BGH, Urt. 28.4.2021 - VIII ZR 6/19
Härtefalleinwand: Reicht ein Attest?
Autor: RiOLG Wolfgang Dötsch, Brühl
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 08/2021
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 08/2021
1. Auch, wenn ein Mieter seine Behauptung, ihm sei ein Umzug wegen einer Erkrankung nicht zuzumuten, unter Vorlage bestätigender Atteste geltend macht, ist im Falle des Bestreitens regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich.2. An der für ein Anschlussrechtsmittel erforderlichen Beschwer des Mieters fehlt es, wenn das Gericht zwar von der Wirksamkeit einer Kündigung ausgegangen ist, aber die Räumungsklage abgewiesen hat, weil es eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574, 574a BGB bestimmt hat.
BGB §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 573 Abs. 3, 574 Abs. 1 S. 1, 574a Abs. 1 S. 1
Fehlerhaft ist jedoch die Annahme eines Härtefalles mangels einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Richtig ist zwar, dass von einem Mieter, der geltend macht, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten, als medizinischem Laien über die Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests hinaus nicht verlangt werden kann, noch weitere – meist nur durch einen Gutachter zu liefernde – Angaben zu tätigen. Angesichts des – prozessual ausreichenden – Bestreitens und der fehlenden eigenen Sachkunde des Gerichts hätte dieses aber nach der Linie des Senats ein Sachverständigengutachten einholen müssen, dies bei Fehlen eines entsprechenden Beweisantritts sogar von Amts wegen (§ 144 ZPO).
Da die Räumungsklage antragsgemäß abgewiesen wurde, fehlt dem Mieter – auch wenn ihm die Begründung zur Eigenbedarfskündigung nicht schmecken mag – die erforderliche Beschwer für ein Anschlussrechtsmittel mit dem Ziel einer „uneingeschränkten“ Klageabweisung (wegen formeller und materieller Unwirksamkeit der Eigenbedarfskündigung).
BGB §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 573 Abs. 3, 574 Abs. 1 S. 1, 574a Abs. 1 S. 1
Das Problem
Der Kläger hat nach Erwerb einer Wohnung aufgrund Eigenbedarfs gekündigt und klagt auf Räumung, der Mieter (Jahrgang 1949, Mietbeginn 1986) macht Härtegründe geltend. Das LG sieht die Kündigung – die die „Kerntatsachen“ zum Eigenbedarf (Nutzung für Tochter zwecks Auszugs zum Studienbeginn) mitteilte – zwar als wirksam an, lässt mit Blick auf vorgelegte Atteste aber den Härtefalleinwand durchgreifen; eine weitere sachverständige Abklärung sei nicht geboten.Die Entscheidung des Gerichts
So nicht! Zwar ist das LG fehlerfrei davon ausgegangen, dass die Kündigung durchgriff. Zweck des Begründungserfordernisses (§ 573 Abs. 3 Satz 1 BGB) ist, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und ihn dadurch in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen (vgl. BT-Drucks. 14/4553, 66). Bei Eigenbedarfskündigungen ist grundsätzlich die Angabe der Person, für die die Wohnung benötigt wird, und die Darlegung des Interesses, das diese Person an der Erlangung der Wohnung hat, ausreichend. Dem wurde genügt. Dass es Überlegungen gegeben haben mag, dass die Tochter die Wohnung zusammen mit einem Freund oder als Wohngemeinschaft nutze, bilde keinen anderen Kündigungsgrund, sondern sei eine im Prozess „nachschiebbare“ Erläuterung. Das in § 573 Abs. 3 BGB geschützte Informationsbedürfnis ist von den weitergehenden – vom Bestreiten des beklagten Mieters abhängigen – Anforderungen an die substantiierte Darlegung der Kündigungsvoraussetzungen im Prozess zu unterscheiden. Nicht erforderlich waren Angaben zu anderen Immobilien des Klägers. Das Begründungserfordernis dient nicht dazu, eine aus Sicht des Vermieters bestehende Alternativlosigkeit der Kündigung aufzuzeigen oder sonst den Mieter auf rechtliche Verteidigungsmöglichkeiten hinzuweisen. Im Übrigen hat das LG nach durchgeführter Beweisaufnahme überzeugend eine (unzulässige) „Vorratskündigung“ und auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers verneint, der eine andere in seinem Eigentum stehende Wohnung vor ca. 2 Jahren noch unbefristet vermietet hatte, anstatt sie für die Tochter zu sichern.Fehlerhaft ist jedoch die Annahme eines Härtefalles mangels einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Richtig ist zwar, dass von einem Mieter, der geltend macht, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten, als medizinischem Laien über die Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests hinaus nicht verlangt werden kann, noch weitere – meist nur durch einen Gutachter zu liefernde – Angaben zu tätigen. Angesichts des – prozessual ausreichenden – Bestreitens und der fehlenden eigenen Sachkunde des Gerichts hätte dieses aber nach der Linie des Senats ein Sachverständigengutachten einholen müssen, dies bei Fehlen eines entsprechenden Beweisantritts sogar von Amts wegen (§ 144 ZPO).
Da die Räumungsklage antragsgemäß abgewiesen wurde, fehlt dem Mieter – auch wenn ihm die Begründung zur Eigenbedarfskündigung nicht schmecken mag – die erforderliche Beschwer für ein Anschlussrechtsmittel mit dem Ziel einer „uneingeschränkten“ Klageabweisung (wegen formeller und materieller Unwirksamkeit der Eigenbedarfskündigung).