BGH, Beschl. 26.9.2023 - VI ZR 97/22
Vorlagefragen zu Unterlassungsanspruch und immateriellem Schaden i.R.d. DSGVO
Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2023
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2023
Es bestehen Vorlagefragen zum unionsrechtlichen oder nationalen Unterlassungsanspruch bei unrechtmäßiger Weiterleitung personenbezogener Daten und zum Begriff des immateriellen Schadens i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO.
VO (EU) 2016/679 Artt. 17, 18, 79, 82 Abs. 1, 84; GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 253, 823, 1004 Abs. 1
Unterlassungsanspruch ohne Löschung: Ob sich die Unterlassungsklage ohne Löschungsbegehren auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO stützen lasse, sei fraglich. Dies wurde bislang nur bei Verbindung mit einer Löschung angenommen (vgl. etwa zu Suchmaschinen EuGH v. 8.12.2022 – C-460/20 – Entfernung angeblich unrichtiger Inhalte Rz. 82 f., CR 2023, 52 = ITRB 2023, 61 [Kartheuser]; zu Bewertungsplattformen BGH v. 13.12.2022 – VI ZR 54/21 – Ärztebewertung VII Rz. 3 f., 40, CR 2023, 378). Auch wenn der Wortlaut der Norm dies nicht vorsehe, könne dafür sprechen, dass sich das Unterlassungsverlangen prinzipiell durch Löschung der unrechtmäßig verarbeiteten Daten erfüllen lasse (Rz. 17, 19 ff. m.w.N., Vorlagefrage 1a).
Unterlassung aus Verarbeitungseinschränkung: Lehne der Betroffene die Löschung ab, könne er gem. Artt. 18 Abs. 1 lit. b, 4 Nr. 3 DSGVO die Einschränkung der Verarbeitung verlangen. Hier sei fraglich, ob davon auch ein Unterlassungsanspruch erfasst werde. Ob sich ferner insb. aus Art. 79 DSGVO ein Unterlassungsanspruch ergebe, sei umstritten (Rz. 18, 21 m.w.N., Vorlagefrage 1b).
Wiederholungsgefahr und ihre Vermutung: Der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch setze nach nationalem Recht voraus, dass weitere Beeinträchtigungen des Rechts des Anspruchsstellers zu besorgen seien, wobei hierfür aufgrund des bereits erfolgten Verstoßes eine widerlegliche tatsächliche Vermutung bestehe. Ob dies auch aufgrund der DSGVO gelte, sei noch nicht geklärt (Rz. 24 ff. m.w.N.; Vorlagefragen 2a und 2b).
Ersatzweiser nationaler Unterlassungsanspruch: Wenn aufgrund der DSGVO kein Unterlassungsanspruch in Betracht komme, stelle sich die Frage, ob insoweit über Artt. 84, 79 DSGVO auf das nationale Recht zurückgegriffen werden könne oder dem das Ziel eines gleichmäßigen Datenschutzniveaus innerhalb der Union (Erwgrd. 9, 10 DSGVO) nicht entgegenstehe (Rz. 28 f. m.w.N.; Vorlagefrage 3; zu §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14 Rz. 18, AfP 2015, 564; zu § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB BGH v. 17.7.2008 – I ZR 219/05 – Clone-CD Rz. 13 m.w.N., CR 2008, 691 = ITRB 2009, 3 [Rössel]).
Negative Folgen ohne Schadensqualität: Für Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO müsse zum DSGVO-Verstoß der Schadeneintritt hinzukommen, für den keine Erheblichkeitsschwelle gelte. Jedoch sei nachzuweisen, dass die eingetretenen negativen Folgen einen Schaden darstellten. Erwgrd. 75, 85 DSGVO konkretisierten den Schadensbegriff durch Beispiele „oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile“ für den Betroffenen (Rz. 31 f.; EuGH v. 4.5.2023 – C-300/21 – Österr. Post II Rz. 31 ff., 37, 42, 50 f., CR 2023, 436 = ITRB 2023, 170 [Rössel]).
Schadensersatz wegen negativer Gefühle: Angesichts der hier geltend gemachten Befürchtung der Datenweitergabe an branchenangehörige Dritte und der Kenntnis Dritter von der Schmach wegen des Unterliegens in Gehaltsverhandlungen stelle sich die noch ungeklärte Frage, ob derartige negative Gefühle, wie z.B. auch Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Ängste, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens seien, bereits einen immateriellen Schaden darstellten (Rz. 33; Vorlagefrage 4).
Schadensbemessung nach nationalem Recht: Die Schadensbemessung richte sich mangels Regelung in der DSGVO unter Berücksichtigung von Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz nach nationalem Recht. Es sei daher Sache der nationalen Gerichte festzustellen, ob die Schadenbemessung insb. den vollumfänglichen Schadensausgleich i.S.v. Erwgrd. 146 Satz 6 DSGVO gewährleiste (Rz. 36 f. m.w.N.).
Doppelfunktion des Schmerzensgelds: Da sich Ausgleichsmöglichkeiten für immaterielle Schäden nur beschränkt in Geld ausdrücken ließen, gebiete nach nationalem Recht ergänzend die Genugtuungsfunktion als Ausdruck einer durch den Schadensfall hervorgerufenen persönlichen Beziehung zum Schädiger, alle den Schadensfall besonders prägenden Umstände, wie etwa den Verschuldensgrad, bei der Bemessung des Schmerzensgelds i.S.d. § 253 BGB zu berücksichtigen (Rz. 38 f.; BGH v. 8.2.2022 – VI ZR 409/19 – Schmerzensgeld in Arzthaftungssachen Rz. 11 f., MDR 2022, 765).
Unionsrechtliche Verschuldensberücksichtigung: Ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO eine entsprechende Genugtuungsfunktion unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes zukomme, so dass der Grad des Verschuldens von Verantwortlichem, Auftragsverarbeiter oder Hilfspersonen zu berücksichtigen sei, sei unklar (Rz. 40; Vorlagefrage 5; bejahend GA v. 6.10.2022 – C-300/21 – Österr. Post II Rz. 29; ablehnend wegen Verzichts auf Regelung analog Art. 83 DSGVO GA v. 25.5.2023 – C-667/21 – KV Nordrhein Rz. 118 zu BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 Rz. 38 ff., NZA 2021, 1713).
Schadensersatz trotz Unterlassungsanspruch: Nach nationalem Recht könnten die Vollstreckungsmöglichkeiten eines erwirkten Unterlassungstitels eine Geldentschädigung für ideelle Beeinträchtigungen bei der gebotenen Gesamtwürdigung im Zweifel ausschließen (st. Rspr. zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht etwa BGH v. 22.2.2022 – VI ZR 1175/20 – Traumfrau gesucht Rz. 44 m.w.N., K&R 2022, 433). Fraglich sei, ob dies auch i.R.d. DSGVO gelte (Rz. 42 f.; Vorlagefrage 6).
VO (EU) 2016/679 Artt. 17, 18, 79, 82 Abs. 1, 84; GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 253, 823, 1004 Abs. 1
Das Problem
Bei einem Bewerbungsprozess über Xing versandte die Mitarbeiterin einer Privatbank über den Messengerdienst des Portals eine Nachricht zu Gehaltsverhandlungen auch an einen Nichtbeteiligten. Dieser fragte den Betroffenen, mit dem er vor einiger Zeit in derselben Holding gearbeitet hatte, ob es sich um eine Nachricht an ihn wegen einer Stellensuche handelte.Die Entscheidung des Gerichts
Der Erfolg der Klage des Betroffenen gegen die Bank auf Unterlassung und immateriellen Schadensersatz hänge von sechs Vorlagefragen ab.Unterlassungsanspruch ohne Löschung: Ob sich die Unterlassungsklage ohne Löschungsbegehren auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO stützen lasse, sei fraglich. Dies wurde bislang nur bei Verbindung mit einer Löschung angenommen (vgl. etwa zu Suchmaschinen EuGH v. 8.12.2022 – C-460/20 – Entfernung angeblich unrichtiger Inhalte Rz. 82 f., CR 2023, 52 = ITRB 2023, 61 [Kartheuser]; zu Bewertungsplattformen BGH v. 13.12.2022 – VI ZR 54/21 – Ärztebewertung VII Rz. 3 f., 40, CR 2023, 378). Auch wenn der Wortlaut der Norm dies nicht vorsehe, könne dafür sprechen, dass sich das Unterlassungsverlangen prinzipiell durch Löschung der unrechtmäßig verarbeiteten Daten erfüllen lasse (Rz. 17, 19 ff. m.w.N., Vorlagefrage 1a).
Unterlassung aus Verarbeitungseinschränkung: Lehne der Betroffene die Löschung ab, könne er gem. Artt. 18 Abs. 1 lit. b, 4 Nr. 3 DSGVO die Einschränkung der Verarbeitung verlangen. Hier sei fraglich, ob davon auch ein Unterlassungsanspruch erfasst werde. Ob sich ferner insb. aus Art. 79 DSGVO ein Unterlassungsanspruch ergebe, sei umstritten (Rz. 18, 21 m.w.N., Vorlagefrage 1b).
Wiederholungsgefahr und ihre Vermutung: Der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch setze nach nationalem Recht voraus, dass weitere Beeinträchtigungen des Rechts des Anspruchsstellers zu besorgen seien, wobei hierfür aufgrund des bereits erfolgten Verstoßes eine widerlegliche tatsächliche Vermutung bestehe. Ob dies auch aufgrund der DSGVO gelte, sei noch nicht geklärt (Rz. 24 ff. m.w.N.; Vorlagefragen 2a und 2b).
Ersatzweiser nationaler Unterlassungsanspruch: Wenn aufgrund der DSGVO kein Unterlassungsanspruch in Betracht komme, stelle sich die Frage, ob insoweit über Artt. 84, 79 DSGVO auf das nationale Recht zurückgegriffen werden könne oder dem das Ziel eines gleichmäßigen Datenschutzniveaus innerhalb der Union (Erwgrd. 9, 10 DSGVO) nicht entgegenstehe (Rz. 28 f. m.w.N.; Vorlagefrage 3; zu §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG BGH v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14 Rz. 18, AfP 2015, 564; zu § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB BGH v. 17.7.2008 – I ZR 219/05 – Clone-CD Rz. 13 m.w.N., CR 2008, 691 = ITRB 2009, 3 [Rössel]).
Negative Folgen ohne Schadensqualität: Für Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO müsse zum DSGVO-Verstoß der Schadeneintritt hinzukommen, für den keine Erheblichkeitsschwelle gelte. Jedoch sei nachzuweisen, dass die eingetretenen negativen Folgen einen Schaden darstellten. Erwgrd. 75, 85 DSGVO konkretisierten den Schadensbegriff durch Beispiele „oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile“ für den Betroffenen (Rz. 31 f.; EuGH v. 4.5.2023 – C-300/21 – Österr. Post II Rz. 31 ff., 37, 42, 50 f., CR 2023, 436 = ITRB 2023, 170 [Rössel]).
Schadensersatz wegen negativer Gefühle: Angesichts der hier geltend gemachten Befürchtung der Datenweitergabe an branchenangehörige Dritte und der Kenntnis Dritter von der Schmach wegen des Unterliegens in Gehaltsverhandlungen stelle sich die noch ungeklärte Frage, ob derartige negative Gefühle, wie z.B. auch Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Ängste, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens seien, bereits einen immateriellen Schaden darstellten (Rz. 33; Vorlagefrage 4).
Schadensbemessung nach nationalem Recht: Die Schadensbemessung richte sich mangels Regelung in der DSGVO unter Berücksichtigung von Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz nach nationalem Recht. Es sei daher Sache der nationalen Gerichte festzustellen, ob die Schadenbemessung insb. den vollumfänglichen Schadensausgleich i.S.v. Erwgrd. 146 Satz 6 DSGVO gewährleiste (Rz. 36 f. m.w.N.).
Doppelfunktion des Schmerzensgelds: Da sich Ausgleichsmöglichkeiten für immaterielle Schäden nur beschränkt in Geld ausdrücken ließen, gebiete nach nationalem Recht ergänzend die Genugtuungsfunktion als Ausdruck einer durch den Schadensfall hervorgerufenen persönlichen Beziehung zum Schädiger, alle den Schadensfall besonders prägenden Umstände, wie etwa den Verschuldensgrad, bei der Bemessung des Schmerzensgelds i.S.d. § 253 BGB zu berücksichtigen (Rz. 38 f.; BGH v. 8.2.2022 – VI ZR 409/19 – Schmerzensgeld in Arzthaftungssachen Rz. 11 f., MDR 2022, 765).
Unionsrechtliche Verschuldensberücksichtigung: Ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO eine entsprechende Genugtuungsfunktion unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes zukomme, so dass der Grad des Verschuldens von Verantwortlichem, Auftragsverarbeiter oder Hilfspersonen zu berücksichtigen sei, sei unklar (Rz. 40; Vorlagefrage 5; bejahend GA v. 6.10.2022 – C-300/21 – Österr. Post II Rz. 29; ablehnend wegen Verzichts auf Regelung analog Art. 83 DSGVO GA v. 25.5.2023 – C-667/21 – KV Nordrhein Rz. 118 zu BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 Rz. 38 ff., NZA 2021, 1713).
Schadensersatz trotz Unterlassungsanspruch: Nach nationalem Recht könnten die Vollstreckungsmöglichkeiten eines erwirkten Unterlassungstitels eine Geldentschädigung für ideelle Beeinträchtigungen bei der gebotenen Gesamtwürdigung im Zweifel ausschließen (st. Rspr. zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht etwa BGH v. 22.2.2022 – VI ZR 1175/20 – Traumfrau gesucht Rz. 44 m.w.N., K&R 2022, 433). Fraglich sei, ob dies auch i.R.d. DSGVO gelte (Rz. 42 f.; Vorlagefrage 6).