BGH, Urt. 1.6.2017 - I ZR 152/13

Erleichterter Parallelimport von In-vitro-Diagnostika; Feststellungs- und Hilfsanträge in Eil- und Hauptsacheverfahren

Autor: RA und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz Dr. Kristofer Bott, Frankfurt/M.
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 10/2017
Wer ordnungsgemäß CE-zertifizierte, in der EU in Verkehr gebrachte In-Vitro-Diagnostika mit deutschsprachigen Etikett und einer deutschsprachigen Gebrauchsanleitung, die der des Herstellers entspricht, in Deutschland in Verkehr bringt, ist nicht zur Durchführung eines (ergänzenden) Konformitätsbewertungsverfahrens verpflichtet. Die Unterlassungspflicht ist für ein Urteil über Auskunfts- und Schadensersatzpflicht nicht vorgreiflich (§ 256 Abs. 2 ZPO). Mit der Revision kann die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung nicht verlangt werden (§ 542 Abs. 2 ZPO).

BGH, Urt. v. 1.6.2017 - I ZR 152/13

UWG § 3a; Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika Erwägungsgrund 19, Art. 8 Abs. 1 Satz 1, Art. 9 und 11; ZPO § 33 Abs. 1, § 256 Abs. 2, § 542 Abs. 2 Satz 1, §§ 802, 927 Abs. 2 Halbs. 2

Das Problem

Ein Unternehmen stellt u.a. Teststreifen für die Blutzuckerkontrolle her. Die Teststreifen verkauft es u.a. in England und Deutschland. Sie sind als Medizinprodukte nur verkehrsfähig, wenn eine Konformitätsbewertung erfolgreich durchgeführt wurde (§§ 6, 7 MPG). Ein anderes Unternehmen kauft solche Teststreifen in England, versieht sie mit einem neuen, auf den Vertriebsverantwortlichen hinweisenden Etikett und einer Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache. Deren Text entspricht wörtlich dem, den der Hersteller für sein deutsches Produkt verwendet. Der Teststreifen wird vom Patienten selbst angewendet. Nicht nur den Blutzuckerwert, sondern auch, ob der Teststreifen funktioniert, kann er mittels des Produkts testen. Das Ergebnis des Funktionstests wird bei den englischen Produkten in mmol/l, bei den deutschen ebenso und in mg/dl ausgewiesen. Die vom Parallelimporteur in Deutschland verkauften Produkte wiesen ursprünglich, weil aus England kommend, nur die erste Maßeinheit aus. Nachdem der Parallelimporteur eine ergänzende Konformitätsbewertung für „sein” Produkt veranlasst hatte, war das Ergebnis des Funktionstests sowohl in mmol/l, als auch in mg/dl abzulesen.

Die deutsche Vertriebstochter des Herstellers hatte den Parallelimporteur im Eilverfahren erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch genommen. Angebot und Vertrieb des Teststreifens mit neuem Etikett und neuer Gebrauchsanweisung, aber ohne eine neue oder ergänzende Konformitätsbewertung seien unzulässig (§ 3, 4 Nr. 11 UWG a.F. i.V.m.§ 6 (1) Satz1 MPG). Der Importeur gab keine Abschlusserklärung ab. Im Hauptsacheverfahren legte er, nach Durchführung eines ergänzenden Konformitätsbewertungsverfahrens, die zwischenzeitlich vorgenommene Zertifizierung vor. In der Sache verlangte er zuletzt, erstens, die Klage abzuweisen, zweitens und nachdem die Vertriebstochter den Unterlassungsantrag erst für erledigt erklären wollte, dann zurückgenommen hatte, festzustellen, dass der Vertriebstochter kein Unterlassungsanspruch zustehe, drittens, aber nur hilfsweise, nämlich für den Fall, dass die Klage in der Hauptsache abgewiesen würde, Aufhebung der einstweiligen Verfügung (§ 927 ZPO), sowie schließlich festzustellen, dass die Vertriebstochter den Vollzugsschaden zu ersetzen habe (§ 945 ZPO), wiederum nur hilfsweise, für den Fall der Aufhebung der einstweiligen Verfügung.

Die Instanzgerichte hatten in der Sache zu entscheiden, ob der Importeur für den Vertrieb der Teststreifen in Deutschland ein – neues oder ergänzendes – Konformitätsbewertungsverfahren durchführen musste. Diese Entscheidung war dem BGH zwischenzeitlich abgenommen worden. Der EuGH hatte auf die aus einem Parallelverfahren zum vorliegenden (OLG Frankfurt , Urt. v. 27.6.2013 – 6 U 253/11) stammende Vorlage des BGH (BGH, Beschl. v. 30.4.2015 – I ZR 153/13 – Teststreifen zur Blutzuckerkontrolle) die Frage dahin entschieden, dass das mit Rücksicht auf die Warenverkehrsfreiheit nicht nötig sei. Der Importeur sei kein Hersteller, und also die von ihm in Verkehr gebrachten Produkte nicht zertifizierungsbedürftig, weil er das Produkt gar nicht „in eigenem Namen” in Verkehr bringe. Das gelte auch mit Rücksicht darauf, dass „sein” Produkt anders gekennzeichnet, mit einer anderen Gebrauchsanweisung versehen worden und zeitweilig mit einer in Deutschland ungebräuchlichen Maßeinheit mmol/l vertrieben worden sei (EuGH, Urt. v. 13.10.2016 – C-277/15 – Servoprax / Roche Diagnostics Deutschland GmbH). Im Jahr 2010 hatte es der BGH ausdrücklich anders entschieden (BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 158/08 – One touch ultra), und noch die Vorlageentscheidung an den EuGH votiert nachvollziehbar für die Notwendigkeit eines – ergänzenden – Konformitätsbewertungsverfahrens.

Die Entscheidung des Gerichts

Dem Bundesgerichtshof blieben im Wesentlichen die prozessualen Fragen: Kann der Beklagte das Nichtbestehen eines Unterlassungsanspruchs feststellen lassen, wenn ihn der Kläger zurückgenommen hat? Kann er, widerklagend, die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung sowie die Feststellung der Pflicht zum Ersatz des Vollzugsschadens (§ 945 ZPO) noch in der Revision verlangen)? Das geht nicht, entscheidet der BGH.

Zur negativen Feststellungswiderklage: Die Vertriebstochterhatte, nachdem ihr das erfolgreich durchgeführte ergänzende Konformitätsbewertungsverfahren bekannt geworden war, schriftsätzlich angekündigt, den Unterlassungsanspruch für erledigt zu erklären. Ob er bestanden hatte oder nicht, wäre dann u.U. festgestellt worden. In der mündlichen Verhandlung nahm die Vertriebstochter den Unterlassungsantrag aber zurück. Ein rechtlich geschütztes Feststellungsinteresse des Importeurs sei damit nicht mehr vorhanden. Dass die Vertriebstochter Auskunfts- und Schadensersatzansprüche weiter verfolgte, änderte nichts, denn sie beziehen sich auf die Vergangenheit, der Unterlassungsanspruch auf die Zukunft. Der Importeur stellte deshalb auf einen Zwischenfeststellungsantrag um, § 256 Abs. 2 ZPO. Ob eine Unterlassungspflicht besteht oder nicht, sei aber für die Entscheidung über Auskunfts- und Schadensersatzpflicht nicht vorgreiflich. Der Antrag sei also – ebenso sah es die Vorinstanz – unzulässig.

Ebenso erging es dem auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag (§ 927 ZPO). Dieser sei, obwohl nominell ein Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung, jedenfalls im Eilverfahren, und gleichwohl mit der Widerklage im ordentlichen Verfahren geltend gemacht, statthaft (§ 33 ZPO). Er könne aber mit Rücksicht auf § 542 Abs. 2 ZPO nicht mit der Revision geltend gemacht werden. Gegen Urteile im Eilverfahren finde die Revision nicht statt. Der Importeur hatte den Antrag zwar in den Instanzen geltend gemacht – aber nur hilfsweise, unter der Bedingung der Klageabweisung; andernfalls wäre er erfolglos gewesen. Das Berufungsgericht hatte der Klage aber stattgegeben, so dass es über ihn nicht entscheiden durfte. Einer Entscheidung über die Schadensersatzpflicht (§ 945 ZPO) hätte § 542 Abs.2 ZPO nicht im Weg gestanden. Der Importeur hatte den Antrag aber wiederum nur hilfsweise gestellt, für den Fall, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben werde. Auch diese Bedingung war nicht eingetreten.

Zuletzt verteilt der BGH die Kosten anders: Während das OLG § 269 Abs. 3 Satz3 ZPO entsprechend angewandt und bei der Kostenentscheidung zu Lasten des Importeurs berücksichtigt hatte, dass dieser die vor Klageerhebung erfolgte Zertifizierung erst danach der Vertriebstochter mitgeteilt hatte, sei nach Ansicht des BGH die unterlassene Mitteilung kein zur Klage Anlass gebenden Pflichtverstoß; der zurückgenommene Unterlassungsantrag gehe daher nach § 296 Abs. 3 Satz ZPO zu Lasten der Vertriebstochter.


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