BGH, Urt. 13.10.2021 - VIII ZR 91/20
Ordentliche Kündigung: Keine Heilung durch Schonfristzahlung
Autor: RA Dr. Alexander Schneehain, Kanzlei sjs Schneehain John Suchfort PartmbB, Göttingen
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2022
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2022
Leistet ein Mieter nach Ausspruch der fristlosen und ordentlichen Kündigung aufgrund bestehender Mietrückstände eine Schonfristzahlung i.S.d. § 569 Abs. 3 Ziff. 2 BGB, so verdrängt diese lediglich die fristlose, nicht jedoch die ordentliche Kündigung.
GG Art. 20 Abs. 3; BGB § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1, § 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Die (korrekte) Auslegung der Norm ergebe jedoch zweifelsfrei, dass die Schonfristzahlung nur die fristlose Kündigung berühre. So sei z.B. der im Text des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB verwendete Begriff der „Kündigung“ nicht als Oberbegriff zu verstehen, sondern nach dem Sinnzusammenhang nur die fristlose Kündigung gemeint. Dies ergebe sich zudem aus dem Aufbau der Norm und dem sprachlichen Kontext. So fehle es an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass die Ziffer 2 des § 569 Absatz 3 BGB auch für die ordentliche Kündigung gelten solle, obwohl die Ziffern 1 und 3, die lediglich für die fristlose Kündigung gelten, den gleichlautenden Einleitungssatz haben. Zudem sei der § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Dass die Schonfristzahlung nicht in § 543 BGB, sondern in § 569 BGB geregelt sei, ergebe sich lediglich daraus, dass diese ausschließlich im Wohnraummietrecht Anwendung finde. Auch das Argument des LG, es sei unverständlich, die Sozialbehörden von einem gerichtlichen Verfahren zu informieren, um diesen die Möglichkeit zu gewähren, den drohenden Verlust der Wohnung abzuwenden, wenn das Verfahren „ohnehin“ wegen der ordentlichen Kündigung mit der Räumung ende, sei nicht haltbar. Schließlich könne die ordentliche Kündigung aus anderen Gründen unwirksam sein. Abschließend erläutert der Senat dem LG die jüngere Geschichte der Gesetzgebung, aus der eindeutig folge, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung ablehne. So sei ein entsprechender Änderungsantrag zur Erstreckung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung im Bundestag mehrheitlich abgelehnt worden. Diese Entscheidung dürfe der an Gesetz und Recht gebundene Richter „nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern“. Der Senat schließt seine Erläuterungen mit einer eindringlichen Aufforderung an die Richter und Richterinnen, in dem er schreibt: „Vor diesem Hintergrund ist die Beseitigung gewisser, insoweit vom Berufungsgericht zutreffend gesehener Wertungswidersprüche [...] sowohl im Verhältnis der ordentlichen zur fristlosen Kündigung als auch im Verhältnis zwischen den zivilrechtlichen Beendigungsmöglichkeiten eines Mietvertrages und den Einschreitungsbefugnissen der Sozialbehörden – nicht Aufgabe der Rechtsprechung.“
GG Art. 20 Abs. 3; BGB § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1, § 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Das Problem
Der Mieter wurde erstinstanzlich zur Räumung verurteilt. Das AG entschied, dass die vom Mieter (unstreitig) geleistete Schonfristzahlung keinen Einfluss auf die ebenfalls ausgesprochene ordentliche Kündigung hatte, sondern ausschließlich die fristlose Kündigung beseitigte. Das Berufungsgericht (LG Berlin) sah dies anders und hob das Urteil auf. In Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung über die Auswirkungen der Schonfristzahlung argumentierte das LG, dass der BGH bei seiner systematischen Betrachtung der Norm des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB unberücksichtigt lasse, dass 2001 grundlegende Änderungen in der Systematik des Mietrechts vorgenommen worden seien. Nach der bis 2001 geltenden Gesetzeslage sei das Mietrecht nebeneinander angesiedelt gewesen, was eine Beschränkung der Schonfristzahlung auf die fristlose Kündigung nach § 554 BGB a.F. gerechtfertigt habe. Diese Gesetzessystematik habe der Reformgesetzgeber 2001 grundlegend geändert. Die beiden Kündigungstatbestände stünden nunmehr in einem völlig anderen Verhältnis zur Schonfristzahlung. Es bedürfe somit eines anderweitigen zwingenden Grundes, die Schonfristzahlung nicht auf die fristlose Kündigung anzuwenden, den der Gesetzeswortlaut jedoch nicht liefere.Entscheidung des Gerichts
Der BGH hat in einem Paradebeispiel lehrbuchartiger Ausführungen die Entscheidung des LG Berlin, insbesondere dessen zu kurz gedachte Argumentation, scharf kritisiert und in aller Deutlichkeit klargestellt, dass die Schonfristzahlung nicht auf die ordentliche Kündigung anzuwenden ist. Auf mehr als zwanzig Seiten erteilt der Senat eine Nachhilfestunde in der Auslegung von Gesetzen und bemängelt vor allem „das methodische Vorgehen, mit welchem das Berufungsgericht seine Auffassung der unmittelbaren Anwendung der Regelung zur Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung zu begründen versucht“. Das LG Berlin habe die systematische Betrachtung der Norm als maßgebliches Auslegungskriterium herangezogen und diesem „rechtsirrig von vornherein eine herausragende Aussagekraft beigemessen“ und den Wortlaut der Vorschrift des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB lediglich dahingehend berücksichtigt, ob es der Wortlaut als „zwingend erscheinen ließe, von der systematisch gebotenen Anwendung der Schonfristregelung abzusehen.“Die (korrekte) Auslegung der Norm ergebe jedoch zweifelsfrei, dass die Schonfristzahlung nur die fristlose Kündigung berühre. So sei z.B. der im Text des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB verwendete Begriff der „Kündigung“ nicht als Oberbegriff zu verstehen, sondern nach dem Sinnzusammenhang nur die fristlose Kündigung gemeint. Dies ergebe sich zudem aus dem Aufbau der Norm und dem sprachlichen Kontext. So fehle es an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass die Ziffer 2 des § 569 Absatz 3 BGB auch für die ordentliche Kündigung gelten solle, obwohl die Ziffern 1 und 3, die lediglich für die fristlose Kündigung gelten, den gleichlautenden Einleitungssatz haben. Zudem sei der § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Dass die Schonfristzahlung nicht in § 543 BGB, sondern in § 569 BGB geregelt sei, ergebe sich lediglich daraus, dass diese ausschließlich im Wohnraummietrecht Anwendung finde. Auch das Argument des LG, es sei unverständlich, die Sozialbehörden von einem gerichtlichen Verfahren zu informieren, um diesen die Möglichkeit zu gewähren, den drohenden Verlust der Wohnung abzuwenden, wenn das Verfahren „ohnehin“ wegen der ordentlichen Kündigung mit der Räumung ende, sei nicht haltbar. Schließlich könne die ordentliche Kündigung aus anderen Gründen unwirksam sein. Abschließend erläutert der Senat dem LG die jüngere Geschichte der Gesetzgebung, aus der eindeutig folge, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung ablehne. So sei ein entsprechender Änderungsantrag zur Erstreckung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung im Bundestag mehrheitlich abgelehnt worden. Diese Entscheidung dürfe der an Gesetz und Recht gebundene Richter „nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern“. Der Senat schließt seine Erläuterungen mit einer eindringlichen Aufforderung an die Richter und Richterinnen, in dem er schreibt: „Vor diesem Hintergrund ist die Beseitigung gewisser, insoweit vom Berufungsgericht zutreffend gesehener Wertungswidersprüche [...] sowohl im Verhältnis der ordentlichen zur fristlosen Kündigung als auch im Verhältnis zwischen den zivilrechtlichen Beendigungsmöglichkeiten eines Mietvertrages und den Einschreitungsbefugnissen der Sozialbehörden – nicht Aufgabe der Rechtsprechung.“