BGH, Urt. 12.5.2016 - I ZR 86/15
Keine Belehrung von Gästen und Mitbewohnern bei Internetnutzung
Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 01/2017
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 01/2017
Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung ist der Inhaber eines Internetanschlusses grundsätzlich nicht verpflichtet, volljährige Mitglieder seiner Wohngemeinschaft oder volljährige Besucher und Gäste, denen er das Passwort für seinen Internetanschluss zur Verfügung stellt, über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihnen die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu untersagen.
BGH, Urt. v. 12.5.2016 - I ZR 86/15 „Silver Linings Playbook”
Vorinstanz: LG Hamburg, Urt. v. 20.3.2015 - 310 S 23/14
Vorinstanz: AG Hamburg, Urt. v. 8.7.2014 - 25b C 887/13
UrhG § 97 Abs. 1 Satz 1
Keine Täterschaft: Der Film sei durch die Nichte und deren Lebensgefährten über den Internetanschluss mittels eines Filesharing-Programms rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht worden. An diesen Nutzungshandlungen sei die Anschlussinhaberin nicht beteiligt gewesen.
Keine Störerhaftung: Ihr sei nicht zuzumuten, die volljährige Nichte und deren Lebensgefährten ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihnen die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu untersagen.
Passwortschutz des Routers: Zwar hafte der Inhaber eines ungesicherten WLAN-Anschlusses als Störer auf Unterlassung, wenn außenstehende Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzten, um urheberrechtlich geschützte Musiktitel in Internet-Tauschbörsen einzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens, Rz. 20, CR 2010, 458 = ITRB 2010, 151). Die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen folge hier im Gegensatz zum Fall eines Gastes daraus, dass es regelmäßig im wohlverstandenen eigenen Interesse des Anschlussinhabers liege, seine Daten vor unberechtigtem Eingriff von außen zu schützen. Zudem gehe von der unkontrollierten Eröffnung eines Zugangs zum Internet regelmäßig eine wesentlich größere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen aus, als von der Überlassung des Anschlusses zur Nutzung durch Gäste, Besucher und Mitbewohner.
Keine Aufsichtspflicht bei Volljährigen: Anders als Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.2012 – I ZR 74/12 – Morpheus, Rz. 24, CR 2013, 324 = ITRB 2013, 100) hätten Wohnungsinhaber grundsätzlich keine Aufsichtspflicht gegenüber ihren volljährigen Mitbewohnern und Gästen, die Grundlage einer Belehrungspflicht über die Gefahren der Nutzung von Internet-Tauschbörsen sein könne.
Besucher und Mitbewohner: Für den Wohnungsinhaber besteht auch unabhängig von einer familiären Beziehung (vgl. dazu BGH, Urt. v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 – BearShare, Rz. 27 f., CR 2014, 472 = ITRB 2014, 176) gegenüber volljährigen Mitbewohnern und Gästen keine entsprechende Belehrungspflicht. In der heutigen Medien- und Informationsgesellschaft stelle die Überlassung eines privaten Internetanschlusses an volljährige Gäste und Mitbewohner des Wohnungsinhabers eine übliche Gefälligkeit dar. Die Überlassung eines Internetanschlusses zur Nutzung durch Mitbewohner oder Gäste sei nicht anders zu beurteilen als die Überlassung eines Telefonanschlusses (vgl. BGH, Urt. v. 18.5.1999 – X ZR 156/97 – Räumschild, CR 2000, 303), eines Kraftfahrzeugs oder auch einer Wohnung aus Gefälligkeit. In diesen Fällen scheide sowohl eine Störerhaftung als auch eine Verkehrspflichtverletzung des Überlassenden aus (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2007 – I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rz. 22 ff., CR 2007, 729 = ITRB 2007, 269).
Vereinbarkeit mit Unionsrecht: Aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/48/EG oder Art. 8 RL 2001/29/EG lasse sich keine anlasslose Belehrungspflicht entnehmen (zu Bedenken hinsichtlich der Unzulässigkeit des Betriebs eines ungesicherten WLANs vgl. EuGH-Generalanwalt, Schlussanträge v. 16.3.2016 – Rs. C-484/14, CR 2016, 678 m. Anm. Franz/Sakowski = ITRB 2016, 219 – Mc Fadden, Rz. 145 ff.).
Grundrechtsabwägung: Vorliegend seien die Grundrechte nach Art. 17 Abs. 2, 47 Abs. 1 GRC und Art. 14 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG mit denen aus Art. 6, 7, 11 GRC und Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 GG auf der anderen Seite in ein angemessenes Gleichgewicht zu bringen. Hierbei sei ausschlaggebend, dass kein nennenswerter Anteil der Urheberrechtsverletzungen im Internet durch Gäste und Mitbewohner von Anschlussinhabern begangen werde. Zudem habe der Anschlussinhaber im Rahmen seiner sekundäre Darlegungslast und nach zumutbaren Nachforschungen vorzutragen, welche anderen Personen ggf. als Täter selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss gehabt hätten (BGH, Urt. v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 – BearShare, Rz. 16, CR 2014, 472 = ITRB 2014, 176).
BGH, Urt. v. 12.5.2016 - I ZR 86/15 „Silver Linings Playbook”
Vorinstanz: LG Hamburg, Urt. v. 20.3.2015 - 310 S 23/14
Vorinstanz: AG Hamburg, Urt. v. 8.7.2014 - 25b C 887/13
UrhG § 97 Abs. 1 Satz 1
Das Problem
Die Inhaberin eines Internetanschlusses hatte drei Tage Besuch von ihrer Nichte und deren Lebensgefährten, die beide volljährig sind und in Australien leben. Die Anschlussinhaberin überließ ihnen das Passwort für ihren WLAN-Router, den sie für E-Mails sowie zum Skypen nutzen wollten. Die von der Inhaberin der Rechte an einem Spielfilm Beauftragte stellte fest, dass der Film während dieser Zeit wiederholt über den Internetanschluss in einer Tauschbörse zum Herunterladen verfügbar gemacht worden war. Nachdem die Anschlussinhaberin die Nichte und ihren Lebensgefährten auf die erfolgte Abmahnung angesprochen hatte, räumten diese die gemeinschaftliche Begehung der beanstandeten Handlungen ein.Die Entscheidung des Gerichts
Es bestehe keine Unterlassungshaftung der Anschlussinhaberin nach § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG und damit auch kein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten nach § 97a Abs. 1 UrhG a.F.Keine Täterschaft: Der Film sei durch die Nichte und deren Lebensgefährten über den Internetanschluss mittels eines Filesharing-Programms rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht worden. An diesen Nutzungshandlungen sei die Anschlussinhaberin nicht beteiligt gewesen.
Keine Störerhaftung: Ihr sei nicht zuzumuten, die volljährige Nichte und deren Lebensgefährten ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihnen die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu untersagen.
Passwortschutz des Routers: Zwar hafte der Inhaber eines ungesicherten WLAN-Anschlusses als Störer auf Unterlassung, wenn außenstehende Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzten, um urheberrechtlich geschützte Musiktitel in Internet-Tauschbörsen einzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens, Rz. 20, CR 2010, 458 = ITRB 2010, 151). Die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen folge hier im Gegensatz zum Fall eines Gastes daraus, dass es regelmäßig im wohlverstandenen eigenen Interesse des Anschlussinhabers liege, seine Daten vor unberechtigtem Eingriff von außen zu schützen. Zudem gehe von der unkontrollierten Eröffnung eines Zugangs zum Internet regelmäßig eine wesentlich größere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen aus, als von der Überlassung des Anschlusses zur Nutzung durch Gäste, Besucher und Mitbewohner.
Keine Aufsichtspflicht bei Volljährigen: Anders als Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.2012 – I ZR 74/12 – Morpheus, Rz. 24, CR 2013, 324 = ITRB 2013, 100) hätten Wohnungsinhaber grundsätzlich keine Aufsichtspflicht gegenüber ihren volljährigen Mitbewohnern und Gästen, die Grundlage einer Belehrungspflicht über die Gefahren der Nutzung von Internet-Tauschbörsen sein könne.
Besucher und Mitbewohner: Für den Wohnungsinhaber besteht auch unabhängig von einer familiären Beziehung (vgl. dazu BGH, Urt. v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 – BearShare, Rz. 27 f., CR 2014, 472 = ITRB 2014, 176) gegenüber volljährigen Mitbewohnern und Gästen keine entsprechende Belehrungspflicht. In der heutigen Medien- und Informationsgesellschaft stelle die Überlassung eines privaten Internetanschlusses an volljährige Gäste und Mitbewohner des Wohnungsinhabers eine übliche Gefälligkeit dar. Die Überlassung eines Internetanschlusses zur Nutzung durch Mitbewohner oder Gäste sei nicht anders zu beurteilen als die Überlassung eines Telefonanschlusses (vgl. BGH, Urt. v. 18.5.1999 – X ZR 156/97 – Räumschild, CR 2000, 303), eines Kraftfahrzeugs oder auch einer Wohnung aus Gefälligkeit. In diesen Fällen scheide sowohl eine Störerhaftung als auch eine Verkehrspflichtverletzung des Überlassenden aus (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2007 – I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rz. 22 ff., CR 2007, 729 = ITRB 2007, 269).
Vereinbarkeit mit Unionsrecht: Aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/48/EG oder Art. 8 RL 2001/29/EG lasse sich keine anlasslose Belehrungspflicht entnehmen (zu Bedenken hinsichtlich der Unzulässigkeit des Betriebs eines ungesicherten WLANs vgl. EuGH-Generalanwalt, Schlussanträge v. 16.3.2016 – Rs. C-484/14, CR 2016, 678 m. Anm. Franz/Sakowski = ITRB 2016, 219 – Mc Fadden, Rz. 145 ff.).
Grundrechtsabwägung: Vorliegend seien die Grundrechte nach Art. 17 Abs. 2, 47 Abs. 1 GRC und Art. 14 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG mit denen aus Art. 6, 7, 11 GRC und Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 GG auf der anderen Seite in ein angemessenes Gleichgewicht zu bringen. Hierbei sei ausschlaggebend, dass kein nennenswerter Anteil der Urheberrechtsverletzungen im Internet durch Gäste und Mitbewohner von Anschlussinhabern begangen werde. Zudem habe der Anschlussinhaber im Rahmen seiner sekundäre Darlegungslast und nach zumutbaren Nachforschungen vorzutragen, welche anderen Personen ggf. als Täter selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss gehabt hätten (BGH, Urt. v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 – BearShare, Rz. 16, CR 2014, 472 = ITRB 2014, 176).