BGH, Urt. 19.9.2024 - IX ZR 130/23
Verjährungshemmung bei Ruhen eines von zwei parallel laufenden Verfahren auf Zugewinnausgleich
Autor: RA Dr. Walter Kogel, FAFamR, Aachen
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 12/2024
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 12/2024
Nach dem für Verjährungsfragen maßgeblichen „Gebot des sichersten Weges“ hat der Rechtsanwalt bei einer unklaren Rechtslage, ob ein triftiger Grund vorliegt, das Verfahren nicht zu betreiben, im Hinblick auf eine etwaige ungünstigere Beurteilung der Rechtslage durch das mit der Sache befasste Gericht den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung des Anspruchs des Mandanten sicher verhindert (Fortführung von BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 137/03, FamRZ 2005, 261).
BGB § 204 Abs. 1; ZPO § 287
Damit stellt sich die Frage, ob ein fehlerhaftes prozessuales Verhalten vorliegt. Der Rechtsanwalt müsse die Erfolgsaussichten des Begehrens seines Mandanten umfassend prüfen. Dazu habe er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären (BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rz. 22 m.w.N). Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richte sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falls (BGH v. 13.3.2008 – IX ZR 136/07 Rz. 15, NJW-RR 2008, 1235). Sofern mehrere Maßnahmen in Betracht kämen, habe der Rechtsanwalt diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste sei (vgl. BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 137/03, FamRZ 2005, 261). Gebe die rechtliche Beurteilung zu begründeten Zweifeln Anlass, müsse der Rechtsanwalt auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließe (BGH v. 29.6.2006 – IX ZR 76/04 Rz. 9, FamRZ 2006, 1602).
Vorliegend hätte der Beklagten bekannt sein müssen, dass nach § 204 Abs. 2 S. 1 BGB die Hemmung der Verjährung 6 Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endete. Sie hätte wissen müssen, dass gem. § 204 Abs. 2 S. 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens trete, wenn das Verfahren in Stillstand gerate, weil die Parteien es nicht betreiben. Der Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten stehe vor allem nicht entgegen, dass möglicherweise ein triftiger Grund i.S.d. § 204 Abs. 2 BGB bestanden habe, um nicht tätig zu werden. Denn nach dem gerade für Verjährungsfragen maßgeblichen „Gebot des sichersten Weges“ hätte die Beklagte angesichts der unklaren Rechtslage bei der Beurteilung eines triftigen Grundes den Weg aufzeigen müssen, der eine Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs jedenfalls sicher verhindert hätte (vgl. BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 137/03, FamRZ 2005, 261 = NJW-RR 2005, 494, 495). Immerhin sei von drei Gerichten dieser vermeintlich triftige Grund zuvor verneint worden.
Des Weiteren sei die Kausalität der Pflichtverletzung für den entstandenen Schaden zu prüfen. Welchen Verlauf hätten die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts genommen? Wie hätte der Mandant auf eine dementsprechende Beratung reagiert? Wie wäre seine Vermögenslage dann? Grundsätzlich habe der Geschädigte den Ursachenzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden nachzuweisen (vgl. BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 73/93, BGHZ 123, 311, 313). Hierbei gelten die in § 287 ZPO vorgesehenen Beweiserleichterungen. Demnach reiche für die richterliche Überzeugungsbildung eine überwiegende, freilich auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus. An die Darlegung eines hypothetischen Geschehens dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH v. 3.12.1999 – IX ZR 332/98, NJW 2000, 509). Zwar spreche bei Verstößen gegen die anwaltliche Beratungspflicht zugunsten des Anspruchstellers der Erfahrungssatz, dass sich dieser bei vertragsgerechtem Handeln des Beauftragten auch beratungsgemäß verhalten hätte. Dies gelte indes nur, sofern im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend informierten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre (vgl. BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/01, WM 2006, 927). Hierfür seien aber tatsächliche Feststellungen notwendig, die im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten (vgl. BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 73/93, BGHZ 123, 311, 314 f.). Kämen hingegen verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich bergen, sei grundsätzlich kein Raum für einen Anscheinsbeweis (vgl. BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/01, WM 2006, 927 Rz. 26).
Hätte vorliegend die Beklagte pflichtgemäß aufgeklärt, wären für den Kläger mehrere Handlungsalternativen in Betracht gekommen. Es hätte die Möglichkeit bestanden, den Zugewinnausgleichanspruch trotz des durch seine frühere Ehefrau betriebenen Verfahrens selbst gerichtlich weiterzuverfolgen. Dann hätte er allerdings die dadurch entstehenden Kosten zunächst vorfinanzieren müssen. Der Kläger hätte sich auch mit seiner früheren Ehefrau auf eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung verständigen können. Schließlich hätte sich der Kläger nach einer pflichtgemäßen Aufklärung über die Vorteile und Risiken mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklären können. Nunmehr müsse er den Weg darlegen, für den er sich konkret entschieden hätte (vgl. BGH v. 29.9.2005 – IX ZR 104/01, BeckRS 2005, 13020). Vorliegend treffe ihn die volle Beweislast (vgl. BGH v. 30.3.2000 – IX ZR 53/99, NJW 2000, 2814, 2815). Im Hinblick auf diese verschiedenen Handlungsmöglichkeiten reiche sein bisheriger Vortrag nicht aus.
BGB § 204 Abs. 1; ZPO § 287
Das Problem
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage einer Anwaltshaftung. Welche Vorkehrungen muss der Rechtsvertreter bei zwei parallel laufenden Zugewinnverfahren vor unterschiedlichen Familiengerichten treffen, um sicher eine Verjährung des Anspruches seines Mandanten zu verhindern? Ausführlich wurde der Sachverhalt mit den Beschlussgründen in der Entscheidung des OLG Bremen v. 9.6.2023 – 4 U 35/22, FamRB 2023, 354 (Kogel) dargestellt. Hierauf wird verwiesen. Das OLG Bremen hatte einerseits angenommen, dass der zuvorige familienrechtliche Beschluss des OLG Oldenburg, womit der Zugewinnanspruch wegen Verjährung abgewiesen worden war, unzutreffend gewesen sei. Andererseits hatte es jedoch ein Fehlverhalten des Rechtsvertreters verneint und somit auch den Regressanspruch abgewiesen.Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH hebt den Beschluss auf und verweist zurück. Zunächst bestätigt er seine ständige Rechtsprechung, wonach im Regressprozess das Gericht selbständig prüfen muss, wie das Vorverfahren zutreffend hätte entschieden werden müssen. Der Ansicht des OLG Bremen, der Zugewinnanspruch sei in Wahrheit nicht verjährt gewesen, schließt er sich an.Damit stellt sich die Frage, ob ein fehlerhaftes prozessuales Verhalten vorliegt. Der Rechtsanwalt müsse die Erfolgsaussichten des Begehrens seines Mandanten umfassend prüfen. Dazu habe er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären (BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rz. 22 m.w.N). Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richte sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falls (BGH v. 13.3.2008 – IX ZR 136/07 Rz. 15, NJW-RR 2008, 1235). Sofern mehrere Maßnahmen in Betracht kämen, habe der Rechtsanwalt diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste sei (vgl. BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 137/03, FamRZ 2005, 261). Gebe die rechtliche Beurteilung zu begründeten Zweifeln Anlass, müsse der Rechtsanwalt auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließe (BGH v. 29.6.2006 – IX ZR 76/04 Rz. 9, FamRZ 2006, 1602).
Vorliegend hätte der Beklagten bekannt sein müssen, dass nach § 204 Abs. 2 S. 1 BGB die Hemmung der Verjährung 6 Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endete. Sie hätte wissen müssen, dass gem. § 204 Abs. 2 S. 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens trete, wenn das Verfahren in Stillstand gerate, weil die Parteien es nicht betreiben. Der Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten stehe vor allem nicht entgegen, dass möglicherweise ein triftiger Grund i.S.d. § 204 Abs. 2 BGB bestanden habe, um nicht tätig zu werden. Denn nach dem gerade für Verjährungsfragen maßgeblichen „Gebot des sichersten Weges“ hätte die Beklagte angesichts der unklaren Rechtslage bei der Beurteilung eines triftigen Grundes den Weg aufzeigen müssen, der eine Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs jedenfalls sicher verhindert hätte (vgl. BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 137/03, FamRZ 2005, 261 = NJW-RR 2005, 494, 495). Immerhin sei von drei Gerichten dieser vermeintlich triftige Grund zuvor verneint worden.
Des Weiteren sei die Kausalität der Pflichtverletzung für den entstandenen Schaden zu prüfen. Welchen Verlauf hätten die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts genommen? Wie hätte der Mandant auf eine dementsprechende Beratung reagiert? Wie wäre seine Vermögenslage dann? Grundsätzlich habe der Geschädigte den Ursachenzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden nachzuweisen (vgl. BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 73/93, BGHZ 123, 311, 313). Hierbei gelten die in § 287 ZPO vorgesehenen Beweiserleichterungen. Demnach reiche für die richterliche Überzeugungsbildung eine überwiegende, freilich auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus. An die Darlegung eines hypothetischen Geschehens dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH v. 3.12.1999 – IX ZR 332/98, NJW 2000, 509). Zwar spreche bei Verstößen gegen die anwaltliche Beratungspflicht zugunsten des Anspruchstellers der Erfahrungssatz, dass sich dieser bei vertragsgerechtem Handeln des Beauftragten auch beratungsgemäß verhalten hätte. Dies gelte indes nur, sofern im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend informierten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre (vgl. BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/01, WM 2006, 927). Hierfür seien aber tatsächliche Feststellungen notwendig, die im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten (vgl. BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 73/93, BGHZ 123, 311, 314 f.). Kämen hingegen verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich bergen, sei grundsätzlich kein Raum für einen Anscheinsbeweis (vgl. BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/01, WM 2006, 927 Rz. 26).
Hätte vorliegend die Beklagte pflichtgemäß aufgeklärt, wären für den Kläger mehrere Handlungsalternativen in Betracht gekommen. Es hätte die Möglichkeit bestanden, den Zugewinnausgleichanspruch trotz des durch seine frühere Ehefrau betriebenen Verfahrens selbst gerichtlich weiterzuverfolgen. Dann hätte er allerdings die dadurch entstehenden Kosten zunächst vorfinanzieren müssen. Der Kläger hätte sich auch mit seiner früheren Ehefrau auf eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung verständigen können. Schließlich hätte sich der Kläger nach einer pflichtgemäßen Aufklärung über die Vorteile und Risiken mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklären können. Nunmehr müsse er den Weg darlegen, für den er sich konkret entschieden hätte (vgl. BGH v. 29.9.2005 – IX ZR 104/01, BeckRS 2005, 13020). Vorliegend treffe ihn die volle Beweislast (vgl. BGH v. 30.3.2000 – IX ZR 53/99, NJW 2000, 2814, 2815). Im Hinblick auf diese verschiedenen Handlungsmöglichkeiten reiche sein bisheriger Vortrag nicht aus.