BGH, Urt. 14.7.2022 - I ZR 97/21

Verweis auf Datenstick statt Anlagendokument zulässig

Autor: Dr. Anselm Brandi-Dohrn, maître en droit/FA für GewRS, von BOETTICHER Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 09/2022
Die Bezugnahme im Klageantrag auf ein zu den Akten gereichtes digitales Speichermedium, auf dem ein Telemedienangebot als konkrete Verletzungsform dokumentiert ist, kann zur Konkretisierung eines Unterlassungsantrags gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausreichen. Die Marktverhaltensregelung des aus der Institutsgarantie der Presse gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleiteten Gebots der Staatsferne der Presse schützt auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führen, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann. Bei Online-Informationsangeboten, die nach ihren technischen Gegebenheiten nicht den für Druckerzeugnisse bestehenden Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, ist das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen für die erforderliche wertende Gesamtbetrachtung der Publikation regelmäßig weniger aussagekräftig als bei Printmedien. Für die Gesamtbetrachtung kann deshalb bedeutsam sein, ob gerade die das Gebot der Staatsferne verletzenden Beiträge das Gesamtangebot prägen (Weiterführung von BGH v. 20.12.2018 – I ZR 112/17 – Crailsheimer Stadtblatt II).

GG Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 28 Abs. 2 S. 1, UWG § 3 Abs. 1, § 3a, § 8; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2

Das Problem

Die Stadt Dortmund betreibt unter www.dortmund.de ein Internetportal, auf dem neben amtlichen Mitteilungen auch redaktionelle Inhalte veröffentlicht werden. Nach der Eigenwerbung auf der Webseite will die Redaktion „umfassend und aktuell“ berichten, und verspricht „vertiefende Berichterstattung mit Bebilderung rund um alle Dortmunder Themen wie etwa Politik, Sport, Wirtschaft, Kultur, Freizeit.“ Die Internetseite ist in die Hauptrubriken „Leben in Dortmund“, „Freizeit und Kultur“, „Wirtschaft“, „Tourismus“, „Rathaus & Bürgerservice“, jeweils mit Unterrubriken, gegliedert. In einer (Unter-)Rubrik „Marktplatz“ ist Onlinewerbung verschiedener Anbieter abrufbar, die zur Finanzierung des Portals beitrug. Die Klägerin, ein Verlag, vertreibt Tageszeitungen, Print- und digitale Medien. Sie wendet sich im Hauptantrag gegen den Betrieb des Portals insgesamt, mit einer Reihe von Hilfsanträgen gegen konkrete redaktionelle Beiträge auf dem Portal. Im Verfahren erklärt die beklagte Stadt u.a., auf dem Internetportal künftig weder kommerzielle noch nicht kommerzielle Werbung zu schalten.

Das LG Dortmund gibt der Klage statt, das Berufungsgericht hebt auf und weist die Klage ab.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH bestätigt die Klageabweisung des OLG Hamm und bestätigt die generelle Linie seiner Leitentscheidung Crailsheimer Stadtblatt II von 2018 (BGH, Urt. v. 20.12.2018 – I ZR 112/17, GRUR 2019, 189). Die Klage sei nicht deshalb unbestimmt und unzulässig, weil der Hauptantrag nicht unter Bezug auf konkrete Anlagen gestellt worden sei, sondern auf einen als Anlage beigefügten USB-Stick verwiesen wird, auf dem die Klägerin die gesamte Internetseite dortmund.de gespeichert hatte. Zwar sei grundsätzlich der Urteilsinhalt in einer einheitlichen Urkunde festzulegen, um Unsicherheiten in der Zwangsvollstreckung zu vermeiden. In besonders gelagerten Fällen seien aber die Grundsätze effektiven (Eil-)Rechtsschutzes und der Vermeidung unangemessenen Aufwands mit abzuwägen; dann könne es (wie im vorliegenden Fall einer außergewöhnlich umfangreichen Internetpräsenz) ausreichen, auf in den Akten befindliche Unterlagen Bezug zu nehmen – die Akte müsse dann im Rahmen der Zwangsvollstreckung beigezogen werden.

Konsequenzen für die Praxis

Wenngleich der BGH den Verweis auf Anlagen in Form von Datenträgern als Ausnahme bezeichnet, ist die Klarstellung für die Praxis sehr zu begrüßen, da sie die Unsicherheit reduziert, wie der Antrag formuliert werden muss, wenn sich die Verletzung aus der Gesamtschau umfangreicher Dokumente oder Darstellungen ergibt. Kurioserweise war hier zwischen OLG und BGH der USB-Stick auch noch aus der Gerichtsakte verschwunden. Auch hier findet der BGH eine pragmatische Lösung für das nicht der Klägerin zuzurechnende Malheur – er lässt die Klägerin einen neuen USB-Stick einreichen und gleicht diesen mit der der Beklagten aus der Klageschrift vorliegenden USB-Stick ab.

Die Revision sei aber unbegründet. Ein Verstoß gegen das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot der Staatsferne der Presse sei vorliegend nicht hinreichend dargelegt. Zwar stelle das Gebot der Staatsferne der Presse eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG dar. Es verbiete Gemeinden aber nicht grundsätzlich, auch redaktionell bearbeitete oder journalistische Informationen zu veröffentlichen – denn Äußerungs- und Informationsrechte der Gemeinden finden ebenfalls eine grundgesetzliche Legitimation in der staatlichen Kompetenzordnung, namentlich der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Art. 5 und Art. 28 GG sind zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen, wobei jedoch die Institutsgarantie aus Art. 5 GG größtmögliche Wirksamkeit erhalten muss, während die Gemeinde lediglich in der Lage sein muss, ihre Aufgaben zu erfüllen. Dieses Recht der Gemeinde ist begrenzt durch das Erfordernis eines spezifischen Orts- und Aufgabenbezugs: Die Gemeinde erlangt aus Art. 28 GG (i) nur ein kommunalpolitisches, kein allgemeines politisches Mandat und (ii) in deutlicher Abgrenzung zur ganz h.L. (Papier/Schröder, DVBl. 2017, 1, 2 und 9; Winkler, JZ 2019, 367, 368; Schröder, WRP 2020, 1278 Rz. 5) macht allein ein lokaler oder gemeinschaftsstiftender Bezug eine Angelegenheit noch nicht zu einer solchen der örtlichen Gemeinschaft (BGH, a.a.O., Rz. 29); (iii) irrelevant sei auch, ob es ausreichende private Presseerzeugnisse zur Information über das örtliche Geschehen gebe (BGH, a.a.O., Rz. 39, gegen die h.L., Katz, DÖV 2019, 261, 267; Leeb/Waldhauser, AnwZert ITR 8/2019 Anm. 2).

Notwendig sei aber, dass der Kläger darlege und beweise, dass die Internetpräsenz insgesamt die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreite. Denn notwendig sei eine wertende Betrachtung der Publikation insgesamt, bei der sich jede schematische Betrachtungsweise verbiete. Einzelne unzulässige Artikel können dafür ein Indiz sein, sie können aber nicht isoliert verboten werden, da ein einzelner Artikel für sich nie eine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse darstellt. Insofern habe das Berufungsgericht zwar zu Recht die mit den Hilfsanträgen angegriffenen rund 20 Beiträge als für sich gesehen klar unzulässig angesehen, das verhelfe der Klage aber nicht zum Erfolg. Der Kläger müsse vielmehr darstellen und belegen, dass durch den Betrieb des Portals ein potentieller Leserverlust bei der privaten Presse und/oder eine dem Institut der freien Presse zuwiderlaufende Meinungsbildung durch den Staat vorliege. Dabei sind sowohl Inhalt wie Aufmachung der Webseite im Einzelfall zu würdigen; das Schalten von Anzeigen ist ein Faktor, aber nicht generell unzulässig; ein kostenloses Angebot erhöht die Gefahr der Substitution der freien Presse. Das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen ist im Onlinebereich weniger aussagekräftig als bei Printmedien. Bedeutsam kann sein, ob gerade die das Gebot der Staatsferne der Presse verletzenden Beiträge besonderes Gewicht haben und das Gesamtangebot prägen. Dafür können Verlinkungen auf diese Beiträge sprechen – z.B. von der Startseite des Informationsangebots – oder der Umstand, dass sie zu den meistgelesenen Beiträgen zählen (BGH, a.a.O., Rz. 54).


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