Umständen des Einzelfalls – einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen.Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Die Anzeigepflicht ist nicht auf den Fall einer Ersterkrankung beschränkt. Sie umfasst die Verpflichtung, auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen.
KSchG § 1 Abs. 1; EFZG § 5 Abs. 1 Satz 1
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis gekündigt, weil der Kläger eine Bescheinigung über die Folge-Arbeitsunfähigkeit nach dem 4.8.2017 erst am Montag, 7.8.2017 an der Pforte der Beklagten abgegeben und diese seinem Vorgesetzten erst am 8.8.2017 nach Beginn der Kernarbeitszeit erreicht hatte. Arbeitsgericht und LAG haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Der Senat hat zurückverwiesen, weil das LAG keine tatrichterlichen Feststellungen dazu getroffen hatte, ob die im März 2017 abgemahnten Pflichtverletzungen des Klägers schuldhaft waren, wofür der Maßstab des § 276 Abs. 1 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit) maßgeblich sei. Hier komme mit Blick auf die Unterrichtung über die Mitteilungspflicht sogar Vorsatz in Betracht.
KSchG § 1 Abs. 1; EFZG § 5 Abs. 1 Satz 1
Das Problem
Die Beklagte hatte gegenüber dem schon länger erkrankten Kläger im November 2016 ausdrücklich erklärt, dass die gesetzlichen Anzeige- und Nachweispflichten für (Erst-) Erkrankungen auch bei fortdauernder Erkrankung gelten. Sie mahnte den Kläger wegen unentschuldigten Fehlens zwischen Weihnachten und Neujahr im Januar 2017 ab. Im März 2017 mahnte sie den Kläger erneut ab, weil er Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verspätet eingereicht hatte.Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis gekündigt, weil der Kläger eine Bescheinigung über die Folge-Arbeitsunfähigkeit nach dem 4.8.2017 erst am Montag, 7.8.2017 an der Pforte der Beklagten abgegeben und diese seinem Vorgesetzten erst am 8.8.2017 nach Beginn der Kernarbeitszeit erreicht hatte. Arbeitsgericht und LAG haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Die Entscheidung des Gerichts
Auf die Revision der Beklagten hebt das BAG die Entscheidung des LAG auf und verweist zurück, weil die Interessenabwägung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält. Dabei stellt das BAG – wie aus den oben angeführten Leitsätzen ersichtlich – heraus, dass der Arbeitnehmer auch bei einer Fortsetzungserkrankung gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG verpflichtet ist, seinen Arbeitgeber unverzüglich hierüber zu informieren. Nur dies entspreche Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die Anzeigepflicht solle den Arbeitgeber in die Lage versetzen, sich auf das Fehlen des erkrankten Arbeitnehmers möglichst frühzeitig einzustellen. Das gelte unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sei.Der Senat hat zurückverwiesen, weil das LAG keine tatrichterlichen Feststellungen dazu getroffen hatte, ob die im März 2017 abgemahnten Pflichtverletzungen des Klägers schuldhaft waren, wofür der Maßstab des § 276 Abs. 1 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit) maßgeblich sei. Hier komme mit Blick auf die Unterrichtung über die Mitteilungspflicht sogar Vorsatz in Betracht.