BGH, Urt. 29.7.2021 - I ZR 193/20
Voraussetzungen der Verkehrsgeltung i.S.d. § 4 Nr. 2 MarkenG bei abstrakten Farbzeichen – Goldhase III
Autor: RA und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz Michael Alber, von BOETTICHER Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 10/2021
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 10/2021
Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 MarkenG in der seit dem 14.1.2019 geltenden Fassung findet keine Anwendung auf Zeichen, die vor diesem Zeitpunkt eingetragen worden sind (§ 4 Nr. 1 MarkenG) oder durch Benutzung als Marke Verkehrsgeltung erworben haben (§ 4 Nr. 2 MarkenG). Einer Marke, die vor dem Inkrafttreten einer Neuregelung – sei es durch Eintragung, sei es durch Benutzung – Schutz erlangt hat, kann dieser Schutz durch eine Neuregelung grundsätzlich nicht entzogen werden. Ein Zuordnungsgrad von über 50 %, der bei einer abstrakten Farbmarke für die Annahme einer Verkehrsdurchsetzung in den beteiligten Verkehrskreisen gem. § 8 Abs. 3 MarkenG im Regelfall ausreicht, genügt erst recht für die Annahme einer Verkehrsgeltung innerhalb beteiligter Verkehrskreise gem. § 4 Nr. 2 MarkenG. Der Erwerb von Verkehrsgeltung eines Farbzeichens als Marke setzt nur voraus, dass das Zeichen als Hinweis auf die Herkunft eines Produkts dient und nicht – darüber hinaus – als „Hausfarbe“ für sämtliche oder zahlreiche Produkte des Unternehmens und damit produktlinienübergreifend verwendet wird.Inhaber der Benutzungsmarke ist derjenige, zu dessen Gunsten die Verkehrsgeltung erworben wurde. Benutzen mehrere Unternehmen eine Kennzeichnung und sehen die beteiligten Verkehrskreise diese Unternehmen als eine wirtschaftliche Einheit oder als Mitglieder eines Konzerns, kann kraft Verkehrsgeltung die Benutzungsmarke für jedes der Unternehmen entstehen.
MarkenG § 3 Abs. 2, § 4 Nr. 2
Zu Unrecht sei dieses in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass den Klägerinnen der streitgegenständliche Unterlassungsanspruch nicht zustehe, da sie keine Benutzungsmarke für Schokoladenhasen in der Form einer abstrakten Farbmarke an dem streitgegenständlichen Farbton erworben hätten. Tatsächlich hätten die Klägerinnen das Vorliegen einer Benutzungsfarbmarke i.S.d. § 4 Nr. 2 MarkenG durch Vorlage der durchgeführten Verkehrsbefragung hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt. Eine markenrechtliche Verkehrsgeltung setze auch bei einem Farbzeichen lediglich voraus, dass ein nicht unerheblicher Teil der Verkehrskreise das betreffende Zeichen als Herkunftshinweis für ein bestimmtes Unternehmen sehe. Für die entsprechende Feststellung genüge in der Regel die Darlegung eines Zuordnungsgrads von mehr als 50 %. Auf die Nutzung des Farbzeichens als „Hausmarke“ komme es hingegen nicht an. Ebenso wenig könne für die Feststellung einer Verkehrsgeltung vorausgesetzt werden, dass die angesprochenen Verkehrskreise dem betreffenden Farbzeichen auch dann einen Herkunftshinweis auf die Klägerinnen entnehmen könnten, wenn dieser für andere Schokoladenhasen verwendet werde. Das sei alleine eine Frage der Verwechslungsgefahr, die sich erst im Rahmen der Verletzungsprüfung stelle. Dass das streitgegenständliche Farbzeichen gemeinsam mit weiteren, ebenfalls verkehrsbekannten Gestaltungselementen eingesetzt werde, stehe seiner Verkehrsgeltung ebenfalls nicht entgegen. Ein Zeichen könne auch infolge der Benutzung als Teil einer komplexen Gestaltung eigenständige Verkehrsgeltung erlangen, soweit es hierdurch – wovon hier nicht ausgegangen werden könne – nicht völlig in den Hintergrund gedrängt werde (BGH, Beschl. v. 9.7.2015 – I ZB 65/13 – Nivea-Blau, Rz. 32).
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen werde das OLG München anlässlich der neuerlichen Entscheidung in der Sache auch die Frage nach einer markenmäßigen Benutzung der Verletzungsfarbe durch die Beklagte noch einmal zu prüfen haben. Von einer solchen markenmäßigen Benutzung müsse insbesondere dann ausgegangen werden, wenn das verletzte Zeichen – wie hier – Verkehrsgeltung erlangt habe und eine hinreichende Ähnlichkeit zur Verletzungsfarbe bestehe. Zudem dürfe die Verletzungsfarbe auch in der konkreten Verletzungsform ein wesentliches, durch herkömmliche Gestaltungsmittel nicht in den Hintergrund gedrängtes Gestaltungsmittel sein.
Neben der Frage, ob die Beklagte hier die Verletzungstatbestände von § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 MarkenG verwirklicht habe, werde das Berufungsgericht auch zu prüfen haben, ob tatsächlich beide Klägerinnen die streitgegenständliche Farbe in Deutschland benutzt hätten, was angesichts der geografisch klar abgegrenzten Aufgabenverteilung im klägerischen Konzern zumindest bezweifelt werden könne. Es könne naheliegend sein, dass ein Farbzeichen kraft Verkehrsgeltung nur der Klägerin. zu 1. als für den Vertrieb in Deutschland zuständige Tochtergesellschaft der Klägerin zu 2. zuzuerkennen sei.
MarkenG § 3 Abs. 2, § 4 Nr. 2
Das Problem
Die Klägerinnen gehören – als Konzernmutter bzw. Vertriebsgesellschaft in Deutschland – der seit Jahrzehnten in der Herstellung von Premiumschokolade tätigen Unternehmensgruppe Lindt an zu deren Produkten u.a. ein im Jahr 1952 entwickelter und seither in verschiedenen Größen angebotener Schokoladenhase gehört. Dieser wird in Deutschland seit dem Jahr 1994 in goldfarbener Verpackung angeboten und ist dort mit über 100 Mio. verkauften Exemplaren in den letzten 30 Jahren der mit Abstand meistverkaufte Schokoladenhase. Bei der Beklagten handelt es sich ebenfalls um eine Herstellerin von Schokoladenprodukten. Auch zu den Produkten der Beklagten gehört ein Schokoladenhase in goldfarbener Verpackung. Die Klägerinnen sehen darin die Verletzung einer ihnen an dem Farbton CIELAB 86.17, 1.56, 41.82 zustehenden Benutzungsfarbmarke. Zum Nachweis für dessen Verkehrsgeltung haben die Klägerinnen im Klageverfahren eine Verkehrsbefragung vorgelegt, aus der sich für die deutsche Gesamtbevölkerung ein Kennzeichnungs- und Zuordnungsgrad von 75,8 % bzw. 72,3 % ergibt. Das zunächst angerufene LG München I ist dieser Argumentation im Kern gefolgt und hat den Klägerinnen eine Benutzungsfarbmarke an dem streitgegenständlichen Goldton zuerkannt. Unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und anschließender Klageabweisung ist das OLG München in der Berufungsinstanz dann aber zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerinnen nicht Inhaberinnen einer entsprechenden Benutzungsfarbmarke seien. Abstrakte Farbmarken seien einer Verkehrsgeltung bislang nur dann zugänglich, wenn der betreffende Inhaber diese wie eine „Hausmarke“ – waren- und dienstleistungsübergreifend – nutze. Eine Verkehrsgeltung des streitgegenständlichen Goldtons für Schokoladenhasen könne daher nur unter der Voraussetzung angenommen werden, dass der Verkehr diese auch dann als Herkunftshinweis auf die Klägerinnen wahrnehme, wenn der Farbton bei einem Schokoladenhasen Verwendung finde, bei dem es sich aufgrund seiner übrigen Gestaltungsmerkmale ersichtlich nicht um den bekannten Lindt Goldhasen handele. Das sei angesichts der großen Bekanntheit der sonstigen Gestaltungsmerkmale der klägerischen Schokoladenhasen aber nicht der Fall. Der Verkehr gehe stattdessen davon aus, dass anders geformte Schokoladenhasen gerade nicht von den Klägerinnen stammten. Hiergegen richten sich die Klägerinnen mit der vom OLG München ausdrücklich zugelassenen Revision beim BGH.Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH hob das zweitinstanzliche Urteil des OLG München auf und wies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG München zurück.Zu Unrecht sei dieses in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass den Klägerinnen der streitgegenständliche Unterlassungsanspruch nicht zustehe, da sie keine Benutzungsmarke für Schokoladenhasen in der Form einer abstrakten Farbmarke an dem streitgegenständlichen Farbton erworben hätten. Tatsächlich hätten die Klägerinnen das Vorliegen einer Benutzungsfarbmarke i.S.d. § 4 Nr. 2 MarkenG durch Vorlage der durchgeführten Verkehrsbefragung hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt. Eine markenrechtliche Verkehrsgeltung setze auch bei einem Farbzeichen lediglich voraus, dass ein nicht unerheblicher Teil der Verkehrskreise das betreffende Zeichen als Herkunftshinweis für ein bestimmtes Unternehmen sehe. Für die entsprechende Feststellung genüge in der Regel die Darlegung eines Zuordnungsgrads von mehr als 50 %. Auf die Nutzung des Farbzeichens als „Hausmarke“ komme es hingegen nicht an. Ebenso wenig könne für die Feststellung einer Verkehrsgeltung vorausgesetzt werden, dass die angesprochenen Verkehrskreise dem betreffenden Farbzeichen auch dann einen Herkunftshinweis auf die Klägerinnen entnehmen könnten, wenn dieser für andere Schokoladenhasen verwendet werde. Das sei alleine eine Frage der Verwechslungsgefahr, die sich erst im Rahmen der Verletzungsprüfung stelle. Dass das streitgegenständliche Farbzeichen gemeinsam mit weiteren, ebenfalls verkehrsbekannten Gestaltungselementen eingesetzt werde, stehe seiner Verkehrsgeltung ebenfalls nicht entgegen. Ein Zeichen könne auch infolge der Benutzung als Teil einer komplexen Gestaltung eigenständige Verkehrsgeltung erlangen, soweit es hierdurch – wovon hier nicht ausgegangen werden könne – nicht völlig in den Hintergrund gedrängt werde (BGH, Beschl. v. 9.7.2015 – I ZB 65/13 – Nivea-Blau, Rz. 32).
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen werde das OLG München anlässlich der neuerlichen Entscheidung in der Sache auch die Frage nach einer markenmäßigen Benutzung der Verletzungsfarbe durch die Beklagte noch einmal zu prüfen haben. Von einer solchen markenmäßigen Benutzung müsse insbesondere dann ausgegangen werden, wenn das verletzte Zeichen – wie hier – Verkehrsgeltung erlangt habe und eine hinreichende Ähnlichkeit zur Verletzungsfarbe bestehe. Zudem dürfe die Verletzungsfarbe auch in der konkreten Verletzungsform ein wesentliches, durch herkömmliche Gestaltungsmittel nicht in den Hintergrund gedrängtes Gestaltungsmittel sein.
Neben der Frage, ob die Beklagte hier die Verletzungstatbestände von § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 MarkenG verwirklicht habe, werde das Berufungsgericht auch zu prüfen haben, ob tatsächlich beide Klägerinnen die streitgegenständliche Farbe in Deutschland benutzt hätten, was angesichts der geografisch klar abgegrenzten Aufgabenverteilung im klägerischen Konzern zumindest bezweifelt werden könne. Es könne naheliegend sein, dass ein Farbzeichen kraft Verkehrsgeltung nur der Klägerin. zu 1. als für den Vertrieb in Deutschland zuständige Tochtergesellschaft der Klägerin zu 2. zuzuerkennen sei.