BGH, Urt. 12.7.2018 - III ZR 183/17

Vererblichkeit eines Facebook-Kontos

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 10/2018
Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf dessen Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen.

BGH, Urt. v. 12.7.2018 - III ZR 183/17

Vorinstanz: KG, Urt. v. 31.5.2017 - 21 U 9/16
Vorinstanz: LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 - 20 O 172/15

BGB § 307 Abs. 1 und 2, § 1922 Abs. 1; TKG § 88; DSGVO Art. 6 Abs. 1

Das Problem

Mit Einverständnis seiner Eltern registrierte sich ein 14-jähriges Mädchen zur Nutzung von Facebook. Zwei Jahre später verunglückte es tödlich. Der Netzwerkbetreiber versetzte das Konto in den sog. Gedenkzustand, wodurch das Konto nebst Inhalt zwar bestehen blieb, der Zugang aber gesperrt wurde. Die Mutter wünschte Zugriff, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt hatte.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Mutter sei berechtigt, vom Netzwerkbetreiber zu verlangen, der Erbengemeinschaft Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin sowie den darin enthaltenen Inhalten zu gewähren.

Deutsches Recht: Der Vertrag zur Nutzung des Facebook-Kontos unterliege nach Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO dem von den Parteien gewählten deutschen Recht. Dessen Anwendbarkeit ergebe sich zudem nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, weil ein Verbrauchervertrag vorliege.

Kein Ausschluss der Vererbbarkeit: Das Vertragsverhältnis sei mit dem Tod der Erblasserin nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergegangen. Die Nutzungsbedingungen bezögen sich hinsichtlich der Klarnamenpflicht (Nr. 4) und der unzulässigen Weitergabe von Zugangsdaten (Nr. 3.5, 4.1, 4.8 und 4.9) lediglich auf das Verhalten des Nutzers zu Lebzeiten. Die Regelungen zum Gedenkzustand befänden sich zudem in den FAQ, ohne dass sie durch Bezugnahme gem. § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB Vertragsbestandteil geworden wären. Die Regelungen zum Gedenkzustand schlössen ungeachtet dessen auch nach Maßgabe von § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB die Vererbbarkeit nicht wirksam aus, sondern veränderten die Leistungspflichten des Netzwerkbetreibers. Eine Inhaltskontrolle entfalle nicht nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Inhaltskontrolle: Die Klauseln höhlten das Erbe an dem Konto aus, indem den Erben durch den Gedenkzustand der Zugang verwehrt werde. Dies widerspreche i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB den wesentlichen Grundgedanken der Universalsukzession gem. § 1922 BGB. Die bezweckte, eindeutige rechtssichere Zuordnung des Vermögens sei durch einen „Datenfriedhof” nicht gewährleistet. Zugleich liege ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB vor.

Keine Höchstpersönlichkeit: Eine gesetzliche Unvererbbarkeit ergebe sich vorliegend nicht wegen Höchstpersönlichkeit der Leistungspflichten analog §§ 38, 399 BGB. Die beanspruchte, rein technische Leistung einer Bereitstellung der vorhandenen Kontoinhalte könne – anders als etwa bei einem Behandlungsvertrag mit einem Arzt – unverändert auch gegenüber den Erben erbracht werden. Ob die aktive Weiternutzung des Kontos durch die Erben wie beim Girovertrag (vgl. BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 160/99, MDR 2000, 533) vom Erbrecht umfasst sei, könne mangels Beanspruchung offenbleiben. Daher könne auch die Identifizierungsfunktion des Kontos zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Übertragung von Nutzungsrechten an Inhalten der Nutzer auf den Netzbetreiber durch Nr. 2.1. der AGB bleibe – die Wirksamkeit der Klausel vorausgesetzt – ungeachtet des erbrechtlichen Übergangs bestehen.

Kein Vertrauensschutz des Absenders: Trage der Kommunikationspartner des Kontoinhabers bereits das Risiko, dass zu dessen Lebzeiten Dritte Kenntnis von den dort gespeicherten Inhalten erlangten, gelte dies erst recht für den Zugriff der Erben des Nutzers, zumal der Zugriff auch bei einem Ausdruck auf Papier oder lokaler Abspeicherung etwa auf einem USB-Stick ohne weiteres gegeben wäre. Für mit dem Benutzerkonto des Erblassers geteilte Inhalte anderer Nutzer gelte Entsprechendes, solange der Teilende die Berechtigung nicht ändere.

Keine Unterscheidung der Inhalte: Eine Differenzierung nach vermögensrechtlichem und nichtvermögensrechtlichem Inhalt des Benutzerkontos sei nicht geboten, da §§ 2047 Abs. 2, 2373 Satz 2 BGB die Vererbbarkeit von höchstpersönlichen Rechtspositionen wie persönlichen Briefen und Tagebüchern voraussetzten. Es gebe keinen erbrechtlichen Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln. Eine Differenzierung der Höchstpersönlichkeit nach lokalen Speichermedien oder dem Server des Netzbetreibers wäre – abgesehen von der Art und Weise der Vererbbarkeit (Besitzübergang/Vertragseintritt) – ebenso inkohärent. Eine Durchsicht der Inhalte zur Zuordnung sei mangels scharfer Grenzen nicht praktikabel.

Postmortales Persönlichkeitsrecht: Beim Eingriff in die immateriellen Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts könnten die nächsten Angehörigen Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen geltend machen. Ein dem Erbrecht vorgehendes Recht an höchstpersönlichen Inhalten begründe dies nicht.

Kein Verstoß gegen Fernmeldegeheimnis: Es könne dahingestellt bleiben, ob und bezüglich welcher Leistungen der Netzwerkbetreiber Anbieter von Telekommunikationsdiensten oder Telemediendiensten sei. Ein Verstoß gegen § 88 Abs. 3 TKG liege nicht vor, weil der Erbe nicht „Anderer” im Sinne dieser Vorschrift, sondern Beteiligter der geschützten unbeendeten Kommunikationsvorgänge sei. Die unterschiedliche Behandlung desselben Inhalts abhängig von der Verkörperung und damit von Zufällen wäre nicht gerechtfertigt, da das Vertraulichkeitsinteresse gleich sei und hinter den erbrechtlichen Grundsätzen der Universalsukzession zurückzustehen habe.

Zweck der Vertragserfüllung: Es könne dahinstehen, ob die DSGVO anwendbar sei, da sie sich entsprechend Erwgrd. 27 nur auf lebende natürliche Personen beziehe (ablehnend Bericht der AG Digitaler Neustart v. 15.5.2017, https://bit.ly/2xoxQp6, S. 348 f.). Denn nach Art. 6 Abs. 1 lit. b Var. 1 DSGVO sei eine Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie für die Erfüllung eines Vertrags – wie vorliegend – erforderlich sei.

Berechtigte Interessen: Hier lägen zudem berechtigte Interessen der beiden Erben i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO vor, die eine Datenverarbeitung in Form der Zugangsgewährung erforderlich machten, da andernfalls der Grundsatz der Universalsukzession ausgehöhlt würde. Informationen über vermögensrechtliche Ansprüche könnten sich auch aus den Inhalten des Benutzerkontos ergeben. Neben einem Abwehrinteresse bzgl. eventueller Schadensersatzansprüche seien auch ideelle Interessen etwa der Klärung von Suizidabsichten im Rahmen der Abwägung berücksichtigungsfähig.

Interessenabwägung: Die Interessen der Kommunikationspartner, geschützt durch Art. 7, 8 Abs. 1 GRC, überwögen trotz ggf. betroffener höchstpersönlicher und sensibler Daten vorliegend nicht. Zu berücksichtigen sei, dass die Kommunikationspartner die Daten freiwillig und bewusst im Rahmen eines bestehenden Vertrags preisgegeben hätten (Erwgrd. 47 Satz 2 DSGVO). Sie hätten absehen können, dass nach dem Tod der ursprünglichen Kontoberechtigten die Erben Kenntnis von diesen Daten würden erlangen können (Erwgrd. 47 Satz 3 DSGVO).


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