BGH, Beschl. 27.10.2021 - XII ZB 123/21

Keine gesteigerte Unterhaltspflicht bei leistungsfähigen Großeltern

Autor: VorsRiOLG a.D. Heinrich Schürmann, Münster
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2022
1. Das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungsfähigen Großeltern führt dazu, dass sich die Leistungsfähigkeit der Eltern für den Kindesunterhalt allein nach § 1603 Abs. 1 BGB richtet und damit unter Berücksichtigung des sog. angemessenen Selbstbehalts zu ermitteln ist. Die gesteigerte Unterhaltspflicht des § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB mit der Reduzierung auf den sog. notwendigen Selbstbehalt greift dann nicht ein.2. Der auf Unterhalt für sein minderjähriges Kind in Anspruch genommene Elternteil trägt die Darlegungs- und Beweislast für seine eigene Leistungsunfähigkeit und damit sowohl dafür, dass bei der begehrten Unterhaltszahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, als auch dafür, dass andere leistungsfähige Verwandte i.S.d. § 1603 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 BGB vorhanden sind.

BGB § 1601, § 1603

Das Problem

Der Antragsgegner ist Vater zweier Kinder. Bei einem einzusetzenden Einkommen von rund 1.400 € zahlte er für das Kind aus seiner geschiedenen Ehe monatlich 100 €. Für den ungedeckten Unterhalt trat die Unterhaltsvorschusskasse ein und erbrachte monatliche Leistungen zwischen 45 € und 101 €. Dabei ist zu beachten, dass die Unterhaltszahlungen des nicht mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils zum Einkommen des Kindes gehören. Sie mindern im Monat des Zahlungseingangs den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss (§ 2 Abs. 3 UVG), so dass es im Saldo bei dem Höchstbetrag gemäß § 7 Abs. 2 UVG verbleibt.

Das Land nahm den Antragsgegner aus übergegangenem Recht auf rückständigen Unterhalt in Höhe von rund 760 € in Anspruch. Der Antragsgegner hat geltend gemacht, dass seine eigenen Eltern (die Großeltern des Kindes) über Einkommen von rund 3.500 € bzw. 2.250 € verfügten. Es gebe damit weitere leistungsfähige Verwandte, weshalb er selbst Unterhalt nur bis zur Höhe seines angemessenen Selbstbehalts leisten müsse.

Die Entscheidung des Gerichts

Nachdem das AG dem Antrag zunächst entsprochen hatte, hat das OLG den Antrag auf die Beschwerde des Antragsgegners abgewiesen. Die zugelassene Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Der BGH ist in seinem zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmten Beschluss der Begründung der angefochtenen Entscheidung gefolgt. Unter Bezug auf die Materialien zur Gesetzgebung und eine frühe Entscheidung des Reichsgerichts (RG v. 18.2.1904 – Rep. IV. 419/03, RGZ 57, 69) hat er einleuchtend ausgeführt, weshalb „der Gesetzgeber das, was er gesagt hat, auch gemeint“ hat (Gutdeutsch, FamRZ 2018, 5, 7) und deshalb der verbreiteten Gegenansicht in Rechtsprechung und Literatur nicht zu folgen sei.

Nach § 1603 Abs. 1 BGB ende die Unterhaltspflicht regelmäßig dann, wenn durch die Zahlung des Unterhalts der eigene angemessene (zuvor: standesgemäße) Unterhalt des Pflichtigen gefährdet sei. Von „dem Recht und der Pflicht zur Selbsterhaltung“ (Mugdan, Motive zum BGB, Band IV, S. 364) gebe es lediglich zugunsten minderjähriger Kinder eine Ausnahme, soweit die Eltern deren Unterhalt nicht unter Wahrung ihres eigenen angemessenen Bedarfs aufbringen könnten. In diesen Fällen treffe sie eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Die damit verbundene Härte sei wiederum dann nicht zu rechtfertigen, wenn andere unterhaltspflichtige Verwandte – dies können der betreuende Elternteil oder die Großeltern sein – in der Lage wären, den Unterhalt zu zahlen, ohne dass ihr eigener angemessener Lebensbedarf i.S.d. § 1603 Abs. 1 BGB gefährdet werde. Für den Ausschluss der gesteigerten Unterhaltspflicht genüge es, wenn zumindest einer der nachrangig Verpflichteten den erforderlichen Betrag aufbringen könne; auf die Frage nach einer Ersatzhaftung weiterer Angehöriger komme es insoweit nicht an.

Dass § 7 UVG keinen Regress gegen die Großeltern ermögliche, rechtfertige keine andere Auslegung. Denn die sozialrechtlichen Vorschriften folgten den unterhaltsrechtlichen Regeln und nicht etwa umgekehrt. Zudem habe der Gesetzgeber bereits in einer Reihe von Gesetzen eine sozialrechtliche Haftung von Großeltern für ihre Enkel ausgeschlossen, weil diese nicht mehr den gesellschaftlichen Anschauungen entspreche. Diese Divergenz zwischen Sozial- und Unterhaltsrecht beruhe folglich auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers.

Allerdings obliege es dem zum Barunterhalt verpflichteten Elternteil, die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich zum einen seine eigene eingeschränkte bzw. fehlende Leistungsfähigkeit ergebe sowie zum anderen die für den aufzubringenden Unterhalt ausreichende Leistungsfähigkeit der nachrangig verpflichteten Verwandten folge. Soweit der Senat die Beweislast in früheren Entscheidungen abweichend beurteilt habe, halte er hieran nicht fest.


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