Berufsunfähigkeitsversicherung: Wann muss sie zahlen?
21.09.2018, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice 1,7 Millionen Menschen in Deutschland gelten als erwerbsunfähig. Wer durch Unfall oder Krankheit nicht mehr in der Lage ist zu arbeiten, steht schnell vor einem großen Problem. Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente, die ohnehin nur Arbeitnehmer erhalten, reicht nämlich in der Regel nicht zum Leben aus. Ihre Höhe liegt meist unter einem Drittel des bisherigen Bruttoeinkommens. Diese Lücke kann eine private Berufsunfähigkeitsversicherung helfen, die Versorgungslücke zu schließen. Unter welchen Voraussetzungen diese zahlen muss, erläutern wir nachfolgend.
Der Begriff “Erwerbsminderung” der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht sich auf die Arbeitsfähigkeit an sich, unabhängig vom Beruf. Die “Berufsunfähigkeit” der privaten Versicherungen dagegen bezieht sich auf den ausgeübten Beruf. Die Versicherungsleistung wird also fällig, wenn dieser nicht mehr ausgeübt werden kann. Kann beispielsweise ein Dachdecker nach einem Sturz immer noch im Callcenter arbeiten, hat dies keinen Einfluss auf die Leistung der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung. Eine staatliche Erwerbsminderungsrente würde er dann allerdings nicht bekommen.
In der gesetzlichen Rentenversicherung wird der Begriff “Berufsunfähigkeit” seit 2001 nicht mehr verwendet. Heute unterscheidet man die teilweise und die volle Erwerbsminderung. Leistungen erhält nur, wer mindestens fünf Jahre lang gesetzlich rentenversichert war.
Kann jemand aufgrund von Krankheit oder Behinderung weniger als drei Stunden täglich arbeiten, spricht man von einer vollen Erwerbsminderung. Wer noch drei bis sechs Stunden täglich arbeiten kann, ist teilweise erwerbsgemindert. Der Grad der Erwerbsminderung wird ärztlich festgestellt.
Die Höhe der Rente hängt vom Bruttolohn ab. Allerdings erhalten Arbeitnehmer, die während ihres Arbeitslebens erwerbsunfähig werden, nicht den vollen Betrag. Je nach Alter gibt es Abzüge. So wird die Rente um bis zu 10,8 Prozent verringert, wenn man vor dem 63. Lebensjahr erwerbsunfähig wird. Wer weniger als 35 Beitragsjahre vorweisen kann, muss auch dann Kürzungen hinnehmen, wenn die Erwerbsminderung vor Erreichen des 65. Lebensjahres eintritt.
Sie zahlt, wenn der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Der Grund spielt dabei keine Rolle, allerdings darf der Versicherte seine Berufsunfähigkeit natürlich nicht absichtlich selbst verursacht haben. Meist wird von einer Berufsunfähigkeit ausgegangen, wenn der Versicherte mindestens 50 Prozent seiner Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann. Dies muss aus der einzelnen Police hervorgehen. Der Versicherte muss seine Berufsunfähigkeit mit Arztberichten und umfangreichen Dokumenten nachweisen.
Glaubt ihm die Versicherung, dass der Versicherungsfall eingetreten ist, zahlt sie ihm den in der Police vereinbarten Betrag als monatliche Rente aus. Wie hoch das vorherige Einkommen war, ist nicht relevant.
Die Höhe der Versicherungsbeiträge hängt vom Risiko ab. Wer einen unfallträchtigen Beruf ausübt, muss mehr zahlen. Auch Vorerkrankungen und überhaupt der allgemeine Gesundheitszustand werden berücksichtigt. Ein Abschluss kann bei allzu schlechter Gesundheit auch verweigert werden. Vor dem Abschluss ist es wichtig, sich über die Größe der sogenannten Versorgungslücke klar zu werden: Wie viel staatliche Erwerbsminderungsrente würden Sie im Fall der Fälle bekommen und wie groß ist der Unterschied zum jetzigen Einkommen, mit dem der gewohnte Lebensstandard gehalten werden kann?
Die Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt unter Umständen nicht, wenn der Versicherte eine neue Tätigkeit aufnimmt, die mit dem bisherigen Beruf vergleichbar ist. Dies ist eine häufig in Verträgen enthaltene Regelung. Zum Teil wird dabei mit Begriffen wie einer “vergleichbaren Lebensstellung” argumentiert.
Beispiel: Ein selbstständiger Gas- und Wasserinstallateur-Meister konnte infolge von Depressionen seinen Beruf und seine Selbstständigkeit nicht mehr ausüben. Seine Versicherung erkannte seine Berufsunfähigkeit an. Nach einer Umschulung nahm er eine Tätigkeit als medizinisch-technischer Laborassistent (MTLA) in einer Universitätsklinik an. Die Berufsunfähigkeitsversicherung stellte daraufhin ihre Zahlungen ein. Die neue Tätigkeit entspreche seiner bisherigen Lebensstellung und sei mit der vorherigen Tätigkeit vergleichbar. Damit müsse sie laut Vertrag nicht zahlen.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe urteilte, dass eine neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspreche, wenn sie keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere und auch in ihrer Vergütung und Wertschätzung nicht spürbar unter dem Niveau des bisherigen Berufes liege. Der Verlust der Selbstständigkeit verhindere grundsätzlich die Vergleichbarkeit nicht. Aber: Hinsichtlich Qualifikation und Wertschätzung habe der Beruf des selbstständigen Handwerksmeisters deutlich über dem des Laborassistenten gelegen. Daran änderten auch das höhere Einkommen und die größere Freizeit als MTLA nichts. Beide Tätigkeiten seien nicht vergleichbar, die Versicherung müsse deshalb zahlen (Beschluss vom 6.12.2012, Az. 12 U 93/12).
In einem anderen Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe ging es um den Geschäftsstellenleiter einer Versicherung, dessen Job es war, Mitarbeiter zu schulen, zu leiten und Beratungsgespräche mit Kunden zu führen. Dieser wurde zu einer fünfjährigen Haftstrafe wegen Computerbetruges verurteilt, von der er etwa vier Jahre absitzen musste.
In der Haft zeigten sich bei ihm Symptome einer Depression. Ein Facharzt, der ihn eigentlich im Gefängnis nur als Dolmetscher bei der Behandlung eines anderen Insassen hinzuziehen wollte, machte sich Sorgen und bestellte ihn zur Untersuchung ein. Insgesamt drei Fachärzte kamen zu dem Ergebnis, dass der Mann behandlungsbedürftig depressiv war – und bescheinigten ihm auch eine Arbeitsunfähigkeit. Nach Verbüßung seiner Strafe konnte er zunächst seiner Arbeit nicht mehr nachgehen.
Aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung standen ihm im Falle krankheitsbedingter Berufsunfähigkeit etwa 1.700 Euro im Monat zu. Die Versicherungsgesellschaft berief sich jedoch darauf, dass die Versicherung nicht für Krankheiten gelte, die durch eine Straftat des Versicherungsnehmers verursacht würden – und das sei hier der Fall.
Das OLG Karlsruhe war anderer Ansicht. Die Erkrankung sei hier nicht durch den Computerbetrug ausgelöst worden, sondern durch die Maßnahmen der Strafverfolgung. Sie sei auch nicht vorgeschoben. Insbesondere der im Gefängnis tätige Facharzt sei von sich aus auf den Kläger zugegangen, weil er sich um dessen Zustand Sorgen gemacht habe, während der Häftling gar keine Behandlung gewünscht habe. Mit schweren Depressionen könne man nun einmal keine Mitarbeiter motivieren, Kunden Versicherungen verkaufen oder die Verantwortung für eine Geschäftsstelle tragen. Die Versicherung musste dem Mann daher für den Zeitraum seiner Berufsunfähigkeit den vereinbarten Betrag zahlen.
Es wäre wohl anders ausgegangen, wenn die Berufsunfähigkeit durch Verletzungen beim Sturz von einer Leiter während eines Einbruchs ausgelöst worden wäre. Die Gefängnis-Depression führte jedoch tatsächlich zu einer Berufsunfähigkeit, für die die Versicherung einzustehen hatte (Urteil vom 3. März 2016, Az. 12 U 5/15).
Bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung sollten Sie mehrere Angebote einholen und die Konditionen vergleichen. Achten Sie besonders darauf, in welchen Fällen eine Zahlung ausgeschlossen ist. Bei Streitigkeiten mit der Versicherung ist ein Fachanwalt für Versicherungsrecht der richtige Ansprechpartner.
Viele Menschen haben heute eine private Berufsunfähigkeitsversicherung. Diese stellt eine wichtige Absicherung dar. Allerdings wird nicht selten darum prozessiert, ob die Versicherung zahlen muss.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was ist der Unterschied zwischen Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung? Wer erhält eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente? Wann zahlt eine private Berufsunfähigkeitsversicherung? Was muss ich beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung beachten? Urteil: Vergleichbare neue Tätigkeit verhindert Zahlung Berufsunfähig durch Knast-Depression? Praxistipp Was ist der Unterschied zwischen Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung?
Der Begriff “Erwerbsminderung” der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht sich auf die Arbeitsfähigkeit an sich, unabhängig vom Beruf. Die “Berufsunfähigkeit” der privaten Versicherungen dagegen bezieht sich auf den ausgeübten Beruf. Die Versicherungsleistung wird also fällig, wenn dieser nicht mehr ausgeübt werden kann. Kann beispielsweise ein Dachdecker nach einem Sturz immer noch im Callcenter arbeiten, hat dies keinen Einfluss auf die Leistung der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung. Eine staatliche Erwerbsminderungsrente würde er dann allerdings nicht bekommen.
Wer erhält eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente?
In der gesetzlichen Rentenversicherung wird der Begriff “Berufsunfähigkeit” seit 2001 nicht mehr verwendet. Heute unterscheidet man die teilweise und die volle Erwerbsminderung. Leistungen erhält nur, wer mindestens fünf Jahre lang gesetzlich rentenversichert war.
Kann jemand aufgrund von Krankheit oder Behinderung weniger als drei Stunden täglich arbeiten, spricht man von einer vollen Erwerbsminderung. Wer noch drei bis sechs Stunden täglich arbeiten kann, ist teilweise erwerbsgemindert. Der Grad der Erwerbsminderung wird ärztlich festgestellt.
Die Höhe der Rente hängt vom Bruttolohn ab. Allerdings erhalten Arbeitnehmer, die während ihres Arbeitslebens erwerbsunfähig werden, nicht den vollen Betrag. Je nach Alter gibt es Abzüge. So wird die Rente um bis zu 10,8 Prozent verringert, wenn man vor dem 63. Lebensjahr erwerbsunfähig wird. Wer weniger als 35 Beitragsjahre vorweisen kann, muss auch dann Kürzungen hinnehmen, wenn die Erwerbsminderung vor Erreichen des 65. Lebensjahres eintritt.
Wann zahlt eine private Berufsunfähigkeitsversicherung?
Sie zahlt, wenn der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Der Grund spielt dabei keine Rolle, allerdings darf der Versicherte seine Berufsunfähigkeit natürlich nicht absichtlich selbst verursacht haben. Meist wird von einer Berufsunfähigkeit ausgegangen, wenn der Versicherte mindestens 50 Prozent seiner Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann. Dies muss aus der einzelnen Police hervorgehen. Der Versicherte muss seine Berufsunfähigkeit mit Arztberichten und umfangreichen Dokumenten nachweisen.
Glaubt ihm die Versicherung, dass der Versicherungsfall eingetreten ist, zahlt sie ihm den in der Police vereinbarten Betrag als monatliche Rente aus. Wie hoch das vorherige Einkommen war, ist nicht relevant.
Was muss ich beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung beachten?
Die Höhe der Versicherungsbeiträge hängt vom Risiko ab. Wer einen unfallträchtigen Beruf ausübt, muss mehr zahlen. Auch Vorerkrankungen und überhaupt der allgemeine Gesundheitszustand werden berücksichtigt. Ein Abschluss kann bei allzu schlechter Gesundheit auch verweigert werden. Vor dem Abschluss ist es wichtig, sich über die Größe der sogenannten Versorgungslücke klar zu werden: Wie viel staatliche Erwerbsminderungsrente würden Sie im Fall der Fälle bekommen und wie groß ist der Unterschied zum jetzigen Einkommen, mit dem der gewohnte Lebensstandard gehalten werden kann?
Urteil: Vergleichbare neue Tätigkeit verhindert Zahlung
Die Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt unter Umständen nicht, wenn der Versicherte eine neue Tätigkeit aufnimmt, die mit dem bisherigen Beruf vergleichbar ist. Dies ist eine häufig in Verträgen enthaltene Regelung. Zum Teil wird dabei mit Begriffen wie einer “vergleichbaren Lebensstellung” argumentiert.
Beispiel: Ein selbstständiger Gas- und Wasserinstallateur-Meister konnte infolge von Depressionen seinen Beruf und seine Selbstständigkeit nicht mehr ausüben. Seine Versicherung erkannte seine Berufsunfähigkeit an. Nach einer Umschulung nahm er eine Tätigkeit als medizinisch-technischer Laborassistent (MTLA) in einer Universitätsklinik an. Die Berufsunfähigkeitsversicherung stellte daraufhin ihre Zahlungen ein. Die neue Tätigkeit entspreche seiner bisherigen Lebensstellung und sei mit der vorherigen Tätigkeit vergleichbar. Damit müsse sie laut Vertrag nicht zahlen.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe urteilte, dass eine neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspreche, wenn sie keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere und auch in ihrer Vergütung und Wertschätzung nicht spürbar unter dem Niveau des bisherigen Berufes liege. Der Verlust der Selbstständigkeit verhindere grundsätzlich die Vergleichbarkeit nicht. Aber: Hinsichtlich Qualifikation und Wertschätzung habe der Beruf des selbstständigen Handwerksmeisters deutlich über dem des Laborassistenten gelegen. Daran änderten auch das höhere Einkommen und die größere Freizeit als MTLA nichts. Beide Tätigkeiten seien nicht vergleichbar, die Versicherung müsse deshalb zahlen (Beschluss vom 6.12.2012, Az. 12 U 93/12).
Berufsunfähig durch Knast-Depression?
In einem anderen Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe ging es um den Geschäftsstellenleiter einer Versicherung, dessen Job es war, Mitarbeiter zu schulen, zu leiten und Beratungsgespräche mit Kunden zu führen. Dieser wurde zu einer fünfjährigen Haftstrafe wegen Computerbetruges verurteilt, von der er etwa vier Jahre absitzen musste.
In der Haft zeigten sich bei ihm Symptome einer Depression. Ein Facharzt, der ihn eigentlich im Gefängnis nur als Dolmetscher bei der Behandlung eines anderen Insassen hinzuziehen wollte, machte sich Sorgen und bestellte ihn zur Untersuchung ein. Insgesamt drei Fachärzte kamen zu dem Ergebnis, dass der Mann behandlungsbedürftig depressiv war – und bescheinigten ihm auch eine Arbeitsunfähigkeit. Nach Verbüßung seiner Strafe konnte er zunächst seiner Arbeit nicht mehr nachgehen.
Aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung standen ihm im Falle krankheitsbedingter Berufsunfähigkeit etwa 1.700 Euro im Monat zu. Die Versicherungsgesellschaft berief sich jedoch darauf, dass die Versicherung nicht für Krankheiten gelte, die durch eine Straftat des Versicherungsnehmers verursacht würden – und das sei hier der Fall.
Das OLG Karlsruhe war anderer Ansicht. Die Erkrankung sei hier nicht durch den Computerbetrug ausgelöst worden, sondern durch die Maßnahmen der Strafverfolgung. Sie sei auch nicht vorgeschoben. Insbesondere der im Gefängnis tätige Facharzt sei von sich aus auf den Kläger zugegangen, weil er sich um dessen Zustand Sorgen gemacht habe, während der Häftling gar keine Behandlung gewünscht habe. Mit schweren Depressionen könne man nun einmal keine Mitarbeiter motivieren, Kunden Versicherungen verkaufen oder die Verantwortung für eine Geschäftsstelle tragen. Die Versicherung musste dem Mann daher für den Zeitraum seiner Berufsunfähigkeit den vereinbarten Betrag zahlen.
Es wäre wohl anders ausgegangen, wenn die Berufsunfähigkeit durch Verletzungen beim Sturz von einer Leiter während eines Einbruchs ausgelöst worden wäre. Die Gefängnis-Depression führte jedoch tatsächlich zu einer Berufsunfähigkeit, für die die Versicherung einzustehen hatte (Urteil vom 3. März 2016, Az. 12 U 5/15).
Praxistipp
Bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung sollten Sie mehrere Angebote einholen und die Konditionen vergleichen. Achten Sie besonders darauf, in welchen Fällen eine Zahlung ausgeschlossen ist. Bei Streitigkeiten mit der Versicherung ist ein Fachanwalt für Versicherungsrecht der richtige Ansprechpartner.
(Bu)