BGH, Urt. 13.7.2023 - I ZR 152/21

Keine allgemeine Unlauterkeit eines kommunalen Stadtportals – muenchen.de

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 10/2023
Nach allgemeinen Regeln, wie z.B. § 4 Nr. 4, §§ 4a, 5 Abs. 1 oder § 5a Abs. 4 Satz 1 UWG, unzulässige geschäftliche Handlungen der öffentlichen Hand können nicht zum Verbot einer kommunalen Publikation insgesamt führen.

GG Artt. 5 Abs. 1 Satz 2, 28 Abs. 2 Satz 1; UWG §§ 3 Abs. 1, 3a, 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1

Das Problem

2004 startete das kostenlose offizielle Stadtportal muenchen.de, das u.a. die Rubriken „Branchenbuch“, „Restaurants“ und „Shopping“ sowie in nahezu sämtlichen Rubriken Anzeigenwerbung enthält. Es umfasste im August 2019 rd. 173.000 Seiten und ist nach Angaben der Betreiberin, deren Gesellschafter die Stadt München und die Stadtwerke München sind, mit monatlich bis zu 2,9 Mio. Besuchern und 12 Mio. Seitenaufrufen das meistbesuchte deutsche Serviceportal.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Sache werde zurückverwiesen. Mit der Begründung des Berufungsgerichts könne der Unterlassungsanspruch Münchener und überregionaler Zeitungsverlage bzw. der für deren Online-Auftritte verantwortlichen Unternehmen aus §§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. dem Staatsfernegebot aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zugesprochen werden.

Unterlassungsanspruch: Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG könne u.a., wer eine nach § 3 Abs. 1 UWG unlautere geschäftliche Handlung begehe, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Unlauter handle gem. § 3a UWG derjenige, dessen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung geeignet sei, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen (Rz. 11).

Geschäftliche Handlung der Portalbetreiberin: Die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand sei auch dann als geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a.F. (Nr. 2 n.F.) anzusehen, wenn öffentliche Zwecke mitverfolgt würden. Eine geschäftliche Handlung zugunsten von Werbetreibenden sowie des eigenen Unternehmens wegen Werbeerlösen liege vor, weil gegen Entgelt Anzeigen veröffentlicht würden, so dass es hier auf eine auf eine mangelnde hoheitlichen Tätigkeit wegen Verstoßes gegen das Staatsfernegebot nicht ankomme (Rz. 14–17 m.w.N.).

Mitbewerberstellung der Zeitungsverlage: Ein für die Mitbewerbereigenschaft gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG a.F. erforderliches konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG a.F. (Nr. 4 n.F.) sei anzunehmen. Mit ihrem kostenlosen Stadtportal stelle sich die Portalbetreiberin in Wettbewerb zu den Zeitungsverlagen, die jeweils ebenfalls um Anzeigenkunden würben. Ein wettbewerblicher Bezug bestehe aber auch mit Blick auf die festgestellten redaktionellen, pressetypischen Inhalte des Stadtportals (Rz. 19–22 m.w.N.).

Sich überschneidende Leserkreise: Bei der Rubrik „Branchenbuch“ möge es zwar u.U. eine (teilweise) Abweichung im Lesermarkt geben, weil Anzeigen in Online-Tageszeitungen anders als im Branchenbuch eher auf spontane Kenntnisnahme angelegt sein könnten. Dies sei aber unerheblich, weil auch in den Rubriken „Restaurants“ und „Shopping“ im gleichen Lesermarkt umfangreiche Anzeigenwerbung stattfinde (Rz. 23 f.).

Marktverhaltensregelung: Das Gebot der Staatsferne der Presse setze i.S.v. § 3a UWG der am Markt tätigen öffentlichen Hand zugunsten der Presse und der in ihrer Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit betroffenen Verbraucher enge Grenzen. Die in den Kompetenznormen des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 BayVerf enthaltene Selbstverwaltungsgarantie gewährleiste den Gemeinden, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft i.R.d. Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Zuständigkeit der Gemeinde sei aber nicht auf Verwaltungshandeln im bürokratisch-technischen Sinn reduziert, sondern umfasse auch das Vorfeld künftiger Aufgabenwahrnehmung. Allein ein lokaler oder gemeinschaftsstiftender Bezug reiche aber nicht aus (Rz. 25–28 m.w.N.).

Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit: Die innere Grenze werde durch das Erfordernis eines spezifischen Orts- und Aufgabenbezugs aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gesetzt und die äußere Grenze durch die Institutsgarantie der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Ob am traditionellen Pressebegriff festzuhalten sei, der an das körperliche Druckerzeugnis anknüpfe, können dahinstehen. Denn das Staatsfernegebot beziehe sich auch auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staats. Dazu zähle auch ein ausuferndes staatliches Informationshandeln, das die Meinungsbildung von unten nach oben gefährde. Schutz bestehe auch vor Substitutionseffekten kommunaler Informationsangebote (Rz. 29–34).

Schutz reiner Online-Angebote: Mit dem Staatsfernegebot als Marktverhaltensregelung stehe nicht die subjektiv-rechtliche Komponente der Pressefreiheit in Rede, sondern die Institutsgarantie. Diese diene auch der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit der Verbraucher. I.Ü. ändere die fortschreitende alternative Online-Verbreitung nichts am Charakter der Presseerzeugnisse (Rz. 35 f. m.w.N.).

Ausgleich von Kompetenznorm und Grundrecht: Die Institutsgarantie müsse größtmögliche Wirksamkeit erhalten, während die Gemeinde aufgrund der Selbstverwaltungsgarantie lediglich in der Lage sein müsse, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Eine ggf. bestehende Informationslücke bzgl. des örtlichen Geschehens dürfe nicht durch eine von amtlichen Bezügen losgelöste Öffentlichkeitsarbeit geschlossen werden. Eine staatliche Einflussnahme auf den Meinungsmarkt sei mit der Institutsgarantie nur dann vereinbar, wenn sie wegen großer Konkurrenz unabhängiger Zeitungen und der Informationsfülle im Internet am Bild der freien Presse substantiell nichts ändere. Dies bedürfe der Feststellung im Einzelfall, also im wiedereröffneten Berufungsverfahren hinsichtlich der als presseähnlich gerügten Rubriken „Restaurants“ und „Shopping“ (Rz. 37 f., 67 m.w.N.).

Wertende Gesamtbetrachtung: Für die konkrete Beurteilung seien Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge auf ihre Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde zu untersuchen und sei unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen (Rz. 39; BGH v. 20.12.2018 – I ZR 112/17 – Crailsheimer Stadtblatt II Rz. 35, AfP 2019, 146).

Inhaltliche Kriterien: Neben der Veröffentlichung amtlicher Mitteilungen, der kommunalen Wirtschaftsförderung und der Information über die aktuelle und künftige Tätigkeit von Kommunalverwaltung und Gemeinderat stellten auch Stadtmarketing und Tourismusförderung zulässiges Informationshandeln der Kommunen dar (Ls. 1; Rz. 40).

Bestimmende Einflussnahme: Einzelne grenzüberschreitende Artikel allein begründeten keine Verletzung des Staatsfernegebots. Eine schematische Betrachtungsweise verbiete sich. Je deutlicher eine kommunale Publikation quantitativ und qualitativ Themen besetze, deretwegen Zeitungen gekauft würden, desto wahrscheinlicher sei der Leserverlust und eine der Institutsgarantie zuwiderlaufende Meinungsbildung durch den Staat von oben nach unten. Zwar sei keine konkrete Gefährdung der Presse erforderlich, so dass es nicht auf den Umfang eines Verzichts auf Presseerzeugnisse ankomme. Jedoch könne die Absenz jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass die kommunale Publikation in den angesprochenen Verkehrskreisen als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wahrgenommen werde, als Indiz gegen einen Verstoß gegen das Staatsfernegebot gelten (Rz. 41, 69 m.w.N.).

Prägendes Gewicht verletzender Inhalte: Bei Online-Informationsangeboten, die nicht den für Druckerzeugnisse bestehenden Kapazitätsbeschränkungen unterlägen, sei der quantitative Anteil unzulässiger Beiträge insoweit regelmäßig weniger aussagekräftig. Dagegen könne bedeutsam sein, ob gerade die das Staatsfernegebot verletzenden Beiträge besonderes Gewicht hätten und das Gesamtangebot prägten (vgl. BGH v. 14.7.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de Rz. 54, CR 2023, 251 = ITRB 2022, 219 [Rössel]). Dafür könnten Verlinkungen auf diese Beiträge z.B. von der Startseite sprechen oder der Umstand, dass sie zu den meistgelesenen Beiträgen zählten. Die bloße Feststellung, die unzulässigen Beiträge gingen bei einer Gesamtbetrachtung nicht gegenüber den zulässigen Informationen in anderen Rubriken unter, sei unzureichend (Rz. 42, 68 m.w.N.).

Formale Kriterien: Die optische Gestaltung, redaktionelle Elemente der meinungsbildenden Presse – wie Glossen, Kommentare oder Interviews – und die Frequenz des Vertriebs seien zu berücksichtigen, führten aber nicht automatisch zum Staatsferneverstoß. I.Ü. dürften kommunalen Online-Publikationen auf internettypische Gestaltungen, wie z.B. Verlinkungen, zurückgreifen und Überschriften, Unterüberschriften und Bilder verwenden. Das Angebot müsse nur als staatliche Publikation erkennbar bleiben (Rz. 43).

Gefährdung durch Kostenlosigkeit: Erfolge die Publikation kostenlos, erhöhe sich die Gefahr einer Substitution privater Presse. Das gelte vor allem angesichts der zunehmenden Zahl von zumindest mit Bezahlschranken teilweise kostenpflichtigen Online-Nachrichtenportalen (Rz. 44 m.w.N.).

Anzeigengeschäft: Der Anzeigenteil werde von der Pressefreiheit umfasst, weil er zur Kommunikationsaufgabe der Presse gehöre und die Erhaltung der wirtschaftlichen Grundlagen ihre Unabhängigkeit gewährleiste. Daher sei Anzeigenwerbung in einer kommunalen Publikation nur als fiskalisch motivierte Randnutzung zulässig, die sich nach dem Umfang der Anzeigenschaltung richte und als Annextätigkeit eine untergeordnete, quantitativ nachgeordnete Tätigkeit in innerem Zusammenhang mit der Hauptnutzung i.R.d. öffentliche Aufgabe bleiben müsse. Online-Angebote seien in geringerem Maße auf eine Refinanzierung durch eine erwerbswirtschaftliche Randnutzung angewiesen (Ls. 2; Rz. 45, 64 f. m.w.N.).

Keine Berücksichtigung allgemeiner Unlauterkeit: Das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot der öffentlichen Hand, dem auch die privatrechtlich organisierte Stadtportalbetreiberin unterliege, könne bei der Empfehlung einer fremden Leistung – wie ggf. hier in den Unterrubriken „Restaurant Guides“ und „Shopping Guides“ – verletzt sein (vgl. BGH v. 18.10.2001 – I ZR 193/99 – Elternbriefe Rz. 36, GRUR 2002, 550). Ferner könne eine Randnutzung u.U. unlauter sein, wenn bspw. die hoheitliche Aufgabenerfüllung mit der erwerbswirtschaftlichen Betätigung – wie ggf. hier die Anzeigenwerbung – verquickt werde (vgl. BGH v. 26.2.2009 – I ZR 106/06 – Buchgeschenk vom Standesamt Rz. 14, AfP 2009, 258). Daraus resultierende Verstöße z.B. gegen § 4 Nr. 4, §§ 4a, 5 Abs. 1 oder § 5a Abs. 4 Satz 1 UWG n.F. könnten nur zu einem – hier nicht geltend gemachten – Verbot jeweiliger Beiträge und nicht zur Unzulässigkeit des Stadtportals führen. Die Gesamtwürdigung sei fehlerhaft, wenn auch auf solche Verstöße abgestellt werde (Ls. 3; Rz. 47 ff., 55–59).


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