BGH, Beschl. 17.10.2023 - VIII ZR 61/23
Mietminderung: Verjährungsfrist für Rückzahlungsansprüche wegen Flächenabweichungen
Autor: Prof. Dr. Ulf P. Börstinghaus, Gelsenkirchen
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 03/2024
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 03/2024
Eine konkrete Kenntnis des Mieters von sämtlichen in die Wohnflächenberechnung einzustellenden Maßen ergibt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres bereits durch den Bezug beziehungsweise die Nutzung der Wohnung.
BGB §§ 536; 199
Vorliegend hatte die Mieterin die Wohnung 2014 angemietet und anlässlich einer Mieterhöhung im Jahre 2021 die Wohnung vermessen lassen und dabei eine Wohnflächenabweichung von mehr als 10 % festgestellt. Sie verlangte von Beginn des Mietverhältnisses die vermeintliche Überzahlung zurück. Das LG ging von einem Verjährungsbeginn gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erst mit der Vermessung im Jahr 2021 aus. Es hat die Revision zugelassen.
Vorliegend galt für den Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung die Regelverjährung des § 195 BGB (BGH NZM 2011, 627). Die Regelverjährung beginnt gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Bei einem Anspruch aus ungerechtfertigter Leistung liegt die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis des Gläubigers im Sinne der letztgenannten Bestimmung vor, wenn er von der Leistung und von den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt. Eine zutreffende rechtliche Würdigung setzt § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hingegen nicht voraus.
Offengelassen hat der Senat, ob der Ansicht zu folgen ist, wonach eine hinreichende Tatsachenkenntnis in Bezug auf die tatsächliche Wohnfläche einer Mietwohnung bereits dann gegeben ist, wenn der Mieter – jedenfalls in Fällen einfach gelagerter Wohnflächenberechnungen – die konkreten Kantenlängen sämtlicher Räume und anzurechnender Grundflächen der Wohnung kennt (Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 16. Aufl., § 548 BGB Rz. 65; Börstinghaus, NJW 2011, 3545, 3546 inzwischen aber etwas einschränkend in NZM 2012, 177, 185 f.), oder ob eine Kenntnis des Mieters von der tatsächlichen Wohnfläche seiner Wohnung weitergehendes Wissen, insbesondere das Vorliegen einer Wohnflächenberechnung, erfordert (Cramer, NZM 2017, 457, 462). Nach Ansicht des Senats kam es auf diesen Streit nicht an. Eine konkrete Kenntnis der Klägerin von sämtlichen in die Wohnflächenberechnung einzustellenden Maßen ergibt sich jedenfalls nicht ohne weiteres bereits durch den Bezug beziehungsweise die Nutzung der Wohnung (LG Krefeld v. 7.11.2012 – 2 S 23/12, MietRB 2013, 33 [Abramenko] = NJW 2013, 401; LG München v. 19.12.2013 – 31 S 6768/13, NJW-RR 2014, 710, 711; a.A. AG Bonn v. 18.4.2012 – 203 C 55/11, MietRB 2012, 225 [Theesfeld] = juris Rz. 27; Börstinghaus, NJW 2011, 3545, 3546 inzwischen aber etwas einschränkend in NZM 2012, 177, 185; Witt, NZM 2012, 545, 552). Ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei Bezug einer Wohnung üblicherweise sämtliche Wände und Raumhöhen durch den Mieter ausgemessen werden, existiert nicht. Allein der durch Nutzung vermittelte optische Eindruck oder das Ausmessen einzelner Wände vermittelt dem Mieter jedoch keine Kenntnis sämtlicher für eine Wohnflächenberechnung erforderlichen Tatsachen.
Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis der Mieterin hat der Senat verneint. Eine solche setzt voraus, dass dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat. Da den Gläubiger generell keine Obliegenheit trifft, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben, ist ein Mieter grundsätzlich nicht verpflichtet, anlässlich des Bezugs der Wohnung diese vollständig auszumessen, um eine im Mietvertrag enthaltene Wohnflächenangabe zu überprüfen.
BGB §§ 536; 199
Das Problem
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (Wohnraummiete: BGH v. 7.4.2004 – VIII ZR 146/03, MDR 2004, 933 = MietRB 2004, 254 [Lützenkirchen]; Gewerberaummiete: BGH v. 4.5.2005 – XII ZR 254/01, MDR 2005, 975 = MietRB 2005, 259 [Zich]) stellt die Abweichung der tatsächlichen Wohnfläche von der vertraglich vereinbarten Wohnfläche um mehr als 10 % einen Mangel der Mietsache dar, der gem. § 536 Abs. 1 S. 2 BGB zur Minderung der Miete in dem Verhältnis führt, in dem die tatsächliche Wohnfläche die vereinbarte Wohnfläche unterschreitet. Dem Mieter steht dann ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch wegen der in der Vergangenheit gezahlten ungeminderten Miete zu. Strittig war, wann dieser Anspruch verjährt.Vorliegend hatte die Mieterin die Wohnung 2014 angemietet und anlässlich einer Mieterhöhung im Jahre 2021 die Wohnung vermessen lassen und dabei eine Wohnflächenabweichung von mehr als 10 % festgestellt. Sie verlangte von Beginn des Mietverhältnisses die vermeintliche Überzahlung zurück. Das LG ging von einem Verjährungsbeginn gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erst mit der Vermessung im Jahr 2021 aus. Es hat die Revision zugelassen.
Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH hat mit vorliegendem Beschluss darauf hingewiesen, dass ein Grund für die Zulassung der Revision nicht vorlag, woraufhin die Revision zurückgenommen wurde.Vorliegend galt für den Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung die Regelverjährung des § 195 BGB (BGH NZM 2011, 627). Die Regelverjährung beginnt gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Bei einem Anspruch aus ungerechtfertigter Leistung liegt die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis des Gläubigers im Sinne der letztgenannten Bestimmung vor, wenn er von der Leistung und von den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt. Eine zutreffende rechtliche Würdigung setzt § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hingegen nicht voraus.
Offengelassen hat der Senat, ob der Ansicht zu folgen ist, wonach eine hinreichende Tatsachenkenntnis in Bezug auf die tatsächliche Wohnfläche einer Mietwohnung bereits dann gegeben ist, wenn der Mieter – jedenfalls in Fällen einfach gelagerter Wohnflächenberechnungen – die konkreten Kantenlängen sämtlicher Räume und anzurechnender Grundflächen der Wohnung kennt (Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 16. Aufl., § 548 BGB Rz. 65; Börstinghaus, NJW 2011, 3545, 3546 inzwischen aber etwas einschränkend in NZM 2012, 177, 185 f.), oder ob eine Kenntnis des Mieters von der tatsächlichen Wohnfläche seiner Wohnung weitergehendes Wissen, insbesondere das Vorliegen einer Wohnflächenberechnung, erfordert (Cramer, NZM 2017, 457, 462). Nach Ansicht des Senats kam es auf diesen Streit nicht an. Eine konkrete Kenntnis der Klägerin von sämtlichen in die Wohnflächenberechnung einzustellenden Maßen ergibt sich jedenfalls nicht ohne weiteres bereits durch den Bezug beziehungsweise die Nutzung der Wohnung (LG Krefeld v. 7.11.2012 – 2 S 23/12, MietRB 2013, 33 [Abramenko] = NJW 2013, 401; LG München v. 19.12.2013 – 31 S 6768/13, NJW-RR 2014, 710, 711; a.A. AG Bonn v. 18.4.2012 – 203 C 55/11, MietRB 2012, 225 [Theesfeld] = juris Rz. 27; Börstinghaus, NJW 2011, 3545, 3546 inzwischen aber etwas einschränkend in NZM 2012, 177, 185; Witt, NZM 2012, 545, 552). Ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei Bezug einer Wohnung üblicherweise sämtliche Wände und Raumhöhen durch den Mieter ausgemessen werden, existiert nicht. Allein der durch Nutzung vermittelte optische Eindruck oder das Ausmessen einzelner Wände vermittelt dem Mieter jedoch keine Kenntnis sämtlicher für eine Wohnflächenberechnung erforderlichen Tatsachen.
Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis der Mieterin hat der Senat verneint. Eine solche setzt voraus, dass dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat. Da den Gläubiger generell keine Obliegenheit trifft, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben, ist ein Mieter grundsätzlich nicht verpflichtet, anlässlich des Bezugs der Wohnung diese vollständig auszumessen, um eine im Mietvertrag enthaltene Wohnflächenangabe zu überprüfen.