Autor: RA Dr. Rainer Burbulla, Langguth & Burbulla Rechtsanwälte PartG mbB, Düsseldorf
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 07/2024
1. Beabsichtigt der Vermieter, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer (frei-)beruflichen Tätigkeit nachzugehen (hier: Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei), wird es für das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig ausreichen, dass ihm bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter bzw. anerkennenswerter Nachteil entstünde (Bestätigung von BGH v. 29.3.2017 – VIII ZR 45/16, MDR 2017, 755).2. Höhere Anforderungen gelten nicht deshalb, weil der Vermieter die an den Mieter überlassene Wohnung nach deren Umwandlung in Wohnungseigentum erworben und die Kündigung innerhalb eines Zeitraums erklärt hat, welcher der für Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen geltenden Kündigungssperrfrist gem. § 577a Abs. 1, 2 BGB entspricht.
BGB § 573 Abs. 1 Satz 1, § 573 Abs. 2 Nr. 2, 3, § 577a Das Problem
Die Mieter bewohnen seit dem Jahr 1977 eine Dreizimmerwohnung in Berlin. Das Haus, in dem die Mietwohnung gelegen ist, wurde im Jahre 2013 in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Im Jahre 2008 erwarb der Erwerber das Eigentum an der Mietwohnung und ist somit als neuer Vermieter in den Mietvertrag mit den Mietern eingetreten. Mit Schreiben vom 24.1.2021 erklärte der Vermieter unter Berufung auf § 573 Abs. 1 BGB die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Die Kündigung stützt er darauf, dass er die Räumlichkeiten künftig überwiegend für seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt mit einer Teilzeitkraft sowie eventuell mit Berufskollegen nutzen und dort auch seinen Wohnsitz begründen will. Mit seinen in den Vorinstanzen erfolglos gebliebenen Klagen verlangt der Vermieter Räumung und Herausgabe der Wohnung. Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH teilt zunächst die Auffassung der Vorinstanzen, dass keine Eigenbedarfskündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB vorliege, weil die geschäftliche Mitnutzung der Mieträume die beabsichtigte Nutzung für eigene private Wohnzwecke überwiegen soll. Eine Verwertungskündigung i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB läge gleichfalls nicht vor, da es nicht (allein) um die Realisierung des den Mieträumen innewohnenden materiellen Werts im Sinne der Ertragskraft geht, sondern (auch) um die Möglichkeit einer unter Einsatz dieses „Sachmittels“ ausgeübten (frei-)beruflichen Tätigkeit des Vermieters (Hinweis auf BGH v. 29.3.2017 – VIII ZR 45/16, MDR 2017, 755). Der BGH misst die Wirksamkeit dementsprechend am Maßstab von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das danach erforderliche berechtigte Interesse setze voraus, dass der Vermieter vernünftige Gründe für die Inanspruchnahme der Wohnung hat, die den (ernsthaft verfolgten) Nutzungswunsch nachvollziehbar erscheinen lasse (Hinweis auf BGH v. 26.9.2012 – VIII ZR 330/11, MDR 2013, 25 = MietRB 2013, 2 [Schach]). Zudem komme es darauf an, ob das vom Vermieter geltend gemachte Interesse ebenso schwer wiegt, wie die in § 573 Abs. 2 BGB aufgeführten Kündigungsgründe (Hinweis auf BGH v. 29.3.2017 – VIII ZR 45/16, MDR 2017, 755). Die für die Anerkennung eines berechtigten Interesses erforderliche Gewichtigkeit der geltend gemachten Belange hänge zunächst davon ab, mit welchem der vorgenannten Regeltatbestände das vom Vermieter geltend gemachte Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses am ehesten vergleichbar ist. Dies sei vorliegend die Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Eigenbedarfskündigung). Insoweit sei es jedoch nicht erforderlich, dass die Vorenthaltung der Mieträume für den Vermieter einen gewichtigen Nachteil begründe; vielmehr genüge bereits ein beachtenswerter Nachteil. Daher sei dem Erlangungsinteresse des Vermieters in solchen Fällen regelmäßig der Vorzug vor dem Bestandsinteresse des Mieters zu geben, wenn der ernsthaft verfolgte Nutzungswunsch von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist und dem Vermieter bei einem ihm verwehrten Bezug der Mieträume ein nach den Umständen des Falles anerkennenswerter Nachteil entstünde. Insoweit habe das LG zu hohe Anforderungen an das Vorliegen eines berechtigten Interesses des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses gestellt. Denn das LG habe die Wertungen der Vorschrift über die Kündigungssperrfrist für Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen gem. § 577a Abs. 1, 2 BGB dergestalt in die Interessenabwägung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB einfließen lassen, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter nicht nur einen beachtenswerten, sondern einen „gewichtigen“ Nachteil bedeuten müsse. Zwar wäre eine reguläre Eigenbedarfskündigung gem. § 573 Nr. 2 BGB aufgrund der in Berlin geltenden 10-jährigen Sperrfrist nach Aufteilung in Wohnungseigentum (§ 577a Abs. 1, 2 BGB) ausgeschlossen. Dies führe aber nicht dazu, dass dieser Umstand bei der Abwägung gem. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB dergestalt einfließen müsse, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter nicht nur einen beachtenswerten, sondern einen „gewichtigen“ Nachteil bedeuten müsse.