BGH, Urt. 1.7.2020 - VIII ZR 323/18

Kündigungswiderspruch nach Schonfristzahlung

Autor: RA Robert Harsch, Lörrach
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 09/2020
1. Der Wohnungsmieter kann sich auf eine Vertragsfortsetzung nach der Sozialklausel des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB nicht berufen, wenn bei Erhalt der ordentlichen Kündigung auch ein Grund zur fristlosen Kündigung durch den Vermieter vorlag, ohne das letztere erklärt sein muss.2. Auch wenn nach fristloser Kündigung die Mietrückstände innerhalb der Schonfrist nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB beglichen werden, bleibt die Fortsetzung des fristlos gekündigten Mietvertrags nach § 574 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen. Beseitigt wird gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nur die Gestaltungswirkung der fristlosen Kündigung. Weder lebt mit der Schonfristzahlung das Widerspruchsrecht des Mieters nach der Sozialklausel wieder auf noch entsteht es neu, da § 574 Abs. 1 S. 2 BGB keine gesetzliche Regelungslücke enthält.

BGB § 546 Abs. 1, § 569, § 574; ZPO § 301

Das Problem

Die beklagte Mieterin bewohnt die Räume seit 1989. 2004 zog ihr Lebensgefährte mit ein. Man hat zwei gemeinsame Kinder. Die Mieterin ließ Mietrückstände von über zwei Monatsmieten auflaufen. Der Vermieter kündigte den Mietvertrag fristlos, hilfsweise fristgemäß. Die Rückstände wurden vom Jobcenter innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausgeglichen. Die Mieterin berief sich wegen langer Mietzeit, Verwurzelung sowie fehlendem Ersatzwohnraum auf die Sozialklausel. Das AG gab der Räumungsklage statt. In der Berufung wurde die Räumungsklage auf den Lebensgefährten erweitert. Das Berufungsgericht wies durch Teilurteil die Räumungsklage gegen die Beklagte ab und verlängerte den Vertrag auf unbestimmte Zeit. Bezüglich der Klage gegen den Beklagten zu 2 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die wesentliche Problematik bestand darin, dass das Berufungsgericht entgegen ständiger Rechtsprechung des BGH § 574 Abs. 1 S. 2 BGB (Widerspruchsausschluss bei Grund zur fristlosen Kündigung) durch teleologische Auslegungsreduktion dahin einschränkte, dass das Widerspruchsrecht infolge der Schonfristzahlung auch nach fristloser Kündigung entsteht oder wiederauflebt.

Die Entscheidung des Gerichts

§ 574 Abs. 1 S. 2 BGB regelt die Widerspruchsmöglichkeit gegen die fristgemäße Kündigung bei einer Härte für den Mieter. Ausgeschlossen ist der Widerspruch, wenn gleichzeitig ein Grund zur fristlosen Kündigung gegeben ist, etwa bei erheblichen Zahlungsrückständen. Unerheblich ist, ob die fristlose Kündigung tatsächlich erklärt ist. Die Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion (Einschränkung des Normanwendungsbereichs entgegen dem Wortlaut) setzt eine verdeckte Regelungslücke durch planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Hieran fehlt es. Die Vertragsfortsetzung soll dem Mieter bei Gründen zur sofortigen Vertragsauflösung ausdrücklich nicht zustehen (bereits RGBl. 1923 I, 353 sowie Gesetzesänderungen aus 1963).

Die Zahlung der Rückstände innerhalb der Schonfrist ändert hieran nichts. Denn hierdurch wird (nur) die fristlose Kündigung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch gesetzliche Fiktion beseitigt (BGH v. 19.9.2018 – VIII ZR 231/17, MietRB 2019, 5 [Dötsch] = MDR 2018, 1364), der Grund zur fristlosen Kündigung war aber von Anfang an gegeben. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibt wirksam (BGH v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12, MDR 2013, 24 = MietRB 2013, 1 [Schmid]; v. 1.7.2015 – VIII ZR 278/13, MietRB 2015, 289 [Grziwotz] = MDR 2015, 935; v. 6.2.2005 – VIII ZR 6/04, MietRB 2005, 173 [Dickersbach] = MDR 2005, 680). Das Widerspruchsrecht ist nach § 574 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen, wenn bei Erklärung der ordentlichen Kündigung auch ein Grund zur fristlosen Kündigung besteht (BGH v. 19.9.2018 – VIII ZR 231/17, MietRB 2019, 5 [Dötsch] = MDR 2018, 1364; BT-Drucks. 3/1234, 74). Kein Raum besteht für die Annahme eines Wiederauflebens oder der Neuentstehung des Widerspruchsrechts bei der Möglichkeit der fristlosen Kündigung, da es an einer Gesetzeslücke fehlt.


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