BGH, Beschl. 22.11.2023 - XII ZB 566/21
Namensführung einer türkischen Ehefrau nach Ehescheidung in Deutschland
Autor: RiAG Alexander Erbarth, Greiz
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 11/2024
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 11/2024
1. Die in Art. 10 Abs. 1 EGBGB enthaltene Verweisung auf das Heimatrecht des Namensträgers ist eine Gesamtverweisung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, die auch das Kollisionsrecht des ausländischen Staates umfasst; etwaige Rückverweisungen sind auch dann zu beachten, wenn ein fremdes Kollisionsrecht diese aufgrund einer abweichenden Qualifikation der Namensfrage ausspricht (im Anschluss an BGH v. 20.6.2007 – XII ZB 17/04, FamRZ 2007, 1540 = FamRBint 2007, 90).2. Familienrechtliche Vorfragen werden im internationalen Namensrecht grundsätzlich unselbstständig angeknüpft, soweit die zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse Auswirkungen auf den Erwerb oder Verlust eines Namens haben (Fortführung BGH v. 15.2.1984 – IVb ZB 701/81, BGHZ 90, 129 = FamRZ 1984, 576).3. Das gilt dann nicht, wenn die betreffende familienrechtliche Vorfrage Gegenstand der Statusentscheidung eines deutschen Gerichts (hier: Ehescheidung) gewesen ist; insoweit überlagert die Bindung des inländischen Rechtsanwenders an die Gestaltungswirkung dieser Entscheidung des kollisionsrechtliche Verweisungsergebnis (Vorrang des Verfahrensrechts vor dem Kollisionsrecht).4. Bei Anwendung türkischen Namenssachrechts verstößt die in Art. 173 Abs. 1 türkZGB enthaltene Verpflichtung der geschiedenen Ehefrau, ihren vorehelich geführten Namen wieder anzunehmen, auch bei einem gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten in der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls dann nicht gegen den kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB), wenn die Ehefrau nicht nach Art. 173 Abs. 2 türkZGB auf eine gerichtliche Erlaubnis zur Weiterführung des Ehenamens nach der Scheidung angetragen hat.
EGBGB Art. 4 Abs. 1, Art. 6, Art. 10 Abs. 1; TürkZGB Art. 173
Die Betroffene und ihr vormaliger Ehemann besitzen beide ausschließlich die türkische Staatsangehörigkeit. Die von ihnen im September 2009 in Deutschland geschlossene Ehe wurde am 22.10.2020 durch einen seit eben diesem Tag rechtskräftigen Beschluss eines deutschen AG geschieden. Eine Anerkennung des Scheidungsbeschlusses in der Türkei ist bislang nicht erfolgt. Eine Rechtswahl haben die Betroffene und ihr früherer Ehemann nicht getroffen. Die Betroffene führt seit der Eheschließung als Familiennamen den Geburtsnamen ihres Ehemannes. Sie erklärte am 26.11.2020 gegenüber dem Standesamt, diesen Namen auch nach der Ehescheidung weiter tragen zu wollen. Das Standesamt hatte Zweifel, ob die Betroffene, ungeachtet ihrer Erklärung, nicht nach der Ehescheidung wieder ihren Geburtsnamen führen müsse und legte die Sache dem AG zur Entscheidung vor. Das Gericht wies das Standesamt an, im Rahmen einer Folgebeurkundung im Eheregister einzutragen, dass die Betroffene nach der Ehescheidung wieder ihren Geburtsnamen führt. Die Beschwerde der Standesamtsaufsicht hat das OLG Nürnberg zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Standesamtsaufsicht.
Nach Art. 173 Abs. 1 türkZGB müsse die Betroffene den Familiennamen des Mannes nach der Ehescheidung ablegen und wieder ihren vor der Ehe geführten Familiennamen annehmen. Bei der Anwendung des türkischen Namensrechts stelle sich mithin die Vorfrage, ob die Betroffene geschieden sei. Familienrechtliche Vorfragen seien im internationalen Namensrecht grundsätzlich unselbstständig anzuknüpfen, sofern das zugrunde liegende Rechtsverhältnis Auswirkungen auf den Erwerb oder Verlust des Namens habe (BGH v. 15.2.1984 – IVb ZB 701/81, BGHZ 90, 129 = FamRZ 1984, 576, 578). Nach türkischem Recht gelte die Betroffene mangels Anerkennung bzw. Registrierung des deutschen Scheidungsbeschlusses in der Türkei aber nicht als geschieden.
Es sei nun umstritten, ob deutsche Gerichte und Behörden der Rechtsanwendung das bei unselbstständiger Anknüpfung der Vorfrage gefundene Ergebnis zugrunde legen können, wenn dies zur Folge hätte, dass sie die statusrechtlichen Wirkungen eines rechtskräftigen deutschen Scheidungsbeschlusses außer Acht lassen müssten. Es sei hier entgegen vereinzelt vertretener Ansicht (so BayObLG v. 12.9.2002 – 1Z BR 10/02, FamRZ 2003, 310, 311, die Entscheidung ist insgesamt problematisch, s. Mäsch, IPrax 2004, 102) der in Rechtsprechung (OLG Hamm FGPrax 2004, 115, 116; OLG Düsseldorf v. 2.11.1998 – 3 Wx 264/98, FamRZ 1999, 328) und Schrifttum (von Hein in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., Einl. IPR Rz. 196; Lipp in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., Art. 10 EGBGB Rz. 39 f.; Staudinger/Hausmann (2019), Art. 10 EGBGB Rz. 143; Looschelders, JA 2008, 65, 66; Mäsch, IPrax 2004, 102, 103 f.) vertretenen Ansicht zu folgen, nach der auch im internationalen Namensrecht der Vorrang des Verfahrensrechts vor dem Kollisionsrecht bestehe: Die Gestaltungswirkung eines deutschen Scheidungsbeschlusses schließe es für einen inländischen Rechtsanwender grundsätzlich aus, sich in Bezug auf das präjudizielle Rechtsverhältnis auf die unselbstständige Vorfragenanknüpfung zu berufen. Der rechtskräftige Scheidungsbeschluss eines deutschen Gerichts erhebe einen hoheitlichen Geltungsanspruch im Inland und die Bindung inländischer Gerichte und Behörden an diese Entscheidung könne nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Scheidungsbeschluss in einem anderen Staat anerkannt worden sei oder nicht. Sonach müsse die Betroffene bei der Anwendung des türkischen Namensrechts als geschieden behandelt werden.
Etwas überraschend führt der Senat im Anschluss aus, es könne freilich nicht von einem schematischen Vorrang des Verfahrensrechts vor dem Kollisionsrecht ausgegangen werden. Im internationalen Eheschließungsrecht werde die Frage, ob die Vorehe eines der beiden Verlobten dergestalt wirksam aufgelöst wurde, dass er zur Wiederverheiratung fähig sei, in einem ersten Schritt auch beim Vorliegen eines deutschen Scheidungsbeschlusses aus Sicht der heimatstaatlichen Rechtsordnung eines ausländischen Verlobten beurteilt. Dies ergebe sich unzweifelhaft im Umkehrschluss aus Art. 13 Abs. 2 EGBGB. Auch wenn sich Art. 13 Abs. 2 EGBGB wegen seines Ausnahmecharakters kein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke für das gesamte Internationale Privatrecht entnehmen lasse, verdeutliche die Vorschrift doch, dass die kollisionsrechtliche Verweisung auf die Sichtweise einer ausländischen Rechtsordnung im Einzelfall auf so gewichtigen Gründen des internationalen Entscheidungseinklangs beruhen könne, dass der interne Entscheidungseinklang dahinter ausnahmsweise zurücktreten müsse. Im internationalen Namensrecht wäre dies dann der Fall, wenn spezifische Zwecke des Art. 10 Abs. 1 EGBGB einer Verselbstständigung der von einem inländischen Gericht entschiedenen Statusfrage zwingend entgegenstehen würden.
Die Betroffene könne sich, trotz ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland, nicht auf einen Verstoß gegen den ordre public gem. Art. 6 EGBGB berufen. Der Betroffenen sei es zuzumuten, den deutschen Scheidungsbeschluss in der Türkei anerkennen zu lassen und in der Folge einen im türkischen Recht vorgesehenen Antrag auf Fortführung des Familiennamens des Mannes zu stellen. Ein entsprechender Beschluss des türkischen Gerichts wäre im deutschen Personenstandsregister eintragungsfähig. Solange die Betroffene nicht alle Möglichkeiten des türkischen Rechts ausgeschöpft habe, sei die Berufung auf den nationalen ordre public ausgeschlossen.
EGBGB Art. 4 Abs. 1, Art. 6, Art. 10 Abs. 1; TürkZGB Art. 173
Das Problem
Die in die amtliche Sammlung (BGHZ 239, 62) aufgenommene Entscheidung des BGH behandelt vier klassische Probleme des internationalen Namensrechts: Die Gesamtverweisung zum Heimatrecht des Namensträgers nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, die nach überwiegender Ansicht grundsätzlich unselbstständige Anknüpfung der Vor- und Erstfragen im internationalen Namensrecht, die ausnahmsweise gleichwohl selbstständige Anknüpfung der Vorfrage, wenn das die Vorfrage bildende Rechtsverhältnis, z.B. eine Scheidung, bereits Gegenstand einer inländischen Gestaltungsentscheidung gewesen ist (Vorrang des Verfahrensrechts vor dem IPR) sowie die Frage eines Verstoßes gegen den ordre public. Sämtliche Probleme sind Folge der nicht mehr sachgemäßen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in Art. 10 Abs. 1 EGBGB statt an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Namensträgers.Die Betroffene und ihr vormaliger Ehemann besitzen beide ausschließlich die türkische Staatsangehörigkeit. Die von ihnen im September 2009 in Deutschland geschlossene Ehe wurde am 22.10.2020 durch einen seit eben diesem Tag rechtskräftigen Beschluss eines deutschen AG geschieden. Eine Anerkennung des Scheidungsbeschlusses in der Türkei ist bislang nicht erfolgt. Eine Rechtswahl haben die Betroffene und ihr früherer Ehemann nicht getroffen. Die Betroffene führt seit der Eheschließung als Familiennamen den Geburtsnamen ihres Ehemannes. Sie erklärte am 26.11.2020 gegenüber dem Standesamt, diesen Namen auch nach der Ehescheidung weiter tragen zu wollen. Das Standesamt hatte Zweifel, ob die Betroffene, ungeachtet ihrer Erklärung, nicht nach der Ehescheidung wieder ihren Geburtsnamen führen müsse und legte die Sache dem AG zur Entscheidung vor. Das Gericht wies das Standesamt an, im Rahmen einer Folgebeurkundung im Eheregister einzutragen, dass die Betroffene nach der Ehescheidung wieder ihren Geburtsnamen führt. Die Beschwerde der Standesamtsaufsicht hat das OLG Nürnberg zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Standesamtsaufsicht.
Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als unbegründet angesehen und deshalb zurückgewiesen. Die Namensführung der Betroffenen unterliege gem. Art. 10 Abs. 1 EGBGB dem Recht des Staates, dem sie angehöre, also dem türkischen Recht. Die in Art. 10 Abs. 1 EGBGB enthaltene Verweisung in das Heimatrecht des Namensträgers sei eine Gesamtverweisung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, die auch das Kollisionsrecht des ausländischen Staates umfasse, so dass etwaige Rück-und Weiterverweisungen zu berücksichtigen seien. Die Gesamtverweisung werde durch das türkische Recht angenommen, eine Rückverweisung sei nicht vorgesehen.Nach Art. 173 Abs. 1 türkZGB müsse die Betroffene den Familiennamen des Mannes nach der Ehescheidung ablegen und wieder ihren vor der Ehe geführten Familiennamen annehmen. Bei der Anwendung des türkischen Namensrechts stelle sich mithin die Vorfrage, ob die Betroffene geschieden sei. Familienrechtliche Vorfragen seien im internationalen Namensrecht grundsätzlich unselbstständig anzuknüpfen, sofern das zugrunde liegende Rechtsverhältnis Auswirkungen auf den Erwerb oder Verlust des Namens habe (BGH v. 15.2.1984 – IVb ZB 701/81, BGHZ 90, 129 = FamRZ 1984, 576, 578). Nach türkischem Recht gelte die Betroffene mangels Anerkennung bzw. Registrierung des deutschen Scheidungsbeschlusses in der Türkei aber nicht als geschieden.
Es sei nun umstritten, ob deutsche Gerichte und Behörden der Rechtsanwendung das bei unselbstständiger Anknüpfung der Vorfrage gefundene Ergebnis zugrunde legen können, wenn dies zur Folge hätte, dass sie die statusrechtlichen Wirkungen eines rechtskräftigen deutschen Scheidungsbeschlusses außer Acht lassen müssten. Es sei hier entgegen vereinzelt vertretener Ansicht (so BayObLG v. 12.9.2002 – 1Z BR 10/02, FamRZ 2003, 310, 311, die Entscheidung ist insgesamt problematisch, s. Mäsch, IPrax 2004, 102) der in Rechtsprechung (OLG Hamm FGPrax 2004, 115, 116; OLG Düsseldorf v. 2.11.1998 – 3 Wx 264/98, FamRZ 1999, 328) und Schrifttum (von Hein in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., Einl. IPR Rz. 196; Lipp in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., Art. 10 EGBGB Rz. 39 f.; Staudinger/Hausmann (2019), Art. 10 EGBGB Rz. 143; Looschelders, JA 2008, 65, 66; Mäsch, IPrax 2004, 102, 103 f.) vertretenen Ansicht zu folgen, nach der auch im internationalen Namensrecht der Vorrang des Verfahrensrechts vor dem Kollisionsrecht bestehe: Die Gestaltungswirkung eines deutschen Scheidungsbeschlusses schließe es für einen inländischen Rechtsanwender grundsätzlich aus, sich in Bezug auf das präjudizielle Rechtsverhältnis auf die unselbstständige Vorfragenanknüpfung zu berufen. Der rechtskräftige Scheidungsbeschluss eines deutschen Gerichts erhebe einen hoheitlichen Geltungsanspruch im Inland und die Bindung inländischer Gerichte und Behörden an diese Entscheidung könne nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Scheidungsbeschluss in einem anderen Staat anerkannt worden sei oder nicht. Sonach müsse die Betroffene bei der Anwendung des türkischen Namensrechts als geschieden behandelt werden.
Etwas überraschend führt der Senat im Anschluss aus, es könne freilich nicht von einem schematischen Vorrang des Verfahrensrechts vor dem Kollisionsrecht ausgegangen werden. Im internationalen Eheschließungsrecht werde die Frage, ob die Vorehe eines der beiden Verlobten dergestalt wirksam aufgelöst wurde, dass er zur Wiederverheiratung fähig sei, in einem ersten Schritt auch beim Vorliegen eines deutschen Scheidungsbeschlusses aus Sicht der heimatstaatlichen Rechtsordnung eines ausländischen Verlobten beurteilt. Dies ergebe sich unzweifelhaft im Umkehrschluss aus Art. 13 Abs. 2 EGBGB. Auch wenn sich Art. 13 Abs. 2 EGBGB wegen seines Ausnahmecharakters kein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke für das gesamte Internationale Privatrecht entnehmen lasse, verdeutliche die Vorschrift doch, dass die kollisionsrechtliche Verweisung auf die Sichtweise einer ausländischen Rechtsordnung im Einzelfall auf so gewichtigen Gründen des internationalen Entscheidungseinklangs beruhen könne, dass der interne Entscheidungseinklang dahinter ausnahmsweise zurücktreten müsse. Im internationalen Namensrecht wäre dies dann der Fall, wenn spezifische Zwecke des Art. 10 Abs. 1 EGBGB einer Verselbstständigung der von einem inländischen Gericht entschiedenen Statusfrage zwingend entgegenstehen würden.
Die Betroffene könne sich, trotz ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland, nicht auf einen Verstoß gegen den ordre public gem. Art. 6 EGBGB berufen. Der Betroffenen sei es zuzumuten, den deutschen Scheidungsbeschluss in der Türkei anerkennen zu lassen und in der Folge einen im türkischen Recht vorgesehenen Antrag auf Fortführung des Familiennamens des Mannes zu stellen. Ein entsprechender Beschluss des türkischen Gerichts wäre im deutschen Personenstandsregister eintragungsfähig. Solange die Betroffene nicht alle Möglichkeiten des türkischen Rechts ausgeschöpft habe, sei die Berufung auf den nationalen ordre public ausgeschlossen.