BGH, Beschl. 29.11.2023 - XII ZB 531/22
Subjektive Imparität als Voraussetzung der Gesamtnichtigkeit eines Ehevertrags
Autor: VorsRiOLG Prof. Dr. Alexander Schwonberg, Celle
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 04/2024
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 04/2024
Die Würdigung eines Ehevertrags als insgesamt sittenwidrig und nichtig i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB setzt konkrete Feststellungen zur subjektiven Imparität und diesbezügliche rechtliche Beurteilungen voraus.Im Wege eines Zwischenfeststellungsantrags gem. § 113 Abs. 1 FamFG, § 256 Abs. 2 ZPO kann eine abschließende und einheitliche Klärung hinsichtlich der streitigen Frage zur Gesamtnichtigkeit eines Ehevertrags erfolgen. Ein solcher Antrag kann auch erstmals im Beschwerdeverfahren gestellt werden.
BGB § 134, § 138 Abs. 1, § 139, § 1408 Abs. 1, § 1414; FamFG § 113 Abs. 1 S. 2; ZPO § 256 Abs. 2
Die Beteiligten haben sich Ende August 2018 getrennt. In dem seit Juli 2019 anhängigen Scheidungsverfahren hat die Antragsgegnerin einen Stufenantrag in der Folgesache Güterrecht anhängig gemacht. Auf die den Auskunftsantrag abweisende Entscheidung des AG hat das OLG (OLG Celle v. 14.12.2022 – 15 UF 137/21, FamRZ 2023, 927 = FamRB 2023, 352 [Finger]) nach dem im Beschwerdeverfahren in der ersten Stufe gestellten Zwischenfeststellungsantrag festgestellt, dass der von den Beteiligten geschlossene Ehevertrag insgesamt unwirksam sei und den Antragsteller zu der begehrten Auskunft zum Anfangs‑, Trennungs- und Endvermögen verpflichtet. Mangels einer wirksamen Rechtswahl widersprächen insb. die Regelungen zur Ehescheidung den nicht disponiblen und verfassungsrechtlich geschützten Bestimmungen zur Ehescheidung der §§ 1564 ff. BGB. Der Ehevertrag ziele insgesamt auf eine einseitige und unzumutbare Lastenerteilung.
Die Feststellungen des OLG rechtfertigten die Beurteilung des Ehevertrags als sittenwidrig hingegen nicht. Eine Vereinbarung zur Gütertrennung unterliege – wie der BGH mehrfach hervorhebt – keinen Wirksamkeitsbedenken, weil das Güterrecht nicht dem Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zuzuordnen und als Alternative zum gesetzlichen Güterstand vorgesehen sei. Allerdings könne sich die Nichtigkeit der Vereinbarung zur Gütertrennung aus einer nach § 138 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung ergeben. Vor dem Hintergrund seiner gefestigten Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle führt der BGH aus, dass ein unverzichtbarer Mindestgehalt an Scheidungsfolgen nicht bestehe, so dass auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten nicht allein aus einem unausgewogenen Vertragsinhalt geschlossen werden könne. Für das Verdikt der Sittenwidrigkeit seien außerhalb der Vertragsurkunde verstärkende Umstände erforderlich, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere durch die Ausnutzung einer Zwangslage, sozialen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit oder intellektuellen Unterlegenheit hindeuten könnten. Feststellungen zu den Voraussetzungen einer subjektiven Imparität, etwa aufgrund einer ungleichen Verhandlungsposition oder sonstiger Randumstände durch den Verhandlungsverlauf, habe das OLG jedoch nicht getroffen.
Einer Gesamtnichtigkeit gem. § 139 BGB infolge eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB stehe indes die salvatorische Klausel des Ehevertrags entgegen. Eine Gesamtnichtigkeit folge auch nicht allein aus einem etwaigen Anliegen der Beteiligten, der gelebten Ehe einen von islamischen Rechtsgrundsätzen geprägten, mit deutschen Rechtsvorstellungen unvereinbaren Rahmen zu geben. Insoweit werde das OLG jedoch zu bedenken haben, ob die ehevertraglichen Regelungen neben das deutsche Gesetzesrecht treten und dieses ergänzen sollten (so auch Aiwanger, FamRZ 2023, 931, 932).
BGB § 134, § 138 Abs. 1, § 139, § 1408 Abs. 1, § 1414; FamFG § 113 Abs. 1 S. 2; ZPO § 256 Abs. 2
Das Problem
Der Antragsteller, libanesischer Staatsangehöriger, und die Antragsgegnerin, deutsche Staatsangehörige, haben im September 1996 in Deutschland die Ehe geschlossen. In einem zuvor vor zwei muslimischen Zeugen geschlossenen Ehevertrag, der weitgehend einem damaligen Mustertext des Bundesverwaltungsamts entspricht, haben sie u.a. bei ihrem dauerhaften Wohnsitz in Deutschland als Güterstand die Gütertrennung vereinbart. Neben einer Morgengabe von 5.000 DM sowie einer weiteren „Abstandssumme“ haben sie die Voraussetzungen der Ehescheidung dahin gehend geregelt, dass die Antragsgegnerin unter konkret genannten Voraussetzungen ermächtigt wurde, selbst die Scheidung zu beantragen. Darüber hinaus verpflichtete sich der Antragsteller für den Fall, dass die Ehe aus seinem Verschulden geschieden werden sollte, der Antragsgegnerin einen „standesgemäßen Unterhalt“ zu gewähren. Neben Regelungen zum Sorgerecht enthielt der Ehevertrag auch eine salvatorische Klausel.Die Beteiligten haben sich Ende August 2018 getrennt. In dem seit Juli 2019 anhängigen Scheidungsverfahren hat die Antragsgegnerin einen Stufenantrag in der Folgesache Güterrecht anhängig gemacht. Auf die den Auskunftsantrag abweisende Entscheidung des AG hat das OLG (OLG Celle v. 14.12.2022 – 15 UF 137/21, FamRZ 2023, 927 = FamRB 2023, 352 [Finger]) nach dem im Beschwerdeverfahren in der ersten Stufe gestellten Zwischenfeststellungsantrag festgestellt, dass der von den Beteiligten geschlossene Ehevertrag insgesamt unwirksam sei und den Antragsteller zu der begehrten Auskunft zum Anfangs‑, Trennungs- und Endvermögen verpflichtet. Mangels einer wirksamen Rechtswahl widersprächen insb. die Regelungen zur Ehescheidung den nicht disponiblen und verfassungsrechtlich geschützten Bestimmungen zur Ehescheidung der §§ 1564 ff. BGB. Der Ehevertrag ziele insgesamt auf eine einseitige und unzumutbare Lastenerteilung.
Die Entscheidung des Gerichts
Die Beschwerde des Antragstellers führt zur Zurückverweisung des Verfahrens an das OLG. Bei dem Ehevertrag handele es sich um ein für den Auskunftsanspruch sowie den Anspruch auf Zugewinnausgleich vorgreifliches Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 2 ZPO, weil diese Ansprüche nach der vereinbarten Gütertrennung ausgeschlossen wären. Nur im Wege eines Zwischenfeststellungsantrags könne der Ehevertrag auf seine Gesamtnichtigkeit abschließend überprüft und die Streitfrage einheitlich geklärt werden (BGH v. 20.3.2019 – XII ZB 310/18, FamRZ 2019, 953 = FamRB 2019, 254 [Heinemann]). Ein dahin gehender Antrag könne auch im Beschwerdeverfahren – als zweiter Tatsacheninstanz (§ 115 FamFG) – erstmals gestellt werden.Die Feststellungen des OLG rechtfertigten die Beurteilung des Ehevertrags als sittenwidrig hingegen nicht. Eine Vereinbarung zur Gütertrennung unterliege – wie der BGH mehrfach hervorhebt – keinen Wirksamkeitsbedenken, weil das Güterrecht nicht dem Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zuzuordnen und als Alternative zum gesetzlichen Güterstand vorgesehen sei. Allerdings könne sich die Nichtigkeit der Vereinbarung zur Gütertrennung aus einer nach § 138 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung ergeben. Vor dem Hintergrund seiner gefestigten Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle führt der BGH aus, dass ein unverzichtbarer Mindestgehalt an Scheidungsfolgen nicht bestehe, so dass auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten nicht allein aus einem unausgewogenen Vertragsinhalt geschlossen werden könne. Für das Verdikt der Sittenwidrigkeit seien außerhalb der Vertragsurkunde verstärkende Umstände erforderlich, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere durch die Ausnutzung einer Zwangslage, sozialen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit oder intellektuellen Unterlegenheit hindeuten könnten. Feststellungen zu den Voraussetzungen einer subjektiven Imparität, etwa aufgrund einer ungleichen Verhandlungsposition oder sonstiger Randumstände durch den Verhandlungsverlauf, habe das OLG jedoch nicht getroffen.
Einer Gesamtnichtigkeit gem. § 139 BGB infolge eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB stehe indes die salvatorische Klausel des Ehevertrags entgegen. Eine Gesamtnichtigkeit folge auch nicht allein aus einem etwaigen Anliegen der Beteiligten, der gelebten Ehe einen von islamischen Rechtsgrundsätzen geprägten, mit deutschen Rechtsvorstellungen unvereinbaren Rahmen zu geben. Insoweit werde das OLG jedoch zu bedenken haben, ob die ehevertraglichen Regelungen neben das deutsche Gesetzesrecht treten und dieses ergänzen sollten (so auch Aiwanger, FamRZ 2023, 931, 932).