BGH, Beschl. 24.9.2019 - VI ZB 39/18

Auskunftsanspruch nach dem TMG über vorhandene Bestandsdaten gilt auch für den Facebook Messenger

Autor: RA Dr. Ilja Czernik, SKW Schwarz Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 03/2020
§ 14 Abs. 3-5 TMG sind europarechtskonform, da sie als Rechtsvorschrift i.S.d. Art. 6 Abs. 4 DS-GVO die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche und damit das Regelungsziel des Art. 23 Abs. 1 lit. j DS-GVO in verhältnismäßiger Weise gewährleisten. Der Diensteanbieterbegriff in § 14 Abs. 3 TMG ist nicht auf Anbieter sozialer Medien i.S.d. NetzDG beschränkt, sondern erfasst alle Diensteanbieter i.S.d. § 2 S. 1 Nr. 1 TMG.

TMG § 14 Abs. 3

Das Problem

Über den Facebook Messenger Dienst wurden verschiedene Text- und Sprachnachrichten sowie ein Video an Freunde und Familienangehörige der Antragstellerin verschickt. Die Textnachricht enthielt u.a. die Worte „ist sie die grösste schlampe“ sowie „was für ein schandfleck sie für die stolze Familie [K.] ist“ sowie nach Aussage der Antragstellerin verschiedene unzutreffende Behauptungen. Die Antragstellerin beantragte, „der Beteiligten zu gestatten, der Antragstellerin Auskunft zu erteilen über die Bestandsdaten der streitgegenständlichen Nutzerkonten, durch Angabe jeweils der folgenden, bei der Beteiligten gespeicherten Daten: IP-Adressen, die von den Nutzern für das Hochladen verwendet wurden nebst genauem Zeitpunkt des Hochladens, Namen der Nutzer, E‑Mail Adressen der Nutzer, IP-Adressen, die von den Nutzern zuletzt für einen Zugriff auf [die streitgegenständlichen Nutzerkonten] verwendet wurden nebst genauem Zeitpunkt des Zugriffs. Das LG- und OLG wiesen den Antrag mit der Begründung zurück, dass der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 3 TMG nicht eröffnet sei. Der Messengerdienst von Facebook sei keine Plattform iSd NetzDG, was aber das Gestattungsverfahren nach § 14 Abs. 3 TMG voraussetze.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlungen zurück.

Das Gestattungsverfahren in § 14 Abs. 3 TMG sei nicht auf Anbieter sozialer Mediendienste beschränkt, sondern erfasse alle Diensteanbieter von Telemedien iSd TMG. Ob es sich beim Facebook Messenger um einen solchen Anbieter handele, müsse jedoch für eine abschließende Entscheidung vom OLG zunächst ermittelt werden. Zudem müsse dieses prüfen, ob eine Verletzungshandlung iSd NetzDG vorliege sowie ob der Antragstellerin ein Auskunftsanspruch iSd § 14 Abs. 4 TMG zustehe.

Es sei zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob der BGH international zuständig sei. Dies sei im Ergebnis zu bejahen. Da sich die Beigeladene rügelos eingelassen habe, sei von einer Zuständigkeit nach Art. 26 Abs. 1 EuGVVO auszugehen. Die EuGVVO sei anzuwenden, da es sich beim Gestattungsverfahren nach § 14 Abs. 3-5 TMG um eine Zivilsache iSd Art. 1 Abs. 1 EuGVVO handele. Schließlich gehe es um die Geltendmachung zivilrechtlicher Auskunftsansprüche in einem kontradiktorischen Verfahren. Lediglich soweit keine Gegenpartei auftrete, bleibe der Anwendungsbereich der Art. 4 ff. EuGVVO verschlossen. Hiervon sei bei dem Gestattungsverfahren nach § 14 Abs. 3 TMG indes nicht auszugehen, da der beigeladene Diensteanbieter zwingend zu beteiligen sei und entgegengesetzte Interessen vertreten würde.

Des weiteren sei zu prüfen, ob hier der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 3 TMG eröffnet sei.

Dabei sei zunächst mangels abschließender Bewertung durch das OLGericht zu unterstellen, dass der Messengerdienst als Telemedium und nicht als Telekommunikationsdienst iSd TKG einzugruppieren sei.

§ 14 Abs. 3 TMG werde nicht durch § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG-neu verdrängt, da das TMG gegenüber dem BDSG insoweit als lex specialis anzusehen sei, da es, trotz der Gesetzesänderungen in Folge der DS-GVO und Kenntnis des Gesetzgebers vom parallelen Anwendungsbereich, fortbestehe.

§ 14 Abs. 3-5 TMG werde des weiteren auch nicht durch die DS-GVO verdrängt, sondern setze Art. 6 Abs. 4 DS-GVO um. Soweit Art. 6 Abs. 4 DS-GVO nämlich vorsehe, dass eine zweckändernde Weiterverarbeitung aufgrund einer dies gestattenden nationalen Rechtsvorschrift zulässig sei, handele es sich bei § 14 Abs. 3-5 TMG um eben eine solche Rechtsvorschrift. Hierüber werde nämlich die in Art. 23 Abs. 1 lit. j vorgesehene Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ermöglicht. Die gegenteilige Ansicht, wonach Art. 6 Abs. 4 DS-GVO nur im Bereich der Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DS-GVO zu lesen sei, vertrage sich hingegen weder mit dem Wortlaut noch der systematische Stellung der Norm. § 14 Abs. 3 TMG erfülle zudem die Voraussetzungen, die Art. 6 Abs. 4 DS-GVO an eine nationale Rechtsvorschrift stelle. Sie enthalte entsprechend Art. 23 Abs. 2 lit. a – h DS-GVO a) den Zweck der Verarbeitung („Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden“), b) die Kategorien persönlicher Daten („vorhandene Bestandsdaten“, § 14 Abs. 3 TMG und „Abrechnungsdaten“ § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG), c) den Umfang der vorgenommenen Beschränkungen („Auskunftserteilung“), d) die Garantien gegen Missbrauch oder unrechtmäßigen Zugang oder unrechtmäßige Übermittlung („vorherige gerichtliche Anordnung“), e) die Angaben zu den Verantwortlichen („Diensteanbieter“), f) die jeweiligen Speicherfristen sowie die geltenden Garantien unter Berücksichtigung von Art, Umfang und Zwecken der Verarbeitung („soweit dies ... erforderlich ist“), g) die Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen („vorherige gerichtliche Anordnung“) sowie h) das Recht der betroffenen Personen auf Unterrichtung über die Beschränkung, sofern dies nicht dem Zweck der Beschränkung abträglich ist („darf den Nutzer über die Einleitung des Verfahrens unterrichten“).

Schließlich gelte dasGestattungsverfahren nicht bloß gegenüber sozialen Netzwerken i.S.d. Netzwerksdurchsetzungsgesetzes, da der Dienstanbieterbegriff des TMG gilt. Hierfür sprächen Sinn und Zweck des § 14 Abs. 3 TMG, dessen Entstehungsgeschichte sowie seine systematische Stellung. Schließlich sei § 14 Abs. 3 TMG als Reaktion auf die Jameda Entscheidung des BGH angepasst worden (BGH, Urt. v. 1.7.2014 – VI ZR 345/13). Würde man nun aber den Diensteanbieterbegriff auf soziale Netzwerke i.S.d. § 1 Abs. 1 NetzDG verengen, wäre gerade dieser Fall eines Ärztebewertungsportales nicht vom Anwendungsbereich der Norm erfasst. Denn ein Ärztebewertungsportal sei nicht dazu bestimmt, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ziel des Auskunftsanspruchs sei es zudem ganz allgemein die Identitätsfeststellung eines Verletzers im Internet zu ermöglichen und nicht bloß in wenigen Ausnahmefällen. Zudem wäre es systemwidrig, den Auskunftsanspruch im TMG zu verorten, wenn er lediglich Diensteanbieter nach dem NetzDG erfassen sollte.

Infolgedessen hob der BGH die Entscheidung auf und verwies die Sache zurück. Hierbei gab er dem OLG auf den Weg, dass dieses insbesondere das Vorliegen einer Verletzungshandlung zu prüfen habe. Dies sei erforderlich, um den vermeintlichen Verletzer vor der vorschnellen Herausgabe der Daten zu schützen. Insofern reiche es nicht aus, wenn der Antragsteller eine Verletzung behaupte.


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