BGH, Beschl. 13.12.2022 - VIII ZR 96/22

Härtefallprüfung im Räumungsverfahren

Autor: RA FAWuWR Norbert Monschau, Anwaltkooperation Schneider | Monschau, Erftstadt, Neunkirchen, Köln
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 03/2023
Wer in einem Räumungsverfahren nach einer Eigenbedarfskündigung einen Härtefall geltend macht, hat einen Anspruch auf rechtliches Gehör dahingehend, dass dieser Einwand gebührend gewürdigt wird.

BGB §§ 574 Abs. 1, § 543 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1

Das Problem

Der Vermieter kündigte das langjährige Wohnraummietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Mieterin hatte kurz zuvor ihr Baby verloren und berief sich auf einen Härtefall, weil sie psychisch schwer angeschlagen sei. Im Räumungsrechtsstreit behauptete sie, sie leide unter einer Depression, einer Angststörung und einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Im Fall des Umzugs befürchte sie, nicht mehr eigenständig leben zu können, weil die Wohnung ihr letzter Rückzugsort sei.

Das AG Fürstenfeldbruck hielt diesen – bestrittenen – Vortrag für unerheblich und gab der Räumungsklage statt. In der Berufungsinstanz legte die Mieterin ein fachärztliches Attest vor, das ihre Krankheit bestätigte und auch die Gefahr einer gravierenden Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands im Fall der Räumung auswies. Das LG hielt den Inhalt des Attestes für unschlüssig und nicht aussagekräftig und wies die Berufung zurück, ohne die Revision zuzulassen. Die Mieterin wandte sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH.

Die Entscheidung des Gerichts

Mit Erfolg. Der BGH verweist zurück, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zu sichern. Das LG habe den Anspruch der Mieterin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es über ihren Gesundheitszustand und die behaupteten Auswirkungen einer Räumung kein Sachverständigengutachten eingeholt habe, obwohl dieses im Rahmen der Härtefallprüfung nach § 574 Abs. 1 S. 1 BGB unabdingbar gewesen wäre. Eine gravierende Gesundheitsverschlechterung im Fall eines Wohnungswechsels stelle einen Härtegrund dar, der unbedingt zu erforschen sei (Hinweis auf Senatsurteile BGH v. 28.4.2021 – VIII ZR 6/19, MietRB 2021, 225 [Dötsch] = MDR 2021, 923; v. 22.5.2018 – VIII ZR 180/18, MietRB 2019, 225, 226, 227, 228 [Monschau] = MDR 2019, 858). Nur dann könne man die Parteiinteressen gewichten und gegeneinander abwägen. Der Einwand sei hinreichend substantiiert vorgetragen und auch mittels Diagnose von einem Facharzt festgestellt worden.


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