BGH, Beschl. 22.8.2017 - VIII ZR 226/16

Beweismöglichkeit und Rücksichtnahmepflicht bei Kinderlärm aus der Nachbarwohnung

Autor: RA Frank-Georg Pfeifer, Düsseldorf
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 12/2017
Bei wiederkehrenden Beeinträchtigungen durch Lärm bedarf es nicht der Vorlage eines detaillierten Protokolls. Es genügt vielmehr grundsätzlich eine Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchtigungen es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten.

BGH, Beschl. v. 22.8.2017 - VIII ZR 226/16

Vorinstanz: LG Berlin - 67 S 41/16

BGB § 535; GG Art. 103

Das Problem

Die Klägerin ist Mieterin einer Erdgeschosswohnung in einem ca. um 1900 errichteten Gebäude. Sie klagt auf Beseitigung von Lärmstörungen, die von der darüber liegenden Wohnung ausgehen, sodann auf Feststellung einer darauf beruhenden Mietminderung von 50 % sowie auf Rückzahlung einer infolge der Minderung nur unter Vorbehalt geleisteten Miete von rd. 9.000 €. Die Kl. beruft sich auf von ihr gefertigte Lärmprotokolle und bietet Zeugenbeweis für den bisweilen mehrmals am Tag und bis zu vier Stunden andauernden Lärm an.

Das LG führte in seinem Berufungsurteil, das ebenso wie das AG die Klage abwies, u.a. aus: Die Kl. habe bei Einzug wissen müssen, dass in die dortigen Wohnungen auch Familien einzögen. Zumal es sich „unstreitig um ein Haus handele, das mit Hilfe öffentlicher Mittel errichtet worden sei” und somit Familien mit mehreren Kindern attraktiven Wohnraum biete.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH sieht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

(1) So müsse sich insbesondere aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben, dass das Gericht die wesentlichen Punkte des Klagevorbringens berücksichtigt und in seine Überlegungen mit einbezogen habe. Hier habe das LG aber den Kern des klägerischen Vorbringens zu Art, Intensität, Häufigkeit und Dauer der Lärmstörungen verkannt und dadurch bereits im Ansatz die entscheidungserhebliche Abwägung der einander gegenüber stehenden Interessen verfehlt. (2) Zwar entspreche es allgemeiner Auffassung, dass in einem Mehrfamilienhaus gelegentlich auftretende Lärmbeeinträchtigungen grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen seien und nicht ohne weiteres einen Mietmangel begründeten. Dazu zähle auch üblicher Kinderlärm, wie z.B. § 22 Abs. 1a BimSchG und § 6 Abs. 1 LImSchG Bln zeigten. (3) Das Gebot der Toleranz gegenüber solchen Geräuschen werde im Rahmen der mietrechtlichen Abwägung zugleich durch das Gebot zumutbarer gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt. Damit seien zwar Geräusche, die ihren Ursprung in einem altersgerecht üblichen kindlichen Verhalten haben, grundsätzlich hinzunehmen. Auf der anderen Seite habe diese Toleranz auch Grenzen, welche nach den Einzelumständen zu ziehen seien. Dazu gehörten u.a. Alter und Gesundheitszustand des Kindes sowie die Vermeidbarkeit der Geräusche durch erzieherische Maßnahmen. (4) Insoweit habe das LG wesentliches Vorbringen der Kl. übergangen, indem es durch die lediglich kursorische Auswertung der vorgelegten Lärmprotokolle sich den Blick für den Kern „des in jeder Hinsicht mit Substanz unterlegten Vorbringens der Kl.” verstellt habe. Dieses Vorbringen belege, dass die Geräuschemissionen „jedes noch irgendwie hinzunehmende Maß überschritten haben.” (4) Es könne daher schlechthin nicht davon die Rede sein, dass – wie das LG ausführte – die Störungen durch die Kinder „als ein Schritt der natürlichen Entwicklung von Kindern hinzunehmen (seien) und ...normaler Wohnnutzung” entsprächen. Das gelte „umso mehr, als es einer Vorlage der Lärmprotokolle noch nicht einmal bedurft hätte, weil die Immissionsbelastung... mit ausreichender Substanz beschrieben war,” (Verweis betr. Hellhörigkeit des Hauses auf BGH v. 21.2.2017 – VIII ZR 1/16, MietRB 2017, 154 = MDR 2017, 448). (5) Das LG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör auch dadurch verletzt, dass es diejenigen Störungszeiträume als unsubstantiiert außer Betracht ließ, hinsichtlich derer kein Lärmprotokoll vorgelegt war (Verweis auf BGH, Urt. v. 15.2.2017 – VIII ZR 284/15 Rz. 16, MDR 2017, 597 m.w.N.):

„Es genügt vielmehr grundsätzlich eine Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchtigungen es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten.” (Anm. der Redaktion: Nicht zu verwechseln mit der Tonfrequenz der Geräusche, die etwa gerätetechnisch in Kilohertz oder Hertz zu messen wäre.)

In der neuen Verhandlung so der BGH abschließend, werde das LG zu erwägen haben, ob ein Ortstermin nebst sachverständiger Beratung Aufschluss zur Hellhörigkeit des Hauses erbringen könne.


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