BGH, Beschl. 6.2.2020 - I ZB 21/19

Für die Beurteilung des Umfangs der rechtserhaltenden Benutzung gelten im Löschungs- und Widerspruchsverfahren unterschiedliche Maßstäbe

Autor: RA und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz Dr. Holger Alt, M.L.E., von BOETTICHER Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 03/2021
Im Löschungsverfahren wirkt die Benutzung für eine Spezialware auch für einen umfassenden, nicht zu breiten Warenoberbegriff rechtserhaltend. Die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise und das berechtigte Interesse des Zeicheninhabers, in seiner geschäftlichen Bewegungsfreiheit nicht ungebührlich eingeengt zu werden, rechtfertigen es, auch die Waren im Warenverzeichnis zu belassen, die nach der Verkehrsauffassung gemeinhin zum gleichen Warenbereich gehören. Die für das Löschungsverfahren im Interesse der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Markeninhabers entwickelte Rechtsprechung zur Einschränkung von Oberbegriffen gilt nicht für das Markenverletzungsverfahren. Ist die Marke für einen (weiten) Warenoberbegriff eingetragen, ist sie in diesem Verfahren so zu behandeln, als sei sie nur für die konkret benutzen Waren registriert. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass der Schutz der Marke lediglich für das konkret vertriebene Einzelprodukt mit sämtlichen individuellen Eigenschaften (hier: zweiteilige Einmalspritzen) besteht. Der Schutz erstreckt sich dabei aber auch auf gleichartige Waren (Fortführung von BGH, Urt. v. 29.6.2006 – I ZR 110/03, GRUR 2006, 937 = WRP 2006, 1133 – Ichthyol II).

MarkenG § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 26

Das Problem

Das deutsche Markenrecht gewährt dem Markeninhaber eine 5-jährige Benutzungsschonfrist. In diesem Zeitraum genießt seine Marke Schutz für alle eingetragenen Waren und Dienstleistungen, unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die Marke tatsächlich benutzt wird. Nach Ablauf der Benutzungsschonfrist muss der Markeninhaber im Rahmen eines Löschungsverfahrens oder im Falle einer Nichtbenutzungseinrede die rechtserhaltende Benutzung seiner Marke nachweisen. Entsprechend dürfen gem. § 43 Abs. 1 Satz 3 bei der Prüfung des Widerspruchs nur Waren und Dienstleistungen berücksichtigt werden, für die die Benutzung nachgewiesen wurde. Erfolgt die Benutzung der Marke nur für bestimmte Waren, muss im ersten Schritt geprüft werden unter welchen eingetragenen Begriff sich diese Waren subsumieren lassen. Soweit es sich hierbei um einen weiter gefassten Warenbegriff handelt, schließt sich die Frage an, ob durch die Benutzung der Marke für die Spezialware auch zugleich der weiter gefasste Warenbegriff rechtserhaltend benutzt wurde oder ob eine rechtserhaltende Benutzung nur für die konkreten benutzten Waren vorliegt.

Im vorliegenden Fall verfügte die Markeninhaberin u.a. über eine deutsche Wortmarke „INJEKT“, welche für „chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente, Apparate und Geräte“ in Klasse 10 eingetragen war. Sie legte aus dieser Marke Widerspruch gegen die deutsche Marke „INJEX“ ein, welche u.a. Schutz für „nadellose Injektionsapparate und Einwegampullen etc.“ in Klasse 10 beanspruchte. Im Widerspruchsverfahren konnte die Markeninhaberin aber nur eine Benutzung der Marke für „zweiteilige Einmalspritzen“ nachweisen, welche unter den eingetragenen Oberbegriff „ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Geräte“ fielen. Das BPatG hat in seiner Entscheidung hierin aber nicht nur eine rechtserhaltende Benutzung für die konkreten Produkte gesehen, sondern zugleich eine weitergehende rechtserhaltende Benutzung für die weitergefasste Warenkategorie „medizinische Spritzen“. Als Begründung hat es angeführt, dass ansonsten – wie vom BGH für das Löschungsverfahren anerkannt (vgl. BGH, GRUR 2013, 833 – Culinaria/Villla Culinaria) – die geschäftliche Bewegungsfreiheit der Markeninhaberin ungebührlich eingeengt würde. Ausgehend von einer rechtserhaltenden Benutzung für „medizinische Spritzen“ im Allgemeinen, ist das BPatG u.a. von einer Warenidentität mit den nadellosen Injektionssystemen etc. der angegriffenen Marke ausgegangen, da Spritzen nicht zwangsläufig eine Nadel enthalten müssten. Gegen diese Feststellung hat sich die Markenanmelderin im Wege der Rechtsbeschwerde gewandt und argumentiert, dass im Rahmen der Prüfung der Verwechslungsgefahr nur auf die Einmalspritzen hätte abgestellt werden dürfen, so dass zwischen den sich gegenüberstehenden Waren allenfalls von einer Warenähnlichkeit, nicht aber von einer Identität auszugehen sei.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH hob auf die Rechtsbeschwerde der Markenanmelderin den Beschluss des BPatG auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung an das BPatG zurück.

Im Ergebnis sei eine rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke für „medizinische Spritzen“ zu bestätigen Die Begründung des BPatG sei jedoch rechtsfehlerhaft. Die Frage, ob und inwieweit die Benutzung der Marke für eine Spezialware zugleich als rechtserhaltende Benutzung der übergeordneten Warenkategorie anzusehen sei, sei für das Löschungsverfahren und das Widerspruchsverfahren unterschiedlich zu beurteilen.

Beurteilung im Löschungsverfahren: Für das Löschungsverfahren gelte der Grundsatz, dass die Benutzung für eine Spezialware auch für einen umfassenden, nicht zu breiten Warenoberbegriff rechtserhaltend wirke. Die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise und das berechtigte Interesse des Markeninhabers zukünftig seine Produktpalette zu erweitern, rechtfertige die Annahme einer rechtserhaltenden Benutzung für zum gleichen Warenbereich gehörende Waren. Zum gleichen Warenbereich gehörten alle Waren, die in ihren Eigenschaften und ihrer Zweckbestimmung weitgehend übereinstimmten (BGH, GRUR 1990, 39, 40f. – Taurus; BGH, GRUR 2013, 833 – Culinaria/Villla Culinaria). Hierdurch werde ein sachgerechter Interessenausgleich zwischen den Interessen des Markeninhabers an der Ausdehnung seiner geschäftlichen Tätigkeit und dem Interesse an der Freihaltung des Registers von Marken, die für einen Teil der Waren nicht benutzt würden.

Beurteilung im Widerspruchsverfahren: Auf das Widerspruchsverfahren ließen sich die vorgenannten Grundsätze jedoch nicht übertragen. Der Sinn und Zweck des Benutzungszwangs gebiete es vielmehr, die Marken in Kollisionsfällen nach Ablauf der Benutzungsschonfrist so zu behandeln, als sei sie nur für die konkret benutzten Waren eingetragen. Andernfalls würde diese zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung der Markeninhaberin führen, deren Marke über die Spezialware hinaus für weitergefasste Oberbegriffe angemeldet wurde. Die Beschränkung auf die konkret benutzten Waren bedeute jedoch nicht, dass der Markenschutz sich nur auf das konkret vertriebene Einzelprodukt mit sämtlichen individuellen Eigenschaften beziehe. Vielmehr erstrecke sich der Schutz auch auf gleichartige Waren. Im vorliegenden Fall seien „Einmalspritzen“ und „medizinische Spritzen“ als gleichartig anzusehen. Die Differenzierung zwischen Löschungsverfahren und Widerspruchs- und Verletzungsverfahren erscheint sachgerecht. Während im Löschungsverfahren die Marke für die nicht benutzten Waren und dem Widerspruchsverfahren endgültig gelöscht würden, führt die Nichtbenutzungseinrede in den Kollisionsverfahren lediglich dazu, dass der Markeninhaber sich im konkreten Fall nicht auf einen Teil der eingetragenen Waren und Dienstleistungen berufen kann. Sollte er die Benutzung für weitere gleichartige Waren aber später aufnehmen, könnte er sich in zukünftigen Auseinandersetzungen auch (wieder) auf den erweiterten Markenschutz berufen.


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