BGH, Urt. 15.2.2022 - VI ZR 692/20
Kein Anspruch auf Löschung aus Ärztebewertungsportal
Autor: RA, FA IT-Recht Dr. Kay Oelschlägel, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 07/2022
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 07/2022
Ärzte haben keinen Anspruch auf Löschung ihres Basis-Profils, welches der Betreiber eines Ärztebewertungsportals ohne Einwilligung des jeweiligen Arzts erstellt. Das Informationsinteresse potentieller Patienten anhand von Bewertungen ehemaliger Patienten hat grundsätzlich Vorrang gegenüber der Möglichkeit einer beruflichen Existenzgefährdung des jeweiligen Arzts.
DSGVO Art. 17 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 lit. f, Art. 85 Abs. 2; BayDSG Art. 38 Abs. 1
Die Nutzer des Portals können die Ärzte nach bestimmten, vorgegebenen Kriterien benoten und in Form von Freitextkommentaren bewerten. Hieraus ergeben sich aus den unterschiedlichen Kategorien Durchschnittsnoten, die wiederum zu einer Gesamtnote zusammengefasst werden, die auf dem jeweiligen Profil sichtbar ist. Eine Ärztin begehrt die Löschung ihrer Basisdaten aus dem Portal der Beklagten.
Kein Medienprivileg: Der zeitliche, sachliche und räumliche Anwendungsbereich der DSGVO sei eröffnet. Allerdings seien die materiellen Anforderungen des Art. 17 Abs. 1 DSGVO nicht erfüllt. Der Anwendbarkeit des Art. 17 DSGVO stehe nicht Art. 38 Abs. 1 BayDSG i.V.m. Art. 85 Abs. 2 DSGVO (sog. Medienprivileg) entgegen. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten auf dem Portal der Beklagten erfüllen nicht das erforderliche Maß an inhaltlicher Bearbeitung, um den journalistischen Zwecken i.S.v. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayDSG zu genügen.
Rechtmäßige Datenverarbeitung: Für den Löschungsgrund nach Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO bedürfe es einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f DSGVO sei die Datenverarbeitung mangels Einwilligung der Ärztin nur dann rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Betreibers oder eines Dritten erforderlich sei, sofern nicht die Interessen, Grundrechte oder Grundfreiheiten der Betroffenen, die den Schutz personenbezogener Daten erforderten, überwögen. Zweifellos stelle der geordnete Überblick, von wem und wo welche Leistung angeboten werde, und der damit verbundene Einblick in die persönlichen Erfahrungen und die subjektiven Einschätzungen der Patienten ein berechtigtes Interesse sowohl des Betreibers als auch des Nutzers dar. Es liege in der Natur eines Bewertungsportals, dass für eine entsprechende Nutzung auch die jeweiligen personenbezogenen Daten veröffentlicht werden müssten. Letztlich stritten im Rahmen einer Interessenabwägung zugunsten der Ärztin zwar das Recht auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten gem. Art. 8 GRC, die nicht unerheblichen Gefahren für ihren sozialen und beruflichen Geltungsanspruch aus Art. 7 GRC sowie der wirtschaftliche Erfolg ihrer selbstständigen Tätigkeit aus Art. 16 GRC, da die Angaben in dem Portal durchaus in der Lage seien, die berufliche Existenz der Bewerteten zu gefährden. Zudem bestehe die Gefahr eines Missbrauchs des Portals, indem dort unwahre, beleidigende oder sonst unzulässige Aussagen über den Arzt veröffentlicht würden. Allerdings überwiege auf der anderen Seite neben dem geschützten Eigeninteresse des Portalbetreibers vor allem das öffentlichen Interesse, Kenntnis von den im Portal angebotenen Informationen zu erhalten. Dies führe dazu, dass das Portal geeignet sei zu mehr Leistungstransparenz im Gesundheitswesen beizutragen.
Neutralität des Portalbetreibers: Bei der Abwägung sei insb. auch zu berücksichtigen, inwieweit der Betreiber auf dem Portal als „neutraler Informationsmittler“ agiere. Werde er dieser Funktion nicht mehr gerecht, indem er nichtzahlende und zahlende Ärzte ungleich behandle, könne dies durchaus zu einer Unzulässigkeit der Datenverarbeitung führen. Allerdings sei diese Gegebenheit nicht vorschnell zu bejahen: Es müssten im Einzelfall konkrete Umstände vorliegen, die eine Ungleichbehandlung begründeten. Dies könne bspw. dadurch geschehen, dass der Portalbetreiber Basis-Profile nicht zahlender Ärzte als „Köder“ nutze, um potentielle Patienten zu zahlenden Ärzten zu lenken, und damit nicht zahlende Ärzte zum Abschluss eines entgeltlichen Profils bewege. Der bloße Anschein, dass die Profile der zahlenden Ärzte durch ein Profilbild und zusätzliche Informationen im Vergleich zu nicht zahlenden Ärzten professioneller ausgestaltet seien, führe hingegen noch nicht zu einem so gewichtigen Nachteil eines Basis-Profils, dass dem Interesse der bewerteten Ärztin der Vorzug zu gewähren sei. Vielmehr stelle die Kennzeichnung „Nur jameda-Kunden können ein Profilbild hinterlegen“ und die Tatsache, dass auch Premium-Profile negative Bewertungen erhalten könnten, sicher, dass es zu keiner strukturellen Ungleichbehandlung komme. Dies werde dadurch verstärkt, dass potentielle Patienten nicht aufgrund von Marketingaspekten ihre Entscheidung fällten, sondern unabhängige Patientenbewertungen, insb. Noten, im Vordergrund stünden. Insoweit werde der Betreiber seinen Pflichten als „neutraler Informationsmittler“ gerecht, weshalb in diesem Zusammenhang keine unzulässige Datenverarbeitung festgestellt werden könne.
DSGVO Art. 17 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 lit. f, Art. 85 Abs. 2; BayDSG Art. 38 Abs. 1
Das Problem
Der Betreiber eines Bewertungsportals veröffentlicht dort als Basisdaten von Ärzten deren Name, Fachrichtung, Praxisanschrift, Standort, Kontaktdaten und ggf. weitere praxisbezogene Informationen. Im Rahmen dieses Basis-Profils ist als Profilbild eine graue Silhouette mit dem Hinweis „Nur ...-Kunden können ein Profilbild hinterlegen“ abgebildet. Die Erstellung dieses Basis-Profils erfolgt ohne Einwilligung der Ärzte. Optional gibt es für die Ärzte die Möglichkeit, ein entgeltliches „Premium-Paket“ abzuschließen, um das Profil mit einem Foto und zusätzlichen Informationen zu versehen und bei Google besser auffindbar zu sein.Die Nutzer des Portals können die Ärzte nach bestimmten, vorgegebenen Kriterien benoten und in Form von Freitextkommentaren bewerten. Hieraus ergeben sich aus den unterschiedlichen Kategorien Durchschnittsnoten, die wiederum zu einer Gesamtnote zusammengefasst werden, die auf dem jeweiligen Profil sichtbar ist. Eine Ärztin begehrt die Löschung ihrer Basisdaten aus dem Portal der Beklagten.
Die Entscheidung des Gerichts
Die Revision der Ärztin gegen die klageabweisende Entscheidung des OLG Frankfurt wird zurückgewiesen.Kein Medienprivileg: Der zeitliche, sachliche und räumliche Anwendungsbereich der DSGVO sei eröffnet. Allerdings seien die materiellen Anforderungen des Art. 17 Abs. 1 DSGVO nicht erfüllt. Der Anwendbarkeit des Art. 17 DSGVO stehe nicht Art. 38 Abs. 1 BayDSG i.V.m. Art. 85 Abs. 2 DSGVO (sog. Medienprivileg) entgegen. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten auf dem Portal der Beklagten erfüllen nicht das erforderliche Maß an inhaltlicher Bearbeitung, um den journalistischen Zwecken i.S.v. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayDSG zu genügen.
Rechtmäßige Datenverarbeitung: Für den Löschungsgrund nach Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO bedürfe es einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f DSGVO sei die Datenverarbeitung mangels Einwilligung der Ärztin nur dann rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Betreibers oder eines Dritten erforderlich sei, sofern nicht die Interessen, Grundrechte oder Grundfreiheiten der Betroffenen, die den Schutz personenbezogener Daten erforderten, überwögen. Zweifellos stelle der geordnete Überblick, von wem und wo welche Leistung angeboten werde, und der damit verbundene Einblick in die persönlichen Erfahrungen und die subjektiven Einschätzungen der Patienten ein berechtigtes Interesse sowohl des Betreibers als auch des Nutzers dar. Es liege in der Natur eines Bewertungsportals, dass für eine entsprechende Nutzung auch die jeweiligen personenbezogenen Daten veröffentlicht werden müssten. Letztlich stritten im Rahmen einer Interessenabwägung zugunsten der Ärztin zwar das Recht auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten gem. Art. 8 GRC, die nicht unerheblichen Gefahren für ihren sozialen und beruflichen Geltungsanspruch aus Art. 7 GRC sowie der wirtschaftliche Erfolg ihrer selbstständigen Tätigkeit aus Art. 16 GRC, da die Angaben in dem Portal durchaus in der Lage seien, die berufliche Existenz der Bewerteten zu gefährden. Zudem bestehe die Gefahr eines Missbrauchs des Portals, indem dort unwahre, beleidigende oder sonst unzulässige Aussagen über den Arzt veröffentlicht würden. Allerdings überwiege auf der anderen Seite neben dem geschützten Eigeninteresse des Portalbetreibers vor allem das öffentlichen Interesse, Kenntnis von den im Portal angebotenen Informationen zu erhalten. Dies führe dazu, dass das Portal geeignet sei zu mehr Leistungstransparenz im Gesundheitswesen beizutragen.
Neutralität des Portalbetreibers: Bei der Abwägung sei insb. auch zu berücksichtigen, inwieweit der Betreiber auf dem Portal als „neutraler Informationsmittler“ agiere. Werde er dieser Funktion nicht mehr gerecht, indem er nichtzahlende und zahlende Ärzte ungleich behandle, könne dies durchaus zu einer Unzulässigkeit der Datenverarbeitung führen. Allerdings sei diese Gegebenheit nicht vorschnell zu bejahen: Es müssten im Einzelfall konkrete Umstände vorliegen, die eine Ungleichbehandlung begründeten. Dies könne bspw. dadurch geschehen, dass der Portalbetreiber Basis-Profile nicht zahlender Ärzte als „Köder“ nutze, um potentielle Patienten zu zahlenden Ärzten zu lenken, und damit nicht zahlende Ärzte zum Abschluss eines entgeltlichen Profils bewege. Der bloße Anschein, dass die Profile der zahlenden Ärzte durch ein Profilbild und zusätzliche Informationen im Vergleich zu nicht zahlenden Ärzten professioneller ausgestaltet seien, führe hingegen noch nicht zu einem so gewichtigen Nachteil eines Basis-Profils, dass dem Interesse der bewerteten Ärztin der Vorzug zu gewähren sei. Vielmehr stelle die Kennzeichnung „Nur jameda-Kunden können ein Profilbild hinterlegen“ und die Tatsache, dass auch Premium-Profile negative Bewertungen erhalten könnten, sicher, dass es zu keiner strukturellen Ungleichbehandlung komme. Dies werde dadurch verstärkt, dass potentielle Patienten nicht aufgrund von Marketingaspekten ihre Entscheidung fällten, sondern unabhängige Patientenbewertungen, insb. Noten, im Vordergrund stünden. Insoweit werde der Betreiber seinen Pflichten als „neutraler Informationsmittler“ gerecht, weshalb in diesem Zusammenhang keine unzulässige Datenverarbeitung festgestellt werden könne.