BGH, Urt. 22.6.2022 - VIII ZR 356/20
Verlängerter Kündigungsschutz nach § 577a BGB
Autor: RiAG Dr. jur. Dr. phil. Andrik Abramenko, Idstein
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 11/2022
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 11/2022
1. Die Ermächtigung in § 577a Abs. 2 BGB, Gebiete auszuweisen, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen gefährdet ist, stellt eine hinreichend bestimmte, zulässige Inhalts-und Schrankenbestimmung des Eigentums dar. Das Land Berlin hat mit seiner Kündigungsschutzklauselverordnung hiervon zulässigen Gebrauch gemacht.2. Ein Erwerb nach § 577a BGB setzt einen Wechsel in der Person des Vermieters voraus; der bloße Hinzuerwerb von Miteigentumsanteilen genügt nicht.
BGB § 577a Abs. 1, 2, § 563a Abs. 1; KSchKlV BE § 2
Die zehnjährige Kündigungssperrfrist ist noch nicht abgelaufen. Sie beginnt mit der erstmaligen Veräußerung des zuvor gebildeten Wohnungseigentums an einen Erwerber. Das war hier nicht schon mit der Veräußerung des 1/5 Miteigentumsanteils an A der Fall. Denn er war nicht „Erwerber“ gem. § 577a Abs. 1 BGB. Diese Vorschrift will den Mieter nämlich vor der Gefahr einer Kündigung wegen Eigenbedarfs bzw. angemessener Verwertung schützen, die erst durch die Veräußerung des neu geschaffenen Wohnungseigentums geschaffen wird. Dies setzt einen tatsächlichen Wechsel in der Person des Wohnungseigentümers voraus. Denn die Möglichkeit des bisherigen Mitvermieters A, wegen Eigenbedarfs oder zum Zwecke der angemessenen Verwertung zu kündigen, hat sich durch den Erwerb des 1/5 Miteigentumsanteils nicht verändert. Diese Gefahr erhöhte sich erst durch den Eigentumserwerb der M.O. GmbH im Jahr 2015. Sie hätte zwar keinen Eigenbedarf geltend machen, aber die Verwertungskündigung aussprechen können.
Allerdings nimmt das Berufungsgericht zu Unrecht an, die Wohnung sei der Beklagten bereits bei Begründung von Wohnungseigentum 1997 gem. § 577a Abs. 1 BGB „überlassen“ gewesen. Dies setzt einen Mietvertrag voraus. Die Beklagte war zu dieser Zeit aber nur Untermieterin. Sie könnte aber nach dem Tod ihrer Schwester gemäß § 563a Abs. 1 BGB in das Mietverhältnis eingetreten sein. Da dieser die Wohnung bereits 1985 überlassen war, käme der Beklagten dann auch der Schutz des § 577a Abs. 1 BGB zugute. Dies setzt allerdings voraus, dass die Beklagte und ihre Schwester einen gemeinsamen Haushalt geführt haben. Dies erfordert ein gewissermaßen arbeitsteiliges Zusammenwirken bei der Lebensführung. Hierzu fehlen tragfähige Feststellungen, so dass die Sache an das Berufungsgericht zurückzugeben war.
BGB § 577a Abs. 1, 2, § 563a Abs. 1; KSchKlV BE § 2
Das Problem
Die Parteien streiten um die Räumung und Herausgabe von Wohnraum. Die Schwester der Beklagten mietete von der seinerzeitigen Grundstückseigentümerin 1985 eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus an. Die Beklagte wurde im Mietvertrag als Untermieterin bezeichnet und bewohnte die Mieträume als solche. 1990 übertrug die Grundstückseigentümerin einen 1/5 Miteigentumsanteil auf B, der Rest ging im Wege des Erbgangs auf A über. 1996 wurde das Grundstück in Wohnungseigentum mit insgesamt 11 Einheiten aufgeteilt. B übertrug seinen 1/5 Miteigentumsanteil 1997 auf A. Dieser schloss 2014 einen Vertrag mit der Schwester der Beklagten, wonach letztere „als Mieterin in den Mietvertrag“ eintrat. Am 10.6.2015 verstarb die Schwester der Beklagten, am 17.6.2015 wurde die M.O. GmbH kraft Auflassung vom 26.2.2015 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Diese verkaufte die von der Beklagten innegehaltene Wohnung an die Kläger, die das Mietverhältnis mit Schreiben vom 21.12.2018 wegen Eigenbedarfs kündigten. Die erstinstanzlich erfolgreiche Räumungsklage wurde vom Berufungsgericht abgewiesen. Hiergegen richtet sich die von ihm zugelassene Revision.Die Entscheidung des Gerichts
Das Rechtsmittel hatte einstweilen Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass vorliegend die zehnjährige Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB i.V.m der Kündigungsschutzklauselverordnung Berlin gilt. Die Ermächtigung in § 577a Abs. 2 BGB ist hinreichend bestimmt und stellt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dar. Denn sie hat einerseits einen engen, auf Eigenbedarf und Verwertungskündigung beschränkten Anwendungsbereich und ist andererseits auch zeitlich auf eine maximale Kündigungssperrfrist von zehn Jahren beschränkt. Das Land Berlin hat von dieser Ermächtigung zulässigen Gebrauch gemacht, auch wenn es ganz Berlin zum Gebiet erklärt hat, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen gefährdet ist. Denn der Bundesgesetzgeber hat den Landesverordungsgebern bei der Bestimmung dieser Gebiete einen weiten Beurteilungsspielraum gelassen, der der gerichtlichen Überprüfung entzogen ist.Die zehnjährige Kündigungssperrfrist ist noch nicht abgelaufen. Sie beginnt mit der erstmaligen Veräußerung des zuvor gebildeten Wohnungseigentums an einen Erwerber. Das war hier nicht schon mit der Veräußerung des 1/5 Miteigentumsanteils an A der Fall. Denn er war nicht „Erwerber“ gem. § 577a Abs. 1 BGB. Diese Vorschrift will den Mieter nämlich vor der Gefahr einer Kündigung wegen Eigenbedarfs bzw. angemessener Verwertung schützen, die erst durch die Veräußerung des neu geschaffenen Wohnungseigentums geschaffen wird. Dies setzt einen tatsächlichen Wechsel in der Person des Wohnungseigentümers voraus. Denn die Möglichkeit des bisherigen Mitvermieters A, wegen Eigenbedarfs oder zum Zwecke der angemessenen Verwertung zu kündigen, hat sich durch den Erwerb des 1/5 Miteigentumsanteils nicht verändert. Diese Gefahr erhöhte sich erst durch den Eigentumserwerb der M.O. GmbH im Jahr 2015. Sie hätte zwar keinen Eigenbedarf geltend machen, aber die Verwertungskündigung aussprechen können.
Allerdings nimmt das Berufungsgericht zu Unrecht an, die Wohnung sei der Beklagten bereits bei Begründung von Wohnungseigentum 1997 gem. § 577a Abs. 1 BGB „überlassen“ gewesen. Dies setzt einen Mietvertrag voraus. Die Beklagte war zu dieser Zeit aber nur Untermieterin. Sie könnte aber nach dem Tod ihrer Schwester gemäß § 563a Abs. 1 BGB in das Mietverhältnis eingetreten sein. Da dieser die Wohnung bereits 1985 überlassen war, käme der Beklagten dann auch der Schutz des § 577a Abs. 1 BGB zugute. Dies setzt allerdings voraus, dass die Beklagte und ihre Schwester einen gemeinsamen Haushalt geführt haben. Dies erfordert ein gewissermaßen arbeitsteiliges Zusammenwirken bei der Lebensführung. Hierzu fehlen tragfähige Feststellungen, so dass die Sache an das Berufungsgericht zurückzugeben war.