BGH, Beschl. 19.12.2019 - IX ZB 83/18
Berücksichtigung eigener Einkünfte der unterhaltsberechtigten Person bei Pfändung des Unterhaltsverpflichteten
Autor: Prof. Dr. Gabriele Janlewing, Duisburg
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 03/2020
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 03/2020
Sowohl Bar- als auch Naturalunterhalt mindern den Bedarf des unterhaltsberechtigten Kindes und sind daher Einnahmen i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO. Kindergeld und Betreuungsleistungen eines nicht barunterhaltspflichtigen Elternteils stellen dagegen kein Einkommen i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO dar.
ZPO § 850c Abs. 4; BGB § 1606 Abs. 3 S. 2, § 1612b
Über das Vermögen des Schuldners, der monatlich ca. 2.010 € netto verdient, wurde im Februar 2017 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Ehefrau, ebenfalls in der Insolvenz, verdient ca. 375 €. Die beiden Kinder leben im Haushalt der Eltern. Die Familienkasse entrichtet für den 16-jährigen Sohn ein monatliches Kindergeld i.H.v. 194 € und für die 20-jährige Tochter i.H.v. 192 € jeweils an die Ehefrau. Die Tochter bezieht eine Leistung nach dem BAföG i.H.v. 231 €.
Auf Antrag des Treuhänders hat das AG (Insolvenzgericht) zunächst bestimmt, dass der Sohn und die Ehefrau als unterhaltsberechtigte Personen jeweils zu 71 % und die Tochter insgesamt unberücksichtigt bleiben. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG die Nichtberücksichtigung i.H.v. 71 % im Hinblick auf die Ehefrau bestätigt, die Tochter jedoch lediglich i.H.v. 65 % und den Sohn i.H.v. 16 % außer Ansatz gelassen. Der Treuhänder begehrt die Wiederherstellung der Erstentscheidung, soweit der Sohn und die Tochter des Schuldners betroffen sind.
Zutreffend hat das Gericht den Unterhaltsbedarf unterhaltsberechtigter Personen erneut (vgl. ebenso bereits BGH v. 5.4.2005 – VII ZB 28/05, FamRB 2005, 297) auf der Grundlage sozialrechtlicher Grundsätze zur Existenzsicherung nebst Zuschlag bestätigt. Eine konkrete Berechnung unterbleibt, vielmehr wird der Regelbedarf des § 20 Abs. 2 SGB II zugrunde gelegt und im Ermessen des Gerichts ein Zuschlag in einer Größenordnung von 30 bis 50 % addiert.
Bei der Frage, welche Einkünfte bedarfsdeckend sind, unterscheidet der BGH nicht zwischen Bar- und Naturalunterhalt, da beide Einkunftsarten den Unterhaltsverpflichteten gleichermaßen entlasten. Zu Recht lehnt der BGH die Berücksichtigung von Kindergeld als Einkommen i.S.v. § 850c Abs. 4 BGB ab. Der Gesetzgeber hat das Kindergeld bereits bei der Festsetzung der pauschalen pfändungsfreien Beträge berücksichtigt. Zudem würde die Zielsetzung des Gesetzes, mit Hilfe des Kindergelds das Existenzminimum des Kindes zu sichern, beeinträchtigt. Offen gelassen wurde, ob die Leistungen nach dem BAföG Einkünfte i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO sind, da eine andere als die vom LG getroffene Wertung dem Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers widersprochen hätte. Aus diesem Grund ist eine erneute Berechnung im Hinblick auf die Tochter unterblieben.
Bei der Frage des berücksichtigungswürdigen Anteils zweier unterhaltsverpflichteter Personen gilt: Der Elternteil, der das minderjährige Kind betreut, genügt hiermit regelmäßig seiner Unterhaltspflicht, der andere Elternteil muss mit seinem Einkommen den vollen Barbetrag bestreiten. In dieser Konstellation (alleinige Betreuung des einen, alleiniger Barunterhalt des anderen) kann der barunterhaltspflichtige Schuldner zu 100 % die unterhaltsberechtigte Person geltend machen. Sobald der andere Elternteil über die geschuldeten Betreuungsleistungen hinaus weitere Entlastungen beisteuert (z.B. durch eigene Einkünfte), werden die Einkommensanteile der Unterhaltsverpflichteten ins Verhältnis gesetzt. Da die Mutter durch ihr Einkommen den Barbedarf des Sohnes i.H.v. 16 % und der Vater i.H.v. 84 % decken kann, ist beim Vater eine Nichtberücksichtigung i.H.v. 16 % vertretbar.
Für die quotale Nichtberücksichtigung der Ehefrau, die nicht Gegenstand der sofortigen Beschwerde war, gilt: Ihr Unterhaltsbedarf beträgt 523,60 € (Regelbedarf nach § 20 SGB II i.H.v. 374 € zzgl. Erhöhung um 40 % i.H.v. 149,60 €). Mit ihren eigenen Einkünften i.H.v. 374,51 € kann die Ehefrau des Schuldners 71,53 % ihres Unterhaltsbedarfs selbst bestreiten, so dass sie bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens gem. § 850c ZPO zu 71 % unberücksichtigt bleibt.)
ZPO § 850c Abs. 4; BGB § 1606 Abs. 3 S. 2, § 1612b
Das Problem
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, inwiefern unterhaltsberechtigte Personen bei der Pfändung zu Lasten des Unterhaltsverpflichteten bzw. in der Insolvenz des Pflichtigen wegen eigener Einkünfte gem. § 850c Abs. 4 ZPO ganz oder zum Teil unberücksichtigt bleiben.Über das Vermögen des Schuldners, der monatlich ca. 2.010 € netto verdient, wurde im Februar 2017 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Ehefrau, ebenfalls in der Insolvenz, verdient ca. 375 €. Die beiden Kinder leben im Haushalt der Eltern. Die Familienkasse entrichtet für den 16-jährigen Sohn ein monatliches Kindergeld i.H.v. 194 € und für die 20-jährige Tochter i.H.v. 192 € jeweils an die Ehefrau. Die Tochter bezieht eine Leistung nach dem BAföG i.H.v. 231 €.
Auf Antrag des Treuhänders hat das AG (Insolvenzgericht) zunächst bestimmt, dass der Sohn und die Ehefrau als unterhaltsberechtigte Personen jeweils zu 71 % und die Tochter insgesamt unberücksichtigt bleiben. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG die Nichtberücksichtigung i.H.v. 71 % im Hinblick auf die Ehefrau bestätigt, die Tochter jedoch lediglich i.H.v. 65 % und den Sohn i.H.v. 16 % außer Ansatz gelassen. Der Treuhänder begehrt die Wiederherstellung der Erstentscheidung, soweit der Sohn und die Tochter des Schuldners betroffen sind.
Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH bestätigt die Entscheidung des LG und weist die Rechtsbeschwerde des Treuhänders zurück. Das Gericht nimmt zu drei praxisrelevanten und zum Teil unterschiedlich bewerteten Fragen Stellung: Wie berechnet sich der Unterhaltsbedarf der unterhaltsberechtigten Person im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO? Welche Einkünfte sind im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO bedarfsdeckend zu berücksichtigen? Wie bestimmt sich der berücksichtigungswürdige Anteil des Schuldners, wenn noch eine andere Person unterhaltsverpflichtet ist?Zutreffend hat das Gericht den Unterhaltsbedarf unterhaltsberechtigter Personen erneut (vgl. ebenso bereits BGH v. 5.4.2005 – VII ZB 28/05, FamRB 2005, 297) auf der Grundlage sozialrechtlicher Grundsätze zur Existenzsicherung nebst Zuschlag bestätigt. Eine konkrete Berechnung unterbleibt, vielmehr wird der Regelbedarf des § 20 Abs. 2 SGB II zugrunde gelegt und im Ermessen des Gerichts ein Zuschlag in einer Größenordnung von 30 bis 50 % addiert.
Bei der Frage, welche Einkünfte bedarfsdeckend sind, unterscheidet der BGH nicht zwischen Bar- und Naturalunterhalt, da beide Einkunftsarten den Unterhaltsverpflichteten gleichermaßen entlasten. Zu Recht lehnt der BGH die Berücksichtigung von Kindergeld als Einkommen i.S.v. § 850c Abs. 4 BGB ab. Der Gesetzgeber hat das Kindergeld bereits bei der Festsetzung der pauschalen pfändungsfreien Beträge berücksichtigt. Zudem würde die Zielsetzung des Gesetzes, mit Hilfe des Kindergelds das Existenzminimum des Kindes zu sichern, beeinträchtigt. Offen gelassen wurde, ob die Leistungen nach dem BAföG Einkünfte i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO sind, da eine andere als die vom LG getroffene Wertung dem Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers widersprochen hätte. Aus diesem Grund ist eine erneute Berechnung im Hinblick auf die Tochter unterblieben.
Bei der Frage des berücksichtigungswürdigen Anteils zweier unterhaltsverpflichteter Personen gilt: Der Elternteil, der das minderjährige Kind betreut, genügt hiermit regelmäßig seiner Unterhaltspflicht, der andere Elternteil muss mit seinem Einkommen den vollen Barbetrag bestreiten. In dieser Konstellation (alleinige Betreuung des einen, alleiniger Barunterhalt des anderen) kann der barunterhaltspflichtige Schuldner zu 100 % die unterhaltsberechtigte Person geltend machen. Sobald der andere Elternteil über die geschuldeten Betreuungsleistungen hinaus weitere Entlastungen beisteuert (z.B. durch eigene Einkünfte), werden die Einkommensanteile der Unterhaltsverpflichteten ins Verhältnis gesetzt. Da die Mutter durch ihr Einkommen den Barbedarf des Sohnes i.H.v. 16 % und der Vater i.H.v. 84 % decken kann, ist beim Vater eine Nichtberücksichtigung i.H.v. 16 % vertretbar.
Für die quotale Nichtberücksichtigung der Ehefrau, die nicht Gegenstand der sofortigen Beschwerde war, gilt: Ihr Unterhaltsbedarf beträgt 523,60 € (Regelbedarf nach § 20 SGB II i.H.v. 374 € zzgl. Erhöhung um 40 % i.H.v. 149,60 €). Mit ihren eigenen Einkünften i.H.v. 374,51 € kann die Ehefrau des Schuldners 71,53 % ihres Unterhaltsbedarfs selbst bestreiten, so dass sie bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens gem. § 850c ZPO zu 71 % unberücksichtigt bleibt.)