BGH, Beschl. 17.12.2020 - III ZB 31/20
Zumutbarkeit der Nutzung des beA
Autor: RA, FA-IT-Recht Dr. Kay Oelschlägel, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 04/2021
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 04/2021
Bei einer Störung des gerichtlichen Faxgeräts besteht für den Rechtsanwalt nicht unbedingt die Pflicht, als alternativen Übermittlungsweg das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zu benutzen, wenn er das beA bisher nicht aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt hat und mit der Nutzung nicht vertraut ist. Eine kurzfristige Einarbeitung ist dann unzumutbar.
ZPO §§ 130a, 233 Satz 1, 85
Den Antrag der Rechtsanwältin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
Kein fristgemäßer Eingang: Nach st. Rspr. des BGH sei eine im Original unterzeichnete, eingescannte und per E‑Mail übermittelte Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift beim Gericht erst in schriftlicher Form eingegangen, sobald dem Gericht ein vollständiger Ausdruck vorliege. Denn erst der Ausdruck erfülle die Anforderungen der §§ 520 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 i.V.m. 130 ZPO. Unter Heranziehung der BGH-Rspr. zur Übermittlung einer Rechtsmittelschrift per Telefax lasse sich auch kein anderes Ergebnis begründen (Verweis auf BGH, Beschl. v. 8.5.2019 – XII ZB 8/19). Da der Kläger vorliegend nicht bewiesen habe, dass der Ausdruck der E‑Mail dem Gericht bereits am 5.9.2019 vorgelegen habe, sei die Berufung verfristet.
Kein Verschulden: Das Berufungsgericht habe jedoch zu Unrecht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt. Denn ein Verschulden der Rechtsanwältin, welches dem Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen wäre, liege nicht vor. Fristversäumnisse, welche auf der Verzögerung der Entgegennahme von Schriftsätzen durch das Gericht beruhten, dürften dem Bürger nicht angelastet werden. Eine Störung des vom Gericht zum Empfang von Schriftsätzen bereitgestellten Empfangsgeräts falle somit allein in die Sphäre des Gerichts. Von einem Rechtsanwalt, welcher grundsätzlich Schriftsätze durch Telefax übermittle, könne beim Scheitern der gewählten Übermittlung grundsätzlich nicht verlangt werden, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart nutze. Jedoch sei es zumutbar, jedenfalls im gewählten Übermittlungsweg nach offensichtlichen Alternativen zu suchen und auch einen anderen als den gewählten Übermittlungsweg zu nutzen, falls er sich aufdränge und falls der erforderliche Aufwand geringfügig sei. Derzeit seien Rechtsanwälte gem. § 31a Abs. 6 BRAO nur zur passiven Nutzung des beA verpflichtet. Jedoch sei es für einen Rechtsanwalt, der mit der Nutzung des beA nicht vertraut sei und dieses auch nicht für den Versand von Schriftsätzen verwende, sei es bis zum Eintritt der aktiven Nutzungspflicht nicht zumutbar, bei Empfangsstörungen einen Übermittlungsversuch über das beA zu unternehmen. Vorliegend habe die Rechtsanwältin glaubhaft dargelegt, dass sie mit der aktiven Nutzung des beA nicht vertraut sei und dieses bisher nicht zum Versand von Schriftsätzen verwendet habe. Zudem habe sie im Wiedereinsetzungsverfahren in diversen Schriftsätzen mit sachlich unzutreffenden Ausführungen zur Funktionsweise des beA ihre mangelnde Vertrautheit bzw. Erfahrung glaubhaft gemacht.
ZPO §§ 130a, 233 Satz 1, 85
Das Problem
Gegen eine Klageabweisung versuchte die anwaltliche Klägervertreterin mehrmals vergeblich am Tag des Fristablaufs (5.9.2019) zwischen 17:00 und 19.45 Uhr Berufung einzulegen und die Berufungsbegründung per Fax an das Berufungsgericht zu senden. Da das dem Gericht zur Verfügung stehende Faxgerät seit dem Nachmittag das 5.9.2019 defekt war und der zuständige Justizwachtmeister des Berufungsgerichts der Rechtsanwältin kein empfangsbereites Faxgerät nennen konnte, sendete sie um 19.30 Uhr die eingescannte Berufungsbegründung per E‑Mail an das Berufungsgericht. Die E‑Mail wurde beim Berufungsgericht am 6.9.2019 ausgedruckt; das Original der Berufungsbegründung ging dem Gericht am 9.9.2019 zu.Den Antrag der Rechtsanwältin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
Die Entscheidung des Gerichts
Auf die Rechtsbeschwerde der Anwältin werde der Beschluss des Berufungsgerichts aufgehoben und dem Kläger gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.Kein fristgemäßer Eingang: Nach st. Rspr. des BGH sei eine im Original unterzeichnete, eingescannte und per E‑Mail übermittelte Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift beim Gericht erst in schriftlicher Form eingegangen, sobald dem Gericht ein vollständiger Ausdruck vorliege. Denn erst der Ausdruck erfülle die Anforderungen der §§ 520 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 i.V.m. 130 ZPO. Unter Heranziehung der BGH-Rspr. zur Übermittlung einer Rechtsmittelschrift per Telefax lasse sich auch kein anderes Ergebnis begründen (Verweis auf BGH, Beschl. v. 8.5.2019 – XII ZB 8/19). Da der Kläger vorliegend nicht bewiesen habe, dass der Ausdruck der E‑Mail dem Gericht bereits am 5.9.2019 vorgelegen habe, sei die Berufung verfristet.
Kein Verschulden: Das Berufungsgericht habe jedoch zu Unrecht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt. Denn ein Verschulden der Rechtsanwältin, welches dem Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen wäre, liege nicht vor. Fristversäumnisse, welche auf der Verzögerung der Entgegennahme von Schriftsätzen durch das Gericht beruhten, dürften dem Bürger nicht angelastet werden. Eine Störung des vom Gericht zum Empfang von Schriftsätzen bereitgestellten Empfangsgeräts falle somit allein in die Sphäre des Gerichts. Von einem Rechtsanwalt, welcher grundsätzlich Schriftsätze durch Telefax übermittle, könne beim Scheitern der gewählten Übermittlung grundsätzlich nicht verlangt werden, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart nutze. Jedoch sei es zumutbar, jedenfalls im gewählten Übermittlungsweg nach offensichtlichen Alternativen zu suchen und auch einen anderen als den gewählten Übermittlungsweg zu nutzen, falls er sich aufdränge und falls der erforderliche Aufwand geringfügig sei. Derzeit seien Rechtsanwälte gem. § 31a Abs. 6 BRAO nur zur passiven Nutzung des beA verpflichtet. Jedoch sei es für einen Rechtsanwalt, der mit der Nutzung des beA nicht vertraut sei und dieses auch nicht für den Versand von Schriftsätzen verwende, sei es bis zum Eintritt der aktiven Nutzungspflicht nicht zumutbar, bei Empfangsstörungen einen Übermittlungsversuch über das beA zu unternehmen. Vorliegend habe die Rechtsanwältin glaubhaft dargelegt, dass sie mit der aktiven Nutzung des beA nicht vertraut sei und dieses bisher nicht zum Versand von Schriftsätzen verwendet habe. Zudem habe sie im Wiedereinsetzungsverfahren in diversen Schriftsätzen mit sachlich unzutreffenden Ausführungen zur Funktionsweise des beA ihre mangelnde Vertrautheit bzw. Erfahrung glaubhaft gemacht.