BGH, Urt. 28.9.2021 - VI ZR 1228/20
Keine isolierte Gegendarstellung in Online-Archiv
Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 02/2022
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 02/2022
Mit einem fortdauernden Vorhalten der Gegendarstellung im Online-Archiv eines Presseorgans nach Löschung der unzulässigen Erstmitteilung wird in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen rechtswidrig eingegriffen, da durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung die dort enthaltenen unwahren Vorwürfe in der Gegendarstellung in Erinnerung gerufen werden.
GG Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 analog
Gegendarstellungsanspruch: Derjenige, dessen Angelegenheiten in den Medien öffentlich erörtert würden, habe einen Anspruch, an gleicher Stelle, mit derselben Publizität und vor demselben Forum mit einer eigenen Darstellung zu Wort zu kommen; er könne sich alsbald wirksam verteidigen, während etwaige daneben bestehende zivil- und strafrechtliche Mittel bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst zum Erfolg führten, wenn der zugrunde liegende Vorgang in der Öffentlichkeit bereits wieder vergessen sei.
Bindung und Begrenzung: Die Gegendarstellung bleibe dabei stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden und sei nach Gegenstand und Umfang durch sie begrenzt.
Eingriff in Persönlichkeitsrecht: Mit dem fortdauernden Vorhalten der Gegendarstellung greife das Presseunternehmen in das Recht der persönlichen Ehre und des guten Rufs des Betroffenen ein. Durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung würden die dort enthaltenen unwahren Vorwürfe in der Gegendarstellung – wenn auch in verneinter zutreffender Form – in Erinnerung gerufen (Semper aliquid haeret). Der Betroffene habe auch nicht freiwillig selbst die nun beanstandeten Informationen offenbart, sondern sei hierzu durch die unwahre Erstmitteilung gezwungen worden.
Rechtswidrigkeit: Der durch Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Schutz des Persönlichkeitsrechts sei mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit abzuwägen. Maßgeblich für die Abwägung seien nicht die übrigen wahren Gesichtspunkte der Berichterstattung, denn eine unzulässige Äußerung werde nicht dadurch zulässig, dass eine (darin in Bezug genommene) Mitteilung im Übrigen zulässige Äußerungen enthalte. Auch wenn die Gegendarstellung für sich genommen lediglich wahre Tatsachenbehauptungen enthalte, belaste sie durch die Reaktualisierung der ursprünglichen unwahren Behauptungen. Zudem handle es sich bei Zuhälterei um einen schwerwiegenden Vorwurf.
Irrelevanz reduzierter Breitenwirkung: Die Gegendarstellung sei zwar nicht ohne weiteres über eine Namenssuche bei Google, aber – wenngleich weniger leicht – über das bekannte Onlineportal des Presseunternehmens abrufbar, so dass die Beeinträchtigung weiter vorhanden sei.
Keine schützenswerten Gegeninteressen: Zwar liege die Möglichkeit, einmal veröffentlichte Berichte online als Spiegel der Zeitgeschichte zu erhalten, grundsätzlich im öffentlichen Interesse und auch im von Art. 5 Abs. 1 GG erfassten Interesse der Presseunternehmen. Ein schützenswertes Interesse am weiteren Vorhalten ursprünglich rechtswidriger Berichtserstattung bestehe aber nicht (vgl. BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15 – Online-Archiv einer Tageszeitung Rz. 31 ff., CR 2016, 406). Werde die unzulässige Erstmitteilung nicht mehr zum Abruf angeboten, dürfe auch die Gegendarstellung mangels Gegenstücks jedenfalls über den Zeitraum des § 56 Abs. 1 Satz 4 RStV (jetzt: § 20 Abs. 1 Satz 4 MStV) hinaus nicht gegen den Willen des Betroffenen vorgehalten werden.
Irrelevanz des Redaktionsschwanzes: Redaktionelle Anmerkungen der Presseunternehmen zur Gegendarstellung dienten allein der Korrektur einer früheren Falschbehauptung und beugten eventuellen weiteren Maßnahmen des Betroffenen vor. Sie nähmen nicht die durch die mittelbare Reaktualisierung entstehende Belastung. Es komme schließlich auch nicht darauf an, ob die Auffindbarkeit der Gegendarstellung durch Sperrung von Suchfunktionen weiter reduziert werden könne, wie dies für ursprünglich rechtmäßige Berichterstattung geboten sein könne (vgl. BGH v. 22.9.2020 – VI ZR 476/19 – Altmeldungen im Online-Archiv Rz. 11 ff., CR 2021, 133 = ITRB 2021, 3 [Rössel]).
GG Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 analog
Das Problem
Nach identifizierender Berichterstattung zu einem Ermittlungsverfahren im Onlineportal eines Presseunternehmens veröffentlichte es auf Verlangen des Betroffenen eine Gegendarstellung hinsichtlich des Tatverdachts der Zuhälterei und seines Geständnisses. Nach einstweiliger Verfügung wurde die Berichterstattung gelöscht, während die Gegendarstellung weiterhin über ihre URL und über die Suchfunktion des Onlineportals anhand des Namens des Betroffenen abgerufen werden konnte. Auf Google erschien sie auf den ersten zehn Ergebnisseiten nicht. Fast zwei Jahre später erging gegen den Betroffenen ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen.Die Entscheidung des Gerichts
Der Betroffene habe einen Anspruch auf Entfernung der von ihm selbst erwirkten Gegendarstellung aus dem Online-Archiv aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.Gegendarstellungsanspruch: Derjenige, dessen Angelegenheiten in den Medien öffentlich erörtert würden, habe einen Anspruch, an gleicher Stelle, mit derselben Publizität und vor demselben Forum mit einer eigenen Darstellung zu Wort zu kommen; er könne sich alsbald wirksam verteidigen, während etwaige daneben bestehende zivil- und strafrechtliche Mittel bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst zum Erfolg führten, wenn der zugrunde liegende Vorgang in der Öffentlichkeit bereits wieder vergessen sei.
Bindung und Begrenzung: Die Gegendarstellung bleibe dabei stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden und sei nach Gegenstand und Umfang durch sie begrenzt.
Eingriff in Persönlichkeitsrecht: Mit dem fortdauernden Vorhalten der Gegendarstellung greife das Presseunternehmen in das Recht der persönlichen Ehre und des guten Rufs des Betroffenen ein. Durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung würden die dort enthaltenen unwahren Vorwürfe in der Gegendarstellung – wenn auch in verneinter zutreffender Form – in Erinnerung gerufen (Semper aliquid haeret). Der Betroffene habe auch nicht freiwillig selbst die nun beanstandeten Informationen offenbart, sondern sei hierzu durch die unwahre Erstmitteilung gezwungen worden.
Rechtswidrigkeit: Der durch Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Schutz des Persönlichkeitsrechts sei mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit abzuwägen. Maßgeblich für die Abwägung seien nicht die übrigen wahren Gesichtspunkte der Berichterstattung, denn eine unzulässige Äußerung werde nicht dadurch zulässig, dass eine (darin in Bezug genommene) Mitteilung im Übrigen zulässige Äußerungen enthalte. Auch wenn die Gegendarstellung für sich genommen lediglich wahre Tatsachenbehauptungen enthalte, belaste sie durch die Reaktualisierung der ursprünglichen unwahren Behauptungen. Zudem handle es sich bei Zuhälterei um einen schwerwiegenden Vorwurf.
Irrelevanz reduzierter Breitenwirkung: Die Gegendarstellung sei zwar nicht ohne weiteres über eine Namenssuche bei Google, aber – wenngleich weniger leicht – über das bekannte Onlineportal des Presseunternehmens abrufbar, so dass die Beeinträchtigung weiter vorhanden sei.
Keine schützenswerten Gegeninteressen: Zwar liege die Möglichkeit, einmal veröffentlichte Berichte online als Spiegel der Zeitgeschichte zu erhalten, grundsätzlich im öffentlichen Interesse und auch im von Art. 5 Abs. 1 GG erfassten Interesse der Presseunternehmen. Ein schützenswertes Interesse am weiteren Vorhalten ursprünglich rechtswidriger Berichtserstattung bestehe aber nicht (vgl. BGH v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15 – Online-Archiv einer Tageszeitung Rz. 31 ff., CR 2016, 406). Werde die unzulässige Erstmitteilung nicht mehr zum Abruf angeboten, dürfe auch die Gegendarstellung mangels Gegenstücks jedenfalls über den Zeitraum des § 56 Abs. 1 Satz 4 RStV (jetzt: § 20 Abs. 1 Satz 4 MStV) hinaus nicht gegen den Willen des Betroffenen vorgehalten werden.
Irrelevanz des Redaktionsschwanzes: Redaktionelle Anmerkungen der Presseunternehmen zur Gegendarstellung dienten allein der Korrektur einer früheren Falschbehauptung und beugten eventuellen weiteren Maßnahmen des Betroffenen vor. Sie nähmen nicht die durch die mittelbare Reaktualisierung entstehende Belastung. Es komme schließlich auch nicht darauf an, ob die Auffindbarkeit der Gegendarstellung durch Sperrung von Suchfunktionen weiter reduziert werden könne, wie dies für ursprünglich rechtmäßige Berichterstattung geboten sein könne (vgl. BGH v. 22.9.2020 – VI ZR 476/19 – Altmeldungen im Online-Archiv Rz. 11 ff., CR 2021, 133 = ITRB 2021, 3 [Rössel]).