Autor: RA und Salary-Partner Ulrich C. Mettler, Ladenburger Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Pforzheim
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2019
Häusliches Musizieren stellt eine sozialadäquate Form der Freizeitbeschäftigung dar, die in gewissen Grenzen akzeptiert werden muss, wobei Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit einzuhalten sind, was gleichsam für einen Hobby- wie für einen Berufsmusiker gilt. Wann und wie lange musiziert werden darf, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und auf ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen ist grundsätzlich zu akzeptieren.
BGH, Urt. v. 26.10.2018 - V ZR 143/17
Vorinstanz: LG Augsburg - 72 S 4608/15
BGB §§ 1065, 1004, 906 Das Problem
Der Kläger bewohnt ein Reihenhaus in einem Wohngebiet. Sein Nachbar ist Berufsmusiker, der in seinem Haus im EG und in einem Probenraum im DG ca. 180 Minuten pro Tag, jedoch nicht an mehr als zwei Tagen pro Woche, unter Berücksichtigung der Mittags- und Nachtruhe, das Trompetenspielen übt. Zudem unterrichtet er zwei Stunden wöchentlich Musikschüler. Der Kläger fühlt sich dadurch gestört und verlangt vom Beklagten das Ergreifen geeigneter Maßnahmen, durch die das Spielen von Musikinstrumenten auf dem klägerischen Grundstück nicht mehr wahrgenommen werden kann. Die Klage hatte beim AG Erfolg, das LG hat im Berufungsverfahren den Beklagten zur Unterlassung verurteilt, Dritten Musikunterricht zu erteilen. Der Beklagte wurde außerdem dazu verurteilt, es zu unterlassen, in seinem Anwesen Instrumentalmusik zu spielen, davon ausgenommen wurde das Dachgeschoss, wo für maximal 10 Stunden pro Woche werktags zwischen 10:00 Uhr und 12:00 Uhr und 15:00 Uhr und 19:00 Uhr musiziert werden darf und an acht Samstagen oder Sonntagen im Jahr zwischen 15:00 Uhr und 18:00 Uhr. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten, die Erfolg hatte. Die Entscheidung des Gerichts
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann ein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten aus §§ 1065, 1004, 906 BGB nicht zugesprochen werden, wobei sich die Wesentlichkeit einer Geräuschimmission danach beurteilt, wie diese ein verständiger Durchschnittsmensch empfindet und danach, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist. Dabei ist die Grenze einer zumutbaren Lärmbelästigung nicht mathematisch zu ermitteln, sondern einzelfallabhängig. Das generelle Verbot des Trompetenspiels im Wohnzimmer ist bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil ein Nachbar keinen völligen Anspruch auf Stille hat. Insofern verkennt das Berufungsgericht, dass auch das Üben von Instrumenten zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung zählt, was in gewissen Grenzen hinzunehmen ist (vgl. BGH v. 10.9.1998 – V ZB 11/98, MDR 1999, 28 m. Anm. Riecke). Das Musizieren ist auch nicht allein deshalb einzuschränken, weil es von einem Berufsmusiker praktiziert wird. Ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spielt, hat insoweit nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker und umgekehrt. Andererseits soll auch dem Nachbarn die eigene Wohnung die Möglichkeit zur Entspannung und Erholung und zu häuslicher Arbeit eröffnen, mithin auch die dazu jeweils notwendige, von Umweltgeräuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten (vgl. OLG Hamm v. 7.11.1985 – 15 W 181/85, MDR 1986, 501 = NJW-RR 1986, 500). Ein Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen kann daher im Ergebnis nur durch eine tatrichterliche vorgegebene zeitliche Begrenzung herbeigeführt werden (vgl. BGH v. 16.1.2015 – V ZR 110/14, MDR 2015, 638 = MietRB 2015, 197 = NJW 2015, 2023). Vorliegend muss sich der Beklagte aber nicht darauf verweisen lassen, er könne ausschließlich im Dachgeschoss Trompete üben. Da das häusliche Musizieren als Bestandteil des täglichen Lebens anzusehen ist, kann es aus den zentralen Räumen der Wohnung, die regelmäßig den Lebensmittelpunkt darstellen, nicht vollständig ferngehalten werden. Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht stellt ein sozialadäquates Verhalten dar, das nicht generell untersagt werden kann.