Bdb. OLG, Beschl. 30.3.2023 - 13 UF 199/20
Verfügung über das Vermögen im Ganzen durch Veräußerung von 80 % des Miteigentumsanteils an einem Grundstück
Autor: RA Dr. Walter Kogel, FAFamR, Dr. Kogel & Mast Familienanwälte, Aachen
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 10/2023
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 10/2023
1. Nach Art. 14 EGBGB i.V.m. Art. 26 Abs. 1a VO (EU) 2016/1103 unterliegt der eheliche Güterstand dem Recht des Staates, in dem die Beteiligten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Selbst wenn sie zu diesem Zeitpunkt eine andere (hier: türkische) Staatsangehörigkeit hatten, ist aber deutsches Recht anwendbar.2. Veräußert ein Ehegatte 80 % seines Miteigentumsanteils an einer Immobilie, ist § 1365 BGB nicht anwendbar. Ein „individueller Wert“, den der Vermögensgegenstand gerade in der Hand des verfügenden Ehegatten oder für dessen Familie hat, wird nicht berücksichtigt.3. Selbst, wenn der Veräußerungsvertrag wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, kann der Ehegatte des Verfügenden gegen den Erwerber kein Rückforderungsrecht im Wege der Verfahrensstandschaft verfolgen.
BGB § 138, § 1365, § 1368; EGBGB Art. 14, Art. 229 § 47; VO (EU) 2016/1103 Art. 26
Der Senat wiederholt sodann die bisherige ständige Rechtsprechung, wonach eine Verfügung über das gesamte Vermögen vorliege, wenn bei einem Vermögen von bis zu 250.000 € der Ehegatte über 85 % seines Aktivvermögens verfüge. Hierbei zähle allein der objektive Wert aufgrund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Der Wert einer Gegenleistung bleibe außer Betracht. Der Ehefrau seien aber immerhin 20 % ihres Vermögens verblieben. Ein „individueller Wert“ den ein Vermögensgegenstand gerade in der Hand des verfügenden Ehegatten oder für dessen Familie habe, könne nicht berücksichtigt werden. Solche Aspekte würden in die Beurteilung Unsicherheiten hineintragen. Sie seien vielfach überhaupt nicht überzeugend darstellbar. Der verbleibende Miteigentumsanteil sei vorliegend trotz des geringen Anteils (10 % des Immobilienwerts) verwertbar. Im Fall einer Grundstücksveräußerung oder Teilungsversteigerung entfiele auf diesen Anteil ein dem Bruchteil genau entsprechender Erlös.
Die Frage, ob der Vertrag sittenwidrig sei, könne dahingestellt bleiben. Zwar stehe dem Ehemann bei der unzulässigen Vermögensverfügung das Revokationsrecht gem. § 1368 BGB zu. Dies beziehe sich aber ausschließlich auf diese Vorschrift und nicht auf eine eventuelle Sittenwidrigkeit. Bei der Sittenwidrigkeit könne zwar grundsätzlich jedermann sich auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts berufen. Dies führe aber nicht zu einer Verfahrensstandschaft. Der Ehemann sei durch das Geschäft seiner Ehefrau nicht als Miteigentümer unmittelbar in seinen Rechten betroffen. Ein Interesse des Miteigentümers daran, dass gegen seinen Willen keine weiteren (anderen) Miteigentümer in die Bruchteilsgemeinschaft eintreten sollten, werde gesetzlich nicht geschützt.
BGB § 138, § 1365, § 1368; EGBGB Art. 14, Art. 229 § 47; VO (EU) 2016/1103 Art. 26
Das Problem
Zum Zeitpunkt der Eheschließung waren die Eheleute türkische Staatsangehörige. Mittlerweile sind beide Deutsche. Gemeinsam waren sie zu 1/2 Miteigentümer einer eigenbewohnten Immobilie. 2019 zog die Ehefrau aus. Sie veräußerte 80 % ihres Immobilienanteils an einen Dritten. Nachdem die Eheleute sich 2021 versöhnt hatten, zogen sie erneut zusammen. Der Ehemann macht gegen den Dritten einen Anspruch auf Löschung der zu dessen Gunsten im Grundbuch eingetragenen Eigentumsübertragungsvormerkung geltend. Zum einen begründet er diesen Anspruch mit einer unzulässigen Vermögensverfügung seiner Ehefrau über das Vermögen im Ganzen. Zum anderen behauptet er, dass der Dritte die wirtschaftliche Schwäche, die geschäftliche Unerfahrenheit und die persönliche Zwangslage seiner Ehefrau ausgenutzt habe. Daher sei das Rechtsgeschäft sittenwidrig gewesen.Die Entscheidung des Gerichts
Der Senat weist ebenso wie die Vorinstanz den Antrag ab. Anwendbar sei deutsches Recht und damit auch § 1365 BGB. Art. 14 EGBGB i.V.m. Art. 26 VO (EU) 2016/1103 seien in Fragen des ehelichen Güterstands anzuwenden. Während die Eheschließungsvoraussetzungen gem. Art. 13 EGBGB an die Staatsangehörigkeit der Verlobten knüpften, richteten sich gem. Art. 229 § 47 Abs. 1 EGBGB die allgemeinen Wirkungen der Ehe bis einschließlich 28.1.2019 nach Art. 14 EGBGB in der bis dahin geltenden Fassung. Im Gegenschluss folge hieraus, dass ab 29.1.2019 Art. 14 EGBGB in der jetzt gültigen neuen Fassung auch auf Ehen anwendbar sei, die vor dem Stichtag geschlossen wurden (so auch Loschelder in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., Art. 229 § 47 EGBGB Rz. 2). Nach Art. 14 EGBGB i.V.m. Art. 26 Abs. 1a VO (EU) 2016/1103 unterliege der eheliche Güterstand dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätten. Die Vorschriften knüpften also nicht etwa an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Eheschließung an. Damit sei insoweit deutsches Recht anzuwenden.Der Senat wiederholt sodann die bisherige ständige Rechtsprechung, wonach eine Verfügung über das gesamte Vermögen vorliege, wenn bei einem Vermögen von bis zu 250.000 € der Ehegatte über 85 % seines Aktivvermögens verfüge. Hierbei zähle allein der objektive Wert aufgrund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Der Wert einer Gegenleistung bleibe außer Betracht. Der Ehefrau seien aber immerhin 20 % ihres Vermögens verblieben. Ein „individueller Wert“ den ein Vermögensgegenstand gerade in der Hand des verfügenden Ehegatten oder für dessen Familie habe, könne nicht berücksichtigt werden. Solche Aspekte würden in die Beurteilung Unsicherheiten hineintragen. Sie seien vielfach überhaupt nicht überzeugend darstellbar. Der verbleibende Miteigentumsanteil sei vorliegend trotz des geringen Anteils (10 % des Immobilienwerts) verwertbar. Im Fall einer Grundstücksveräußerung oder Teilungsversteigerung entfiele auf diesen Anteil ein dem Bruchteil genau entsprechender Erlös.
Die Frage, ob der Vertrag sittenwidrig sei, könne dahingestellt bleiben. Zwar stehe dem Ehemann bei der unzulässigen Vermögensverfügung das Revokationsrecht gem. § 1368 BGB zu. Dies beziehe sich aber ausschließlich auf diese Vorschrift und nicht auf eine eventuelle Sittenwidrigkeit. Bei der Sittenwidrigkeit könne zwar grundsätzlich jedermann sich auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts berufen. Dies führe aber nicht zu einer Verfahrensstandschaft. Der Ehemann sei durch das Geschäft seiner Ehefrau nicht als Miteigentümer unmittelbar in seinen Rechten betroffen. Ein Interesse des Miteigentümers daran, dass gegen seinen Willen keine weiteren (anderen) Miteigentümer in die Bruchteilsgemeinschaft eintreten sollten, werde gesetzlich nicht geschützt.